Pop-Briefing: Ein bisschen Beromünster-Jazz
Die neue Popmusik-Kolumne: Heute mit schlechten News für Streaming-Betrüger und guten News für Stephan-Eicher-Befürworter.

Das muss man hören
Bereits wiederholt in der Tonspur unserer Kolumne aufgetaucht ist das Projekt Vilde aus Stockholm. Weil der Pop, der uns da unterbreitet wird, so wundersam zwischen Niedergeschlagenheit und Zuversicht oszilliert, zwischen Intimität und Weite, und weil diese hohe zarte Stimme uns immer wieder von neuem erquickt hat. Vilde ist das Projekt des Musikers Thomas Savage, der offenbar beschlossen hat, jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen. Das neueste Werk heisst «Fidget at the Podium», und es dürfte es auch 2019 in die Jahrescharts schaffen.
So klang Vilde 2018:
Und so heute:
Darüber wird gesprochen
Gute Nachrichten gibt es für die versammelten Musikschaffenden – und gleichzeitig schlechte für Künstler, die ihre Streaming-Zahlen zu frisieren pflegen. Der Streaming-Dienst Deezer will ab nächstem Jahr eine neue Vergütungsmethode für Künstler anwenden. Bis anhin wurden die Einnahmen eines einzelnen Abos nach den Marktanteilen aller auf dem Dienst vertretenen Acts verteilt. Die Künstler erhielten also einen Prozentsatz aller Einnahmen, die auf dem Dienst generiert wurden – wobei auch der Marktanteil des Genres, das sie bedienten, berücksichtigt wurde.
Künftig will Deezer jedes Konto einzeln bewerten. Wenn also ein Hörer ein grosser Fan der Gruppe Black Sea Dahu ist und einen Monat lang nur deren Album in Endlosschlaufe hört, dann fliesst der gesamte Abo-Preis (minus die Abzüge des Dienstes) an die Band oder deren Label.
Der Dienst rechnet damit, dass dies vor allem für kleinere Künstler eine Verbesserung von bis zu 30 Prozent bewirken soll. Top-Streaming-Künstler würden im benutzerorientierten Modell etwa 10 Prozent weniger verdienen. Auch für Nischen-Genres wie Jazz oder Worldmusic würde dieses Modell eine Verbesserung darstellen.
Bestraft würden indes Bands und Genres, die mit von Bot-Konten erzeugten Streams ihre Klick-Zahlen in die Höhe treiben. Im neuen Modell würden nur die Einnahmen des entsprechenden Bot-Kontos auf den Künstler verrechnet. Ausserdem würden die Betrügereien nicht mehr im gleichen Ausmass das Gesamtbild verfälschen.
Branchenkenner blicken mit Neugier auf den Versuch des vornehmlich in Frankreich beliebten Dienstes. Falls alle Labels mitziehen, dürfte sich das Modell auch bei den Branchenführern Spotify und Apple Music durchsetzen.
Das Schweizer Fenster
Die bisherige Karriere von Michael von der Heide war ein einziges Schlenkern zwischen Kleinkunst und ganz grosser Bühne. Da war stets viel Schalk, viel Nostalgie und auch immer ein sehr unverkrampftes Verhältnis zum Kitsch. All das findet sich auch auf seinem neuesten Album «Rio Amden Amsterdam» – diesmal jedoch wohldosiert, fein ausgearbeitet und ohne Pop-Lametta.
Die Grundstimmung seiner zwölf neuen Songs ist nachdenklich, aber nicht hoffnungslos, die Amtssprachen sind Französisch, Hoch- und Schweizerdeutsch. Und die Grundlegierung ist eine sehr smoothe Art von Jazz – man könnte es Beromünster-Jazz nennen.
Zwei Lieder ragen heraus: Das Duett «Abschied von der Nacht», eine Zusammenarbeit mit der wunderbaren Heidi Happy.
Ebenfalls sehr schön: Die Boris-Vian-Adaption «S'il pleuvait des larmes»:
Ein Lied, das die Sängerin Daphné vor zehn Jahren in ähnlich betörender Weise interpretiert hat.
Was blüht
Stephan Eicher ist gerade omnipräsent. Nachdem er mit einem über vierstündigen Konzert das Berner Casino eröffnet hat, legt er am kommenden Freitag mit einem neuen Album nach. «Homeless Songs» heisst es, das erste seit sieben Jahren. Und viel wurde darüber spekuliert, wie das wohl klingen könnte. Es handle sich um Songs, die nicht wüssten, wo sie hingehören, hatte Eicher vor vier Jahren erklärt.
Und dann war da ja noch der Streit mit seiner Plattenfirma, die ihm das Aufnahmebudget um 60 Prozent kürzte, was ihn dazu veranlasste, ein nie erschienenes Album abzuliefern, das 40 Prozent der in seinem Vertrag geforderten Platte entsprach: 12 Songs, die zusammen nur 12 Minuten dauerten.
Wie klingt es denn nun, das neue Eicher-Werk? Nicht wesentlich anders als das, was er bis anhin getan hat. Etwas nachdenklicher als sonst vielleicht. Einige Songs stammen gar von seinem Rotwein-Melancholie-Album, das er mit Martin Suter eingespielt hat. Und es gibt eine wundertolle Piano-Ballade, die bald auf der Liste der besten Songs der Woche auftauchen wird.
Das Fundstück
Damit die heutige Tonspur nicht in bleierner Beschaulichkeit versandet, gibts hier ein kleines Tondokument aus den Siebzigerjahren. Da wüteten nicht nur die Hippies, es wütete unter anderem auch die australische Gruppe SPK, die vor vierzig Jahren ihre erste Single veröffentlichte und damit neue Massstäbe in der elektronisch erzeugten Industrial-Musik setzte.
Unterschiedlich günstig verliefen die Karrieren der beteiligten Musiker. Einer der Sänger nahm sich kurz nach den Aufnahmen das Leben, der Gitarrist kam in den Neunzigern mit der Band The Cruel Sea zu Hitparaden-Ehren. Und das Oberhaupt, Graeme Revell, wurde zu einem der gefragtesten Soundtrack-Komponisten in Hollywood (u.a. «Lara Croft: Tomb Raider» oder «Sin City»), verdiente pro Film bis zu einer Million Dollar und lebt heute als Rentner auf der neuseeländischen Insel Waiheke.
Die Wochen-Tonspur
In der heutigen Tonspur ist allerhand Prominenz mit neuem Musikmaterial zu Gast: Iggy Pop, Fink, Björk, Michael Kiwanuka, Swans und die Tindersticks. Daneben gibts Tribal-New-Wave von Shari Vari, Franzosen-Psychedelik von L'Epée, einen sehr entspannten Liebessong von Devendra Banhart und – besonders zu empfehlen – südtunesischen Elektro-Sufi von Ifriqiyya Electrique.
Jeden Dienstag schreiben die Musikredaktoren Ane Hebeisen und Benedikt Sartorius in dieser neuen Kolumne über Popmusik. Und geben mit einer Spotify-Playlist preis, welche Songs sie hören.
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