«Plötzlich ist etwas passiert, das niemand für möglich hielt»
Mark van Huisseling hat einen Roman rund um die Finanzkrise geschrieben. Er stellte fest: Banker sind schlimmer als angenommen.

Wie kamen Sie auf die Idee, einen Roman rund um die Finanzkrise zu schreiben?
Bald nach dem grossen Crash, etwa 2010, stellte ich fest, dass sich in Zürich etwas verändert hatte. Das Selbstverständnis der Banker war plötzlich ein anderes.
Woran machen Sie das konkret fest?
Man merkte, dass die Krise bei den Betroffenen zu Rückschlüssen auf ihre schwindende Bedeutung führte. Das zu erkennen, ist nie einfach. Das war es für die Werber in den 90er-Jahren nicht. Und aktuell ist es aus diesem Grund wohl auch für Journalisten nicht ganz einfach.
Wie würden Sie die Gefühlslage in der Finanzbranche nach dem Absturz beschreiben?
Wenn man einsehen muss, dass man nicht der grosse Moritz ist, sondern bloss ein kleiner Angestellter, der eine Zeit lang gut verdiente, schmeckt das Cüpli im Al Leone nicht mehr so fein. Nicht mal der Ferrari, den man vielleicht noch hat, hilft darüber hinweg.
Wie hat sich Zürich selber dadurch verändert?
Die Euphorie, die Überschwänglichkeit ist weg. Weil plötzlich etwas passiert ist, dass niemand für möglich hielt.
«Viele Leute in dieser Branche hatten das Gefühl, gut zu sein, weil sie viel verdienen.»
Was interessierte Sie als Gesellschaftskolumnist am Thema?
Banken sind in Zürich sehr präsent, sie gehören stark zur Stadt. Das schien mir eine gute Ausgangslage für einen Zürich-Roman. Und dann geht es um Status respektive um Statusangst und -verlust. Ein viel besseres Thema kann ich mir fast nicht vorstellen. Also habe ich begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen, ich recherchierte, führte Gespräche. Erst dann begann ich zu fiktionalisieren.
Wie kamen Sie an die Banker heran?
Für meine Gesellschaftskolumnen in der «Weltwoche» besuchte ich jede Woche den Anlass, den ich für den glamourösesten hielt. Dort kam ich natürlich auch mit Bankangestellten in Kontakt. Sie sind schliesslich ein wichtiger Bestandteil der gehobenen Gesellschaft. Ich hatte also schon ein Bild von den Figuren, über die ich schreiben wollte, es stammte aus meinem journalistischen Vorleben.
Wie hat sich Ihr Bild des Bankers während der Arbeit am Roman gewandelt?
Nicht gross, meine Einschätzung wurde allenfalls ein wenig härter. Viele Leute in dieser Branche hatten das Gefühl, gut zu sein, weil sie viel verdienen. Dabei hatten sie einfach Glück: Zu einer Zeit in einer Branche zu arbeiten, in der in bestimmten Nischen jeder viel, die meisten zu viel, verdiente. Aus meiner ursprünglichen Vermutung wurde eine ziemlich fundierte Erkenntnis.
«Mir hat ein Psychiater, der auch Bankmitarbeiter zu seinen Patienten zählt, geschrieben, die Befindlichkeit meiner Protagonisten sei ziemlich nahe an der Realität.»
Das Glück Ihres Helden ist aber ebenfalls irgendwann aufgebraucht?
Helden gibt es, wie im richtigen Leben in den Banken, auch in meinem Buch eigentlich keine. Es gibt etwa den Vizechef, der versucht, wertlos gewordene Produkte, die er heimlich gekauft hat, zu verscherbeln, bevor die Sache bekannt wird. Oder seinen Chef, der eine junge Frau hat, die ein Theaterfestival betreibt – mit Geld der Bank. Jeder ist also mit seiner eigenen Agenda beschäftigt. Und darum merkt keiner, dass ein Sturm aufzieht ...
Die Geschäfte, die damals zum Kollaps geführt haben, waren ziemlich komplex.
Das stimmt. Deshalb sprach ich auch mit Experten. Sie erklärten mir, wie solche Geschäfte abgewickelt werden. Nicht bis ins letzte Detail, aber doch so, dass es plausibel ist.
Hat noch niemand einen «Fehler» gefunden?
Bestimmt finden Leute, die auf einer Bank in hoher Stellung arbeiten, die grosse Transaktionen ausführen, technische Fehler in meinem Buch. Das stört mich aber nicht. Schliesslich haben die gleichen Leute vor zehn Jahren die Fehler nicht gesehen, die die Finanzkrise erst auslösen konnten.
Wie nahe an der Realität ist das Buch?
Die handelnden Personen sind erfunden, allfällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zufällig. Die Umstände dagegen sind realitätsnahe. Mir hat etwa ein Psychiater, der auch Bankmitarbeiter zu seinen Patienten zählt, geschrieben, die Befindlichkeit meiner Protagonisten sei ziemlich nahe an der Realität der Leute, die er behandle.
Das ist ein Kompliment.
Es gab sogar Leute, die mir sagten, sie hätten diesen oder jenen in meinem Roman wiedererkannt. Zum Glück hat sich noch niemand selber im Buch erkannt – oder sich jedenfalls nicht gemeldet.
Was ist besser am Autoren- als am Journalistenleben?
Als Journalist wünsche ich mir, dass meine Interviewpartner dieses oder jenes sagen würden – sie sagten dann aber meistens etwas ganz anderes. Jetzt konnte ich endlich die Dialoge schreiben, wie ich sie mir zuvor immer gewünscht habe.
Wie schwierig ist Erfinden, wenn man plötzlich darf?
Erfinden an und für sich ist einfach. Das Erfundene so einzubinden, dass es funktioniert, ist dagegen schwierig. Es muss für die Figur ebenso passen wie für die grössere Handlung. Das ist harte Arbeit, da bin ich manchmal fast verzweifelt.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Buch?
Recht zufrieden, ich halte es für stimmig, gelungen. Sicher ist nicht jeder Abschnitt so brillant, wie man es sich wünscht als Schriftsteller. Doch es gibt neben dem künstlerischen auch einen handwerklichen Teil des Schreibens. Nämlich, dass man es macht, dass man es durchzieht. Am Schluss habe ich sehr strukturiert am Buch gearbeitet, jeweils an bestimmten Tagen, zu bestimmten Zeiten. Und es so abgeschlossen.
Mark van Huisseling: Letzter Halt Bahnhofstrasse. Münsterverlag, Zürich 2017, 248 Seiten, 28 Franken
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