Glosse zur WTO-ChefinPopcorn! Neue Staffel von «Grosi-Gate»
Eigentlich schien der weltweite Shitstorm um eine unglückliche Schlagzeile der CH-Media-Blätter längst vorüber. Doch Welthandels-Chefin Okonjo-Iweala und ihr Staranwalt legen nach.

Wie oft sollte sich eine Zeitung für einen missglückten Titel entschuldigen? Einmal, zweimal, dreimal?
Für Ngozi Okonjo-Iweala, Chefin der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf, darf es gern noch ein bisschen mehr sein. Heute publizieren die Zeitungen der CH-Media-Gruppe «in eigener Sache» einen Artikel auf Deutsch und Englisch. Er besteht erstens aus einem detaillierten Lebenslauf der WTO-Chefin. Und zweitens aus einem Kotau: «Wir möchten uns noch einmal bei Dr. Okonjo-Iweala entschuldigen. We are sincerely sorry.»
Der Artikel ist die neuste Folge in der Saga um «Oma-Gate» («Süddeutsche Zeitung»).
Die Geschichte begann am 9. Februar 2021, als die CH-Media-Zeitungen über die Wahl von Okonjo-Iweala zur neuen WTO-Chefin berichteten. Der Artikel erschien in der «Aargauer Zeitung», im «St. Galler Tagblatt» und in der «Luzerner Zeitung», war wohlwollend und nüchtern, stand aber unter einer deplatzierten Schlagzeile: «Diese Grossmutter wird neue Chefin der Welthandelsorganisation».
Der Shitstorm, der folgte, war heftig. Medien auf der ganzen Welt berichteten über die (sicher) sexistische und (angeblich) rassistische Überschrift. Okonjo-Iweala ist zwar tatsächlich auch Grossmutter, in erster Linie aber Harvard-Ökonomin, ehemalige Vizechefin der Weltbank, Ex-Finanz- und Aussenministerin von Nigeria und 16-fache Ehrendoktorin. Unter vielem anderen. (Kann man jetzt alles im Lebenslauf nachlesen, den CH-Media publizierte. Sehr praktisch.)
Bei CH-Media anerkannte man den Fehlgriff rasch – und begann mit einer wochenlangen öffentlichen Selbstgeisselung.
«Das war falsch», schrieb die Redaktion auf Twitter.
«Es tut uns leid», erklärte Pascal Hollenstein, publizistischer Leiter der Mediengruppe, gegenüber Persoenlich.com.
«Der Titel war ungeschickt gewählt. Dafür möchten wir uns entschuldigen», schrieben alle beteiligten Zeitungen am 11. Februar.
«Wir entschuldigen uns für diesen redaktionellen Fehler», schrieb der CH-Media-Auslandchef am 26. Februar sogar in einem Pressecommuniqué.
Trotzdem schickten WTO-Diplomatinnen und -Diplomaten aus über 100 Ländern einen empörten Brief nach Aarau und an die Presse (lesen Sie hier mehr darüber). Und am 17. August 2021 sprach auch der Schweizerische Presserat eine Rüge gegen CH-Media aus. Auch darüber berichteten die Medien weltweit.
Damit schien in der Sache definitiv alles gesagt, zumal auch Okonjo-Iweala selber den Eindruck erweckte, ihr Zorn sei verraucht. «Es ist wichtig und höchste Zeit, dass sie sich entschuldigt haben», schrieb sie auf Twitter.
Tatsächlich hat Okonjo-Iweala bei der WTO ja auch noch ein paar andere Probleme. Ihre Organisation steckt in einer fundamentalen Krise, die Mitgliedsstaaten unterlaufen das WTO-Regelwerk mit bilateralen Handelsdeals, China und die USA führen einen Handelskrieg, das WTO-Schiedsgericht ist blockiert.
Doch mitten in all diesen Grossbaustellen kam Okonjo-Iweala nach mehreren Monaten Bedenkzeit offensichtlich zum Schluss, sie habe doch noch nicht ausreichend Satisfaktion erhalten. Sie engagierte den Genfer Anwalt Enrico Monfrini, und dieser verlangte unter Androhung rechtlicher Schritte nochmals eine Entschuldigung.
Monfrini war am Mittwoch nicht zu erreichen, doch CH-Media bestätigt den Vergleich. «Wir waren etwas erstaunt, weil wir uns ja schon mehrfach entschuldigt hatten», sagt der publizistische Leiter Pascal Hollenstein. Rechtlich sei man zu nichts verpflichtet gewesen, habe aber einen langen Rechtsstreit vermeiden wollen. «Wir haben ja sogleich erkannt, dass der Titel sehr unglücklich war. Wir haben korrigiert und um Verzeihung gebeten. Jetzt tun wir es noch einmal. In der Hoffnung, auf Gnade zu stossen.»
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Falls Okonjo-Iweala noch nicht zufrieden ist, können es Hollenstein und die CH-Media ja mit noch einer Entschuldigung versuchen.
Markus Häfliger ist Bundeshausredaktor und Reporter bei der Seite Drei.
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