Psychiater: «Manche Täter sind einfach böse»
Marc Graf über die Therapierbarkeit von sadistischen Straftätern.

Für eine lebenslange Verwahrung müssen Gutachter zum Schluss kommen, dass ein Täter «dauerhaft nicht therapierbar» sei. Ist eine solche Aussage überhaupt möglich?
Das Bundesgericht interpretiert «dauerhaft» als «lebenslänglich». Eine solche Prognose kann man nur in ein paar sehr exotischen Fällen stellen.
Konkret?
Bei Tätern, die nicht mehr lange leben und eine Störung haben, die man in den nächsten Jahren mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht behandeln kann.
Was sind das für Störungen?
Zum Beispiel schwere hirnorganische Verletzungen oder eine frühzeitige massive Demenz bei einem Sexualstraftäter. Aber bei allen anderen Persönlichkeitsstörungen oder Störungen der Sexualpräferenz kann man in der Regel nicht sagen, dass man jemanden lebenslänglich nicht behandeln kann. «Nicht behandeln können» meint, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit nicht so sinkt, dass eine Behörde oder ein Richter die Entlassung eines Täters als verhältnismässig beurteilt.
Am Vierfachmord von Rupperswil sorgt nicht zuletzt die brutale und sadistische Vorgehensweise für Fassungslosigkeit. Spielt der Grad der Grausamkeit einer Tat eine Rolle für die Therapierbarkeit?
Ja, weil die Grausamkeit häufig ein Ausdruck der Persönlichkeitsstruktur ist. Sie zeigt, dass ein Täter bereit ist, soziale und gesellschaftliche Normen für die eigene Bedürfnisbefriedigung zu verletzen, gerade beim Sadismus. Eine grosse Grausamkeit spricht oft für eine tief greifende strukturelle Störung, die schlechter behandelbar ist.
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Video: «Warum mussten die vier Menschen sterben?»
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Kommt es vor, dass jemand tötet, ohne dass er psychisch krank ist – sondern einfach böse?
Ja. Denken Sie zum Beispiel an häusliche Gewalt.
Laut einer neuen Studie wird kaum ein Täter aus der ordentlichen Verwahrung entlassen. Warum?
Es handelt sich um eine negative Selektion. Wir reden hier von Tätern, die eine hohe Rückfallgefahr haben und über die nächste Zeit nicht behandelbar sind. Sie bekommen auch keine intensive Behandlung, also wird sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auch wenig ändern. Und diese Tätergruppe altert. Wir kommen langsam an den Punkt, wo gleich viele Straftäter in der Verwahrung sterben wie entlassen werden.
Wann sind Freilassungen besonders selten?
Bei schweren Sexualdelikten wie Sexualmord, Kindsmissbrauch, schweren Vergewaltigungen. Und bei schweren Tötungsdelikten, also Mord.
Was braucht es eigentlich, damit ein Verwahrter rauskommt?
Sicher einen guten Vollzugsverlauf. Diese Woche wurde bekannt, dass der Bankräuber Hugo Portmann freikommen soll und nicht nachträglich verwahrt wird, obwohl er eine Therapie stets abgelehnt hat. Er wird entlassen, weil er einen guten Verlauf und keine psychischen Störungen im engeren Sinn hat. Hinzu kommt: Ein 65-jähriger Mann, der mit 30 schwere Straftaten begangen hat, stellt nicht mehr das gleiche Risiko dar. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit mit dem Alter ganz massiv abnimmt.
Warum?
Es gibt verschiedene Faktoren. Ich bin sicher, dass bei Gewalt- und Sexualdelikten auch der männliche Testosteronspiegel eine Rolle spielt. Er nimmt bereits ab 30 deutlich ab.
Straftäter sind oft Meister der Manipulation. Wie wappnet man sich als Gutachter dagegen, dass man ausgetrickst wird?
Wir wissen ja, dass sie das können, und lernen schon in der Ausbildung, wie man damit umgeht. Man kennt die eigenen Verletzlichkeiten und weiss, wo man verführt werden kann.
Kann ein Ersttäter wie der mutmassliche Mörder von Rupperswil verwahrt werden?
Das kann ich mir bei ganz schweren Gewalttaten vorstellen.
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