Polo national, der Linke
Ausgerechnet ein Kiffer entwickelte sich zum Lieblingsmusiker der Nation. Dabei blieb er politischer, als sich wohl mancher Fan bewusst war.
Für einen, den alle mögen, vertrat Polo Hofer erstaunlich linke Positionen. Nicht nur beim Cannabis, für dessen Legalisierung er sachlich fundiert argumentierte – Kiffen, das eine individuelle Dosierung erlaubt, ist keine Einstiegsdroge, das zeigen alle Studien –, sondern auch bei Themen wie Armee, Asylwesen und Atomenergie war der Mundartrocker deutlich linker eingestellt als der Durchschnittsschweizer. Auch dass wir Atomstrom produzieren, ohne zu wissen, wo wir den Müll endlagern sollen, ist reiner Wahnsinn.
Immer wieder liess sich Hofer für politische Konzerte buchen. Als ihn die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) 1993 für ihr Stop-F/A-18-Festival auf dem Bundesplatz in Bern buchte, hatte er mit «Défilée» den passenden Song parat. Obedüre gäbe Düsejäger Gas / Uf dr Tribüni schtöh die gnädige Herre / U alli die mit Gold am Huet / Die wo wüsse gäge wär mir üs tüe wehre, sang er spät in der Nacht vor dem Bundeshaus, damals, als er längst Polo national und kommerziell erfolgreich war.
Erfolgreicher Wahlkampf
Die Meinungen über den Auftritt von Grössen der Schweizer Musikszene – auch Sens Unik und Patent Ochsner waren dabei – gingen auseinander. Es habe sich weniger um eine Manifestation politischer Stosskraft gehandelt als um ein gängiges Open-Air-Festival der Rockszene, urteilte die NZZ. Für den langjährigen GSoA-Vorstand und ehemaligen grünen Nationalrat Jo Lang hingegen kam damals wieder enger zusammen, was sich zuvor auseinandergelebt hatte. «1968 waren Kultur und Politik nicht voneinander zu trennen.» Später hätten sich viele Exponenten der damaligen Bewegung für die eine oder die andere Richtung entschieden. Auch aus ganz praktischen Gründen, sagt Lang: «Wer gut in der Politik sein will, kann nicht viel Zeit für die Kultur aufwenden und umgekehrt.»
Hofer hätte sich 1971 für den anderen Weg entscheiden können. Mit drei anderen Vertretern der damaligen Gegenkultur war er bei den Berner Stadtratswahlen angetreten. Den Wählern präsentierten sich die Härdlütli nackt, aber nicht ohne Ideen. Sie forderten einen Wald für die Bären, eine Offenlegung des Stadtbachs, die Legalisierung von Strassenmusik, die Aufhebung der Polizeistunde und die Wiedereinführung der Fasnacht – alles Anliegen, die heute eine Selbstverständlichkeit sind, auch wenn jene nach Kinderkrippen und der verkehrsfreien Innenstadt erst teilweise umgesetzt sind. Die Härdlütli errangen auf Anhieb einen Sitz im städtischen Parlament, und dies erst noch mit einer Frau.

Auf die politische Kleinkrämerei hatte Hofer jedoch keine Lust. Er verzichtete darauf, das Amt zu erben, das schon seine Mitstreiter je nur kurz und mit mässigem Engagement ausgeübt hatten. Das hätte nichts gebracht. Künstler sind in den Räten nie ernst genommen worden, das zeigen etwa die Beispiele Alfred Rasser oder Max Bill. Als Politiker kann man keine freie Meinung mehr haben, als Künstler aber sehr wohl. Die politischen Forderungen der Härdlütli setzten andere links-grüne Gruppierungen um, die sich im Unterschied zu diesen in der institutionellen Politik festsetzten und diese mit den Jahren übernahmen. «Das wäre nicht sein Ding gewesen», sagt Peter Sigerist, einer der Organisatoren des GSoA-Festivals von 1993 und lange Jahre eine wichtige Figur des Rot-Grün-Mitte-Bündnisses in Bern.
Kiffen statt Gewalt
Hofer blieb in den folgenden Jahrzehnten eine Symbolfigur für die linke, politische Jugend. Nicht zuletzt wegen seines Bekenntnis zum Kiffen. Das war auch eine Art, ins Staatssystem einzudringen und es aufzuweichen. Statt mit Gewalt wie damals die Baader-Meinhof-Gruppe, statt mit Ideologie und Klassenkampf – einfach mit dem Kiffen. Mir war klar, dass ich das Talent habe, dieses neue Lebensgefühl zu vermitteln und ihm ein Image zu geben.
Mit der Politszene blieb Hofer verknüpft, aber auch auf Abstand. Hofers Song «Du chasch nid tanze» von 1984 habe er immer auch als Ausdruck einer gewissen Abgrenzung wahrgenommen, sagt Jo Lang. Du weisch alles, du chasch alles / Nume öppis, das chasch du nid / Du chasch nid tanze, sang Hofer darin. Sein Engagement für politische Anlässe blieb denn auch nicht ohne Misstöne. Der gelernte Lithograf aus dem Arbeitermilieu verlangte Gagen, die in idealistischen Kreisen nicht alle angemessen fanden. «Er war der Erste, der sich kommerziell durchsetzte, musste sich und seine Band aber auch ohne finanzielles Polster durchbringen», sagt Sigerist. «Er erwies sich als verantwortungsvoller Chef.»
Kritik an der SVP
Dem kommerziellen Erfolg zum Trotz blieb Hofer politisch. Seine Stellungnahmen verloren nicht an Schärfe, auch wenn er von der Forderung abrückte, den über 70-Jährigen das Stimmrecht wegzunehmen. Es sind die Alten, die die Zukunft des Landes bestimmen, obschon diese Zukunft den Jungen gehört. Meine Überlegung ist also demoskopisch richtig, aber demokratisch falsch. Während die Forderungen der Härdlütli heute Mainstream sind, vertrat Hofer bis zuletzt linke Anliegen. «Menschenleben sind wichtiger als Arbeitsplätze», sagte er 2009 und warb für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten. Ungeachtet seines Status als Boulevardpromi und Lieblingsmusiker der Nation schreckte er auch vor Kritik an der SVP nicht zurück. Der SVP soll man nichts glauben. Zum Beispiel in der Asylpolitik. Die Partei stellt Forderungen und schlägt keine durchführbaren Lösungen vor.
«Hofer war deutlich politischer als die meisten Schweizer Musiker», urteilt Sigerist. Er sei sich der Herausforderungen unserer breit gefächerten Gesellschaft bewusst gewesen und habe zu diesen auch Stellung genommen. Trotzdem sei seine politische Dimension in vielen Interviews oft weniger stark zum Ausdruck gekommen, als diese im persönlichen Gespräch, aber auch etwa in den Songs, die Hofer übersetzte, zum Ausdruck gekommen sei. «Dies rührte vielleicht auch ein wenig von ihm selbst her.» Gut möglich, wenn man sich sein Selbstverständnis vor Augen führt. Ich begreife mich erstens als Musiker, zweitens als Europäer, drittens als Schweizer, viertens als Oberländer.
Die zitierten Aussagen von Polo Hofer stammen aus der «Zeit» (Interview vom 27. Juli 2015), dem «Bund» (Interview vom 11. Januar 2003 und Artikel vom 30. März 2009) und dem «Beobachter Natur» (Interview vom 1. Juni 2011).
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