Radikaler Angriff auf die Bauern
Eine Volksinitiative will das Trinkwasser schützen. Dafür sollen Landwirten breitflächig die Direktzahlungen gestrichen werden. Bereits haben 70'000 Menschen unterschrieben.

Die Vorlage zur «Ernährungssicherheit» ist ein Kuriosum. Der Verfassungstext stösst keine Gesetzesänderungen an, unmittelbar anwendbar ist der Verfassungsartikel aber auch nicht. Wie auch immer das Stimmvolk am 24. September entscheiden wird: Für die Bauern dürfte sich nichts Substanzielles ändern.
Ein ganz anderes Kaliber ist da die Volksinitiative «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung». Sie will die Schweizer Landwirtschaft gründlich umpflügen. Künftig sollen nur noch jene Bauern Direktzahlungen oder Subventionen erhalten, die folgende Auflagen erfüllen: Sie setzen keine Pestizide ein, sie behandeln ihre Tiere nicht prophylaktisch mit Antibiotika, und sie halten auf ihrem Hof nur so viele Tiere, wie sie ohne Futtermittelimporte ernähren können.
Wie viele Bauern mindestens eine dieser Bedingungen heute nicht erfüllen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber es dürfte ein beträchtlicher Teil der 52'000 Höfe im Land von der Initiative betroffen sein, wie ein Blick allein auf den Pestizidverbrauch zeigt. In der Schweiz kommen pro Jahr circa 2200 Tonnen Pestizide zum Einsatz – das sind pro Hektare deutlich grössere Mengen als in den Nachbarländern.
Ein Sammelerfolg von Privaten
Das Anliegen scheint einen Nerv zu treffen. Obschon die Sammlung erst seit diesem März läuft und die Initianten noch Zeit bis September 2018 haben, die nötigen 100'000 gültigen Unterschriften zu sammeln, sind bereits etwas mehr als 70'000 zusammengekommen. Franziska Herren vom Initiativkomitee bestätigt entsprechende TA-Informationen. Zwar ging es bei anderen Volksinitiativen noch schneller, etwa bei der «Stop F/A-18»-Initiative, die 1992 nach weniger als drei Wochen mit 200'000 Unterschriften zustande gekommen war.
Bemerkenswert ist der Sammelerfolg der Trinkwasserschützer gleichwohl, handelt es sich doch um eine Gruppe von Privatpersonen, die bislang ohne Hilfe von Parteien oder namhaften Verbänden auskommen mussten. Das wird sich nun aber ändern. Als erste grosse Umweltorganisation wird Greenpeace die Sammlung offiziell unterstützen, wie die Geschäftsleitung jüngst beschlossen, aber noch nicht kommuniziert hat.
Alles andere als erfreut über die Popularität der Initiative ist der Bauernverband (SBV): «Die Initiative würde die Lebensmittelproduktion in der Schweiz stark einschränken und zu massiv mehr Importen führen, für welche die entsprechenden Auflagen nicht gelten.» Dass in den Bereichen, welche die Initiative anspricht, Handlungsbedarf besteht, ist allgemein anerkannt und wird auch vom SBV nicht bestritten. «Auch wir unterstützen das Anliegen nach sauberem Trinkwasser und sind bereit, an Verbesserungen zu arbeiten», sagt SBV-Präsident und CVP-Nationalrat Markus Ritter. Doch dazu setzt der SBV auf andere Instrumente: zum einen auf den Aktionsplan Pflanzenschutz, den der Bundesrat wohl im September verabschieden wird, zum anderen auf die Nationale Strategie Antibiotikaresistenzen, an welcher der SBV mitarbeitet.
Acht Jahre Übergangsfrist
Im Lager der Bauern wird die Initiative als Frontalangriff gewertet. Für Kritik sorgt insbesondere, dass die Initiative ökonomische und soziale Aspekte ausblende und das Bauernsterben forciere. Davon wollen die Initianten jedoch nichts wissen. Sie verweisen auf die Bundesverfassung: Der Bund, heisst es dort, sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine «nachhaltige» Produktion einen «wesentlichen» Beitrag zur «Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen» leiste.
Ökonomisch und sozial verträglich ist die Initiative laut ihren Promotoren, weil sie eine Übergangsfrist von acht Jahren vorsieht. Den Landwirten, so Herren, bleibe so genug Zeit für eine Umstellung. Markus Ritter indes warnt davor, am Markt vorbeizuproduzieren: Der Anteil der Biolebensmittel liege im Schnitt bei unter 20 Prozent, der Einkaufstourismus zeige, dass viele Konsumenten vor allem auf den Preis schauten. Eine rigorose Umstellung auf Biolandbau hätte laut Ritter demnach zur Folge, dass «unsere Produkte mit günstigen Importen ersetzt werden».
Dämpfer für die Initianten
Die Voten deuten an, dass die Auseinandersetzungen im Parlament und später im Abstimmungskampf heftig werden dürften. Entscheidend wird sein, ob sich die Initianten über das rot-grüne Lager hinaus Unterstützung sichern können. Ein gewichtiger Akteur hält sich jedoch zurück: der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW).
Als Hüter über die Trinkwasserqualität begrüsst der Verein zwar die Ziele der Initiative – ebenso jene der Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» der Westschweizer Gruppe Future 3.0, die sich ebenfalls im Sammelstadium befindet. «Wir unterstützen sie aber nicht aktiv, da wir der Landwirtschaft nicht vorschreiben wollen, wie sie flächendeckend produzieren soll», sagt Sprecher Paul Sicher. Die Landwirtschaft müsse einfach gewährleisten können, dass der Pestizideintrag in die Gewässer minimiert werde.
Von der Initiative verspricht sich der SVGW gleichwohl einen Nutzen. Er hofft, dass der Schutz des Trinkwassers so in der Öffentlichkeit «mehr Gehör findet». Doch eine breite Debatte, räumt Sicher ein, berge auch Risiken: «In der Bevölkerung könnte der Eindruck entstehen, dass bereits jetzt die Qualität des Trinkwassers vermindert ist – was aber nicht der Fall ist.» Die Trinkwasserressourcen der Schweiz stünden zwar unter Druck; sie würden unter anderem durch Pestizideinträge beeinträchtigt. Vorläufig gelinge es aber trotzdem, 70 Prozent des Trinkwassers natürlich und ohne oder nur mit einfacher Aufbereitung zu gewinnen. «Dieses Privileg der Schweiz möchten wir erhalten», sagt Sicher. Der Verein sei deshalb bereit, an einem allfälligen Gegenvorschlag zur Initiative mitzuarbeiten.
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