Professoren hadern mit dem neuen Kurs der NZZ
69 Intellektuelle deuten die Entlassung eines Redaktors des NZZ-Feuilletons als politisches Signal. Die Spitze der Zeitung bestreitet das.

Dieses Mass an Solidarität wünscht sich wohl jeder Angestellte. Als die NZZ kürzlich einem Feuilleton-Redaktor gekündigt hat, der knapp 30 Jahre für die Zeitung gearbeitet hatte, bekamen seine Vorgesetzten Post der besonderen Art. 69 Geisteswissenschaftler, fast alle Professoren aus dem deutschsprachigen Raum, wandten sich vergangene Woche in einem Brief an den Verwaltungsrat der Zeitung, an Chefredaktor Eric Gujer sowie an Feuilleton-Chef René Scheu.
Im Schreiben bedauern sie die Entlassung. Der Betroffene sei «zu jung für eine Frührente, aber voraussichtlich zu alt für eine neue Stelle anderswo». Sie schreiben aber auch, dass sie die personellen Veränderungen politisch deuten, als «Öffnung am rechten Rand des Liberalismus oder hin zu einem bemüht unkonventionellen Libertarismus». Dies führe dazu, dass «Horizonte verengt und das Niveau gesenkt» werde.
Chefredaktor Gujer und Ressortleiter Scheu haben inzwischen geantwortet. Über die Hintergründe der Kündigung könnten sie nichts preisgeben, heisst es in dem dreiseitigen Brief, der Redaktion Tamedia vorliegt. Sie führen aber aus, dass die Transformation der Branche das Jobprofil eines Redaktors verändert habe. Dieser müsse heute ein «Hochleistungssportler des Geistes» sein, an Reflexion und Geschwindigkeit, stilistischen und technologischen Finessen gleichermassen Freude haben.
Kritik von rechts und links
Von dieser Personalie auf einen politischen Richtungswechsel zu schliessen, sei nicht stichhaltig, schreiben Gujer und Scheu. Ein Blick in die Kommentarspalten zeige, dass dies nicht zutreffe. Zur Verteidigung führen sie an, dass die NZZ von der rechtsbürgerlichen «Weltwoche» ebenso kritisiert werde wie von der linken «Wochenzeitung».
Einige der von Redaktion Tamedia angefragten Unterzeichnenden wollen sich öffentlich nicht dazu äussern, andere stehen zu ihrer Kritik. Er werde erneut an die NZZ-Führung schreiben, sagt Klaus Bartels, Altphilologe und NZZ-Kolumnist. Caspar Hirschi, Geschichtsprofessor an der Universität St. Gallen, hält die Stellungnahme der NZZ zwar für differenziert. Etwas einfach mache es sich die Zeitung aber mit der Annahme, die Kritik von links und rechts bedeute, dass sie genau den richtigen Kurs fahre.
Die NZZ versuche sich in Deutschland als neue Stimme zu positionieren, was sie in den letzten 20 Jahren schon mehrmals gemacht habe, sagt Hirschi. «Nur: Die Zeit des Debatten-Feuilletons ist vorbei.» Eine Debattenkultur, wie man sie noch in den 90er-Jahren bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» gekannt habe, sei im heutigen polarisierten Diskurs kaum mehr möglich. Man ziehe sich lieber in eine Blase von Gleichgesinnten zurück. Dies habe zur Folge, dass gewichtige Stimmen sich in einer Publikation nicht mehr äussern, wenn gleichzeitig Autoren vom anderen Ende des politischen Spektrums dort schreiben.
In diesem Sinne ist wohl auch die Aufforderung von Gujer und Scheu an die Akademiker zu lesen: «Sie haben in jüngerer Zeit leider nicht mehr alle in derselben Regelmässigkeit für die NZZ geschrieben. Wir möchten Sie herzlich einladen, dies zu ändern.»
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