
Hinwil, das darf man ruhig sagen, ist ganz und gar Durchschnitt. 62,3 Prozent der Stimmbürger, die hier, am Fuss des Bachtels, leben, haben am letzten Sonntag gegen die Unternehmenssteuerreform (USR) III gestimmt. Fast genau gleich gross war der Nein-Anteil im Kanton Zürich insgesamt.
Dieses Ergebnis erstaunt doppelt: Zum einen ist die Gemeinde tief bürgerlich. Im siebenköpfigen Gemeinderat haben die rechten Parteien SVP und FDP je drei Sitze inne. Die SP ist mit nur einem Sitz vertreten. 43,9 Prozent der Einwohner wählten bei den letzten Nationalratswahlen die SVP. Zum anderen ist die Gemeinde die Heimat des SVP-Bundesrats und Finanzministers Ueli Maurer. SVP, FDP und Maurer: Alle waren sie für die Reform, alle haben sie dafür geworben. Doch die meisten Einwohnerinnen und Einwohner von Hinwil sahen es anders.
Zum Beispiel die beiden Frauen, die an diesem vorfrühlingshaften Dienstagmorgen vor dem Hinwiler Gemeindehaus stehen. Die Rentnerin bringt ihre Mutter gerade zum Hausarzt, viel Zeit bleibt nicht, aber eines will sie doch loswerden: Sie stimme normalerweise so, wie es die SVP empfehle. Aber nicht bei dieser Abstimmung. «Ich lasse mich von den Politikern nicht auf den Arm nehmen», sagt die 69-Jährige. «Die in Bern sollen nur nochmals über die Bücher», findet sie. Ihre Mutter nickt.
Die Wut des Garagisten
Auch der 55-jährige Norbert Stieger hat entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten auf der Linie der SP abgestimmt und ein Nein zur Steuerreform in die Urne gelegt. Und das, obwohl gerade die Politiker von SP und Grünen für ihn «immer lügen», wie er sagt. Stieger macht sich gar nicht die Mühe, seine Wut zu verbergen. «Warum müssen immer wir Kleinen mehr bezahlen?», fragt der Garagist der Dorfgarage. «Uns wird ja auch nichts geschenkt.» Für ihn war die Vorlage «komplett unausgereift». Stieger wird jetzt grundsätzlich: Von der Schweizer Politik hat er genug. In spätestens fünf Jahren, sagt er, wolle er seine Koffer packen und auswandern – nach Ungarn.
Einige Strassen weiter, vor dem örtlichen Feuerwehrmuseum, das an diesem Morgen geschlossen ist. Heidi Zuppiger, 64 Jahre alt, im dunklen Fleecepulli, will zwar nicht gleich auswandern. Aber auch sie sagt zuerst einmal, wie wütend sie sei auf «die Politiker»: «Sie machen nichts fürs Volk, sie verdrehen nur alles und schauen auf sich selber», sagt die ehemalige Kioskverkäuferin, die schon seit 30 Jahren in Hinwil lebt. Für sie ist klar: «Die da oben in Bern machen ohnehin, was sie wollen.»
Und doch hat Zuppiger am Wochenende abgestimmt – per Brief. Und zwar gegen die Steuerreform. Es sei wahrscheinlich schon so, sinniert sie: Ob man zu einer Vorlage wie der Steuerreform Ja oder Nein sage, spiele wohl gar keine Rolle. Aber: «Man darf nicht nur meckern, man muss auch etwas tun», sagt die Rentnerin. Sie versuche deshalb auch, ihre Familie zu motivieren, an die Urne zu gehen. Das klappt aber nicht immer. «Schade», sagt Zuppiger.
Kein Interesse in Hinwil
Hinwil ist mit 11'000 Einwohnern im geografischen Sinne eine Stadt. Das Ländliche erkennt man aber noch an jeder Strassenecke. Der Kern besteht aus vielen alten Holzhäusern und kleinen Läden: Blumengeschäft, Papeterie, Dorfgarage. Einen Kebab gibt es für 6 Franken.
Am Stammtisch im Restaurant Freihof hinter der Gemeindeverwaltung trifft sich jede Woche eine Gruppe von Politikinteressierten aus dem Dorf. Am Holztisch werden die Geschehnisse ausdiskutiert, gerne auch mal gestritten. Mit dem Abstimmungsergebnis ist niemand zufrieden. «Wir sind uns zwar selten alle einig, bei dieser Vorlage aber schon», sagt Kurt Bayer, ein Feuerwehr-Veteran und Ur-Hinwiler. Alle in der Runde gehören zur Minderheit, die für die Reform gestimmt hat. Mit Ueli Maurer habe das aber nichts zu tun: «Wir beschäftigen uns nicht erst mit Politik, seit es ihn gibt», sagt Bayer.
Bei diesen Abstimmungen fiel ihm vor allem etwas auf: Das Interesse in Hinwil war klein. «Ich habe noch nie erlebt, dass sich so wenige Leute in der Gemeinde vor einer Abstimmung engagiert haben», sagt Bayer. Er sieht den Grund bei den vielen Initiativen, die in den letzten Jahren lanciert wurden. «Heute hat jeder das Gefühl, er müsse selber noch mit einer Initiative kommen.» Er glaubt, dass dagegen nur eine Erhöhung der Unterschriftenzahl helfen würde.
Am Tisch sitzt auch der Hinwiler SVP-Gemeinderat Hans Benedetti. Seine Erklärung für die Niederlage am Sonntag ist eine andere. «Man kann sich heute ja nicht mehr sicher sein, ob das Parlament eine Vorlage überhaupt umsetzt», sagt er. Oft wisse man nicht einmal, über was man denn abstimme, und das sei sehr frustrierend. Da ist Kurt Bayer einig. «Wenn wir darüber abstimmen, ob eine Vignette 40 oder 80 Franken kostet, weiss jeder, worum es geht. Bei dieser Steuervorlage aber kann man das kaum behaupten.»
Finanzminister Ueli Maurer will das Nein zur Unternehmenssteuerreform III genau analysieren:
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Politikfrust in Ueli Maurers Gemeinde
In Hinwil, der Heimat von Finanzminister Ueli Maurer (SVP), hat eine grosse Mehrheit gegen die Steuerreform gestimmt. In der Dorfbeiz kommt trotzdem keine Freude auf.