Projekt «Fokus 21»: So will sich die Raiffeisen-Gruppe neu erfinden
400 Bewerber wollen in den Verwaltungsrat. In 14 Tagen ist klar, wer neuer Präsident wird. Daneben hat die Bank interne Reformen angestossen.

Seit Monaten schüttelt die Affäre Vincenz die Raiffeisen-Gruppe durch. Es ist die grösste Krise in der Geschichte der über 100 Jahre alten Bankengruppe. Das scheint aber ihre Attraktivität bei Kandidaten für Topjobs nicht geschmälert zu haben. Über 400 Bewerbungen für die fünf vakanten Posten im Verwaltungsrat inklusive des Jobs des neuen Verwaltungsratspräsidenten sind eingegangen, hat diese Zeitung erfahren.
Wegen der Affäre will sich Raiffeisen grundlegend erneuern. Zum einen soll die Bankspitze neu besetzt werden. Parallel laufen die Arbeiten an einer Strukturreform auf Hochtouren. Das Reformprojekt hat den Namen «Fokus 21» bekommen. Viele Details sind noch offen, doch klar ist, dass die Mitgliedsbanken mehr Mitsprache bekommen sollen, die Zentrale Raiffeisen Schweiz wird möglicherweise Aufgaben abgeben.
Neuer Präsident wird Mitte September benannt
Am weitesten ist die Suche nach einem neuen Verwaltungsratspräsidenten gediehen. Laut den vorliegenden Informationen soll der Name des Kandidaten oder der Kandidatin Mitte September publik gemacht werden. Das finale Okay der Finanzaufsicht Finma zum designierten Präsidenten steht indes noch aus.
Bisher ist nicht nach aussen gedrungen, wer in der Endausscheidung ist. Genannt wird des Öfteren Urs Rüegsegger, der Ex-Chef der Schweizer Börse. Er selbst äussert sich nicht zu einer möglichen Kandidatur. Auch Stefan Loacker, Ex-Chef des Versicherers Helvetia wird als möglicher Kandidat genannt.
Shortlist für Verwaltungsratsposten
Nach dem neuen Präsidenten sollen dann im Laufe des Septembers die vier weiteren neuen Verwaltungsratsmitglieder nominiert werden, die dann bei der ausserordentlichen Delegiertenversammlung im November in Brugg AG gewählt werden sollen. Wie es heisst, gebe es pro vakanten Sitz je eine Shortlist mit vier bis sechs Namen.
Parallel läuft die Suche nach einem neuen CEO, denn Patrik Gisel hat auf Ende Jahr seinen Rücktritt erklärt. Der Personalvermittler Guido Schilling berät auch hierbei Raiffeisen. Der Headhunter hat bereits das Mandat zur Suche nach einem neuen Präsidenten. Um den Suchprozess zu beschleunigen, werden aussichtsreiche Kandidaten für den Verwaltungsrat bereits informell in die CEO-Suche einbezogen. Der finale Entscheid über den neuen Chef obliegt dem Verwaltungsrat in seiner neuen Zusammensetzung.
Gisel könnte übergangsweise weitermachen
Der Zeitplan ist ambitioniert, bis Ende Jahr schon soll ein neuer Chef gefunden sein. Doch wird auch erwägt, die Gruppe von einem Interimschef im nächsten Jahr zunächst führen zu lassen, bis ein neuer CEO gefunden ist. Noch-CEO Patrik Gisel hatte sich bereits angeboten, dass er etwas Zeit dranhängt. Laut den vorliegenden Informationen sei diese Option denkbar.
Parallel wird an einer Reform der Strukturen gearbeitet. In ihrem Abschlussbericht über die Affäre Vincenz hatte die Finanzaufsicht Finma gefordert, dass Raiffeisen prüft, ob das Spitzenorgan Raiffeisen Schweiz zu einer Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Im Laufe des ersten Quartals will hierzu die Raiffeisenspitze eine Meinung gebildet haben.
Leistungskatalog der Zentrale wird gekürzt
Abseits der Frage der Rechtsform von Raiffeisen Schweiz soll das Verhältnis zwischen der Zentrale und den Mitgliedsbanken neu austariert werden. Dafür wurde das Projekt «Fokus 21» angestossen. Dabei wird auch der Leistungskatalog überprüft, den Raiffeisen Schweiz den Genossenschaftsbanken bietet.
Derzeit dient Raiffeisen Schweiz als Zentralbank, ist für die strategische Entwicklung und die IT zuständig und übernimmt das Risikomanagement und ist daher Ansprechstation für die Aufsicht Finma. Raiffeisen Schweiz hat indes auch Aufgaben im Marketing und der Marktbearbeitung. So hat die Zentrale Marktmanager angestellt, welche den Mitgliedsbanken bei der Marktbearbeitung helfen. «Hier hat es eine Eigendynamik gegeben, der Bereich könnte zurückgestuft werden», stimmt ein Raiffeisen-Banker zu.
Laut den Überlegungen könnten demnächst Genossenschaftsbanken wieder mehr in Sachen Marketing in Eigenregie machen und müssten dann die Zentrale für solche Dienste nicht mehr bezahlen. Raiffeisen Schweiz betreibt zudem im Firmenkundengeschäfte eigene Unternehmenszentren und sechs Niederlassungen. Auch diese Aktivitäten stehen auf dem Prüfstand. Auch die Art und Weise, wie die Mitgliedsbanken Raiffeisen Schweiz für die Dienste bezahlt, soll transparenter und klarer werden.
Der Beitrag ist im Finanzierungskostenschlüssel festgelegt und wird von den Delegierten jedes Jahr abgesegnet. «Diskussionen darum gibt es seit Jahren, die Delegierten hätten es in der Hand gehabt, hier früher auf Reformen zu drängen», sagt ein Raiffeisen-Banker selbstkritisch.
Keine Alleingänge mehr
Neues Spitzenpersonal, neue Strukturen: Nie mehr soll Raiffeisen quasi von einem Mann im Alleingang wie in der Ära Vincenz geführt werden. In einer Ad-hoc-Aktion peitsche er zum Beispiel 2012 den Kauf der Privatbank Notenstein durch, was an der Basis für Verstimmung sorgte.
Um die Mitgliedsbanken stärker in solche strategischen Entscheide einzubinden, soll ein neues Gremium ins Leben gerufen werden. Wie eine Quelle sagt, könnte ein Vorbild der Genossenschaftsrat sein, wie ihn die Migros auf Stufe der Einzelgenossenschaften kennt. Bei strategischen Entscheidungen soll das neue Organ aber nur beratend tätig sein, der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz behält das letzte Wort.
Vermutlich Anfang kommenden Jahres dürfte der Strafprozess gegen Pierin Vincenz eröffnet werden. Läuft alles nach Plan, hat die Raiffeisen-Gruppe dann die wichtigsten Lehren aus dem Debakel bereits gezogen.
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