
«Glaubst du, ich stelle hier White Trash ein?» (Donald Trump in «The Apprentice», Staffel 6, Episode 7)
Ende November erhielt Carrier, eine Fabrik für Klimageräte in Indianapolis, Besuch vom neu gewählten US-Präsidenten. Denn Donald Trump hatte ein paar Tage zuvor auf NBC eine Aufnahme aus einem Wahlkampfauftritt gesehen, die sein Versprechen zeigte, das Unternehmen an der Auslagerung von Arbeitsplätzen nach Mexiko zu hindern. Er konnte sich zwar, wie er erzählte, nicht erinnern, ein solches Versprechen abgegeben zu haben, aber da war es, vor seinen Augen. Also ging Trump hin und rettete 1000 amerikanische Jobs. «Weil er etwas im Fernsehen gesehen hatte», so die «New York Times»: «sich selbst».
Tritt Donald Trump im Fernsehen auf, dann ist er nicht nur der Star der Sendung, sondern auch ihr wichtigster Zuschauer. Stundenlang soll er im Trump Tower vor seinen Bildschirmen sitzen, um News zu sehen, bevorzugt die, die sich um ihn selber drehen, und um sie auf Twitter zu kommentieren; was wiederum neue, noch selbstbezüglichere News generiert. Doch irgendwann können, wie das Beispiel zeigt, aus dieser Selbstbespiegelung politische Handlungen aufpoppen, Fakten. Oder war der Trip nach Indianapolis doch vor allem ein PR-Auftritt, ein Teil der «Thank you»-Tour durch ein Land, das ihn gerade zum Präsidenten gewählt hatte?
Eine gecastete Regierung
Die Realität verflüssigt sich, kommt sie mit Donald Trump in Kontakt. So haben seit der Wahl mehrere ehemalige Mitarbeiter von «The Apprentice» in den Medien erzählt, wie kompliziert es war, 14 Staffeln der Realityshow mit einem Hauptdarsteller abzudrehen, der meist mit dem Bauch entschied. «Wir waren immer wieder schockiert darüber, wen Trump aus der Sendung warf», sagte etwa Jonathon Braun, Redaktor bei den ersten sechs Staffeln: «Unsere wichtigste Aufgabe war, seine Entscheidungen so aussehen zu lassen, als hätten sie etwas mit der Realität zu tun.»
Das war Fernsehen, und die Sendungsmacher hatten mit Donald Trump eine unterhaltsame und erfolgreiche Show erschaffen. Wie wahrhaftig das Rennen um einen 250'000-Dollar-Job in Trumps Firmenkonglomerat tatsächlich abgebildet wurde, das musste eigentlich niemanden kümmern. Und doch meldete sich kurz vor Weihnachten und mit schlechtem Gewissen ein Mitproduzent der ersten zwei Staffeln zu Wort: «Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als das Firmenimperium von Donald Trump bröckelte», so Bill Pruitt in der «Vanity Fair», «fabrizierten wir diese Geschichte über einen glamourösen Milliardär.»
Es ist nicht neu, dass die Leute glauben, was ihnen das Reality-TV zeigt. Denn das handelt ja gerade von wirklichen Menschen, die «sich selbst» darstellen, ihr Leben, Streben und Scheitern. Doch, so Pruitt: «Mittlerweile ist das ausser Kontrolle geraten. Es ist erschreckend, wie schnell und entschlossen uns die Welt ein Image abgekauft hat, das wir zur Unterhaltung kreiert hatten. Reality-TV ist offenbar eine sehr starke Kraft, wenn es darum geht, das Bewusstsein der Leute zu formen.»
Seine langjährige Fernsehpräsenz ist nicht der Grund, warum Trump gewählt wurde. Aber ohne die Bekanntheit und das Image als erfolgreicher und knallharter Leader, zu dem ihm die Sendung verhalf, hätte er es nicht geschafft. Beunruhigend daran ist, dass die Show jetzt weitergeht: «America's Got Trump», die erste Staffel, ist angelaufen. Die Livecam im Foyer des dekorativen Trump Tower übertrug, welche Prominenz beim «President-elect» um einen Posten in der Regierung oder als Berater vorsprach. Vor allem die Ausmarchung ums Aussenministerium glich zeitweise einer Castingshow politischer Has-beens, mit konkurrierenden, sich öffentlich beschimpfenden Kandidaten; mit einem unglücklichen Mitt Romney, der zuerst zum Dinner ins Jean-Georges ausgeführt und dann fallengelassen wurde, trotz der «guten Chemie», die Trump ihnen beiden attestierte; und am Ende mit einem überraschenden Sieger, dem Exxon-Mobil-Chef Rex Tillerson.
Zwischen solchen Show-Elementen machte Donald Trump immer mal wieder eine Politik, bei der man hinterher nicht wusste: Gehorchte sie einem Skript, oder, umgekehrt, wurde die neue China- oder Atomwaffenpolitik bloss eilig einem trumpschen Bauchentscheid hinterhermoderiert? Nichts ist verführerischer, als an die Pointe bei «My Big Fat Obnoxious Boss» zu denken, einer Parodie auf «The Apprentice», die 2004 die erste Staffel nicht überlebte: Dort erwies sich der Boss, der die Kandidaten feuerte, zuletzt als ein Schimpanse, der am Glücksrad drehte.
Aber man soll sich nicht täuschen lassen und lieber einen Blick auf das Resultat werfen. Das Kabinett, das Trump um sich geschart hat, ist kohärent: Es besteht im Kern aus alten Haudegen aus Militär, der Energie- und der Finanzwirtschaft. Gleich mehrere künftige Minister kommen von Exxon-Mobil, Goldman Sachs oder aus Thinktanks, die von diesen Firmen mitfinanziert werden. Der britische Autor und Umweltaktivist George Monbiot schrieb im «Guardian», Trump habe es geschafft, die Linken und Liberalen in Diskussionen über seinen Rassismus und Sexismus zu verstricken und in nutzlose Selbstbezichtigungen. Trumps Performance sei aber nur die «Maske» für Geschäftsinteressen.
Im Theater der Grausamkeit
63 Prozent der amerikanischen Wähler gaben an, dass sie ihrem neuen Präsidenten nicht trauten. Jeder Fünfte von ihnen wählte ihn trotzdem; vermutlich, weil er das bot, was das Publikum als die unterhaltsamste Fiktion empfand, nämlich die Realityshow über den Siegeszug eines Aussenseiters. Dies entspricht der Mentalität eines Genres, das die Fernsehunterhaltung längst prägt: 2015 zählte die Branche in den USA genau 1159 neue Unterhaltungsshows, davon waren 750 Reality-Formate.
Das Weltbild dieser Shows ist das von Trump: Es gibt Sieger, es gibt Verlierer. In den Castingshows sieht das Publikum einer erbarmungslosen Konkurrenz von Einzelkämpfern zu, die ihr Profil und Image schärfen und verkaufen, die lügen, bluffen und dealen. Die hochtourige Produktion von Siegern suggeriert, dass es einen direkten Weg zum Fame gibt, der an den sozialen und ökonomischen Realitäten vorbeiführt und erst recht am mühseligen Aufstieg über Vereins-, Quartier- oder Parteiarbeit.
In der Celebrity-Kultur überschätzen die Menschen die Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg: Das sagt Karen Sternheimer, US-Soziologin und Autorin von «Celebrity Culture and the American Dream». So verfestige die Fernsehunterhaltung das Vertrauen ins Wirtschaftssystem und lehre gleichzeitig, «wer im Fall eines Misserfolgs die Schuld trägt»: das Individuum. Das logische Gegenstück zur Celebrity-Kultur ist folglich das «Theater der Grausamkeit», wie es der US-Ökonom Philip Mirowski nennt: eine Spielart des Reality-TV, die das warnende Beispiel derer zeigt, die an der Selbstoptimierung gescheitert sind, die nicht gut genug waren, die sich haben gehen lassen. Hier werden die Verlierer in die Arena geworfen – Arbeitslose, Messis, Grüselbeizer oder Problemjugendliche. Mirowski schreibt: «Sie leben von unserer Grosszügigkeit, deshalb sind sie es, die uns etwas schulden, und deshalb haben wir jedes Recht, Zuschauer zu sein.»
Das ist die Kunst des Deals nach Art des Reality-TV: Die Menschen bieten ihre Auf- und Abstiegsgeschichten feil, und was sie dafür erhalten, ist der Ruhm oder das Gnadenbrot. Als «weapons of mass distraction» (Mirowski), als Massenzerstreuungswaffen also, pulverisieren diese Shows den Blick auf soziale Realitäten und schaffen eine Sphäre zugespitzter, dramatisierter, rasend unterhaltsamer Wirklichkeit. Donald Trump ist nicht der Erste, der das in die Politik übersetzt. Im Gegenteil, es ist anzunehmen, dass er auch in dieser Hinsicht nicht nur von «The Apprentice» profitiert, sondern auch bei seinen russischen Freunden gelernt hat.
Wladimir Putin habe nie den Fehler der Sowjets gemacht, schreibt der englisch-russische TV-Produzent Peter Pomerantsew in seinem 2015 erschienenen Buch über seine langjährigen Engagements für russische Unterhaltungsshows: «Er würde niemals das Fernsehen langweilig werden lassen.» Das Reality-TV bildet in seinem Bericht die Vorhut einer Regierung, die beliebige Realitäten auf ihr Land projiziert und ihre Absichten in eine irrwitzige Inszenierung von «Spass und geopolitischen Albträumen» verpackt. Dafür verantwortlich war – bis er 2013 von Putin entlassen wurde – ein ehemaliger Theatermann und Berater von Oligarchen namens Wladislaw Surkow, der seinen Zuständigkeitsbereich einmal mit «Ideologie, Medien, Parteien, Religion, Modernisierung, Innovation, Aussenbeziehungen und moderne Kunst» umriss.
Die Politik als Hologramm
Die rhetorische Nebelpetarde war Programm: In einem unheimlichen Polittheater liess Surkow zum Beispiel oppositionelle Parteien oder Bürgerforen erstehen – und gleichzeitig schickte er reaktionäre Kosaken auf die Strasse, um gegen sie zu protestieren. Pomerantsew beschreibt, wie er für ein hippes Medienhaus namens Snob arbeitete, ohne aber zu wissen, wer das Unternehmen zuletzt kontrollierte: «Waren wir die Opposition? Oder ein Kremlprojekt? Oder vielleicht beides – eine Karte, die ausgespielt wird?» Es ist der Bericht aus der Paranoia, die einen ereilt, wenn rundum «alles PR und Illusion» ist, wenn man in ein politisches Hologramm blickt.
Es ist ein neues System, in dem die massgebenden Politiker gar nicht mehr versuchen, glaubwürdig oder plausibel zu sein. Sie lassen einen Realitätsdunst aufziehen, in dem nichts mehr geheuer ist und sicher erscheint und hinter dem sie ihre Macht- und Geschäftspolitik abwickeln. Nun, Donald Trump wird in den USA, selbst wenn er wollte, kein ähnliches System installieren können. Und doch hat er die wichtigste Lektion des Wladislaw Surkow gelernt: «Politik ist auch nur ein Text.» Auch Trump ist ein Meister darin, politische Realitäten nicht zu schaffen, sondern zu verwischen. Über die angeblichen Hackerangriffe aus Russland auf die US-Wahlen sagte er: «Das ganze Computerzeitalter hat dazu geführt, dass niemand genau weiss, was eigentlich los ist.»
Und man stellt sich vor, wie Donald Trump später im Tower vor dem Bildschirm sass, wie er sich noch einmal zusah und von den Lippen las.
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Politik als Reality-Show
Volkstribune wie Donald Trump oder Wladimir Putin versuchen nicht mehr, ihre Wähler zu überzeugen. Sie lassen ihre Politik in einem verwirrenden medialen Realitätsdunst verschwinden.