«Rehabilitierung von Herrn Kachelmann sehr viel näher gerückt»
Nach 20 Stunden vor Gericht ist das mutmassliche Opfer Sabine W. aus dem Zeugenstand entlassen worden. Die Verteidiger von Jörg Kachelmann zeigen sich mit der Vernehmung zufrieden. Der Staatsanwalt widerspricht.
Im Kachelmann-Prozess vor dem Landgericht Mannheim ist ein zentraler Teil der Beweisaufnahme beendet. Die Ex-Geliebte des Wettermoderators Jörg Kachelmann hat am Mittwochmittag nach insgesamt 20-stündiger Vernehmung ihre Zeugenaussage vorläufig abgeschlossen.
Verteidigung und Staatsanwaltschaft bewerteten die Aussage der Hauptzeugin unterschiedlich. Kachelmanns Anwalt Reinhard Birkenstock sagte: «Meines Erachtens hat die Vernehmung uns dem Ziel der Rehabilitierung von Herrn Kachelmann sehr viel näher gebracht.» Staatsanwalt Lars-Torsten Oltrogge widersprach: «Ich halte das für Wunschdenken.» Die 37-jährige Radiomoderatorin gibt an, in der Nacht des 9. Februar 2010 von ihrem langjährigen Freund mit einem Messer bedroht und vergewaltigt worden zu sein. Der 52-jährige Schweizer bestreitet die Vorwürfe.
Aussagen nicht überprüfbar
Vier Tage lang hatte die hagere blonde Frau unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. Nur als sie entschlossenen Schrittes zum Zeugenstuhl lief und mit fester Stimme ihre Personalien angab, bekamen die Zuschauer einen kurzen Eindruck von ihr. Danach schlossen sich für die Öffentlichkeit die Türen. Was sie an den vier Tagen im Einzelnen aussagte, blieb geheim. Deshalb sind Wertungen, ob die Aussage einen Freispruch oder eine Verurteilung des Angeklagten wahrscheinlicher macht, für die Öffentlichkeit nicht überprüfbar.
Am Nachmittag vernahm die Strafkammer den Heidelberger Traumatologen Professor Günter Seidler, der seit dem Frühjahr gleichzeitig Therapeut des mutmasslichen Vergewaltigungsopfers ist und zur Traumatisierung des möglichen Opfers aussagen soll. Hintergrund sind Gedächtnislücken der Ex-Freundin zu Einzelheiten der Vergewaltigung, die der Therapeut mit ihrer Traumatisierung erklärt. Die Öffentlichkeit wurde bei Vernehmung des sachverständigen Zeugen erneut ausgeschlossen. Sowohl der Anwalt der Nebenklägerin als auch Seidler hatten dies beantragt, weil Tatsachen aus dem engsten persönlichen Lebens- und Intimbereich der Frau erörtert würden.
Die These, dass Zustände von Todesangst Gedächtnislücken auslösen, wird vor dem Landgericht Mannheim von anderen Experten bestritten. Gutachter-Streitigkeiten sind im Kachelmann-Prozess deshalb noch reichlich zu erwarten. Das Gericht hat vier Sachverständige benannt. Kachelmann hat weitere fünf Gutachter beauftragt. Der Prozess ist bis 21. Dezember 2010 terminiert.
Chatverkehr und pikante Fotos
Vor der Befragung von Sabine W. hatte Kachelmann-Anwalt Birkenstock eine Anfrage ans Gericht gestellt. Gemäss einem Bericht von «Bild Online» geht es um pikante Fotos und schriftlichen Chatverkehr zwischen Kachelmann und Sabine W. Die Unterlagen, erklärte Birkenstock, sprächen für «keine sehr hohe Scham» zwischen dem Wettermoderator und seiner Ex-Geliebten. Das Mannheimer Gericht entschied, dass der schriftliche Chatverkehr nachgelesen und nicht im Prozess präsentiert werden soll.
Die Verteidigung geht davon aus, dass Sabine W. ihren langjährigen Freund zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt. Die Ex-Freundin, die bereits zum vierten Mal im Zeugenstand steht, bleibt dagegen bei ihrer Aussage. Vor der heutigen Vernehmung hatten Gericht und Staatsanwaltschaft die Frau bereits während insgesamt rund 16 Stunden befragt.
Eine Gutachterschlacht
Der seit 6. September laufende Vergewaltigungs-Prozess weist schon jetzt zwei Besonderheiten auf: Die aussergewöhnliche lange und intensive Befragung des möglichen Opfers und die Gutachterschlacht. Denn nicht nur die fünf Gutachter Kachelmanns wollen zur Klärung beitragen, ob die Ex-Freundin in ihrer Schwetzinger Wohnung brutal vergewaltigt wurde oder ob sie lügt. Das Gericht selbst hat vier Sachverständige beauftragt, so dass jetzt insgesamt neun Experten im Gerichtssaal sitzen.
Die fünf Privatgutachter Kachelmanns glauben, belegen zu können, dass die Aussagen des angeblichen Opfers nicht glaubhaft sind. Die Aussageexperten Hans Markowitsch (Bielefeld) und Günter Köhnken (Kiel) sehen deutliche Mängel in der Aussage der Belastungszeugin.
Die von Kachelmann beauftragten Mediziner Steven Paul Rand (Münster), Markus Rothschild (Köln) und Klaus Püschel (Hamburg) wollen ausserdem belegen, dass sich die Ex-Geliebte Kachelmanns ihre Verletzung am Hals und die blauen Flecke an den Oberschenkeln selbst zufügte. Auch die DNA-Spur auf dem Küchenmesser, mit dem Kachelmann seine Freundin am 9. Februar 2010 bedroht haben soll, sei ihm nicht zuzuordnen. Schliesslich seien die zahlreichen Flecke auf dem Bett Zeichen für einen «variantenreichen Geschlechtskontakt», nicht für eine Vergewaltigung.
Die vom Gericht beauftragten vier Sachverständigen sollen zu denselben Themen Stellung nehmen. Die Bremer Psychologin Luise Greuel hat die Opferaussage beurteilt. Der Berliner Psychiater Hans-Ludwig Kröber wird dazu gehört, ob die Ex-Freundin trotz der möglichen Traumatisierung aussagetüchtig ist. Der Rechtsmediziner Rainer Mattern (Heidelberg) soll klären helfen, ob die Verletzungen von der Vergewaltigung herrühren oder selbst beigebracht sein können. Schliesslich soll Hartmut Pleines (Heidelberg) Kachelmann begutachten.
Mangel an Unabhängigkeit
Der Unterschied zwischen einem gerichtlich bestellten Sachverständigen und einem Privatgutachter ist, dass der gerichtlich Bestellte sein Gutachten der Strafkammer vorlegen muss. Gibt ein Angeklagter ein Gutachten in Auftrag, entscheidet er selbst über die Verwendung vor Gericht. Er könnte also ein für ihn weniger günstiges Ergebnis unberücksichtigt lassen. Ausserdem wird in der privaten Bezahlung des Gutachters ein möglicher Mangel an Unabhängigkeit gesehen.
Im Kachelmann-Prozess hat die Verteidigung beantragt, die fünf Privatgutachter zu gerichtlichen Sachverständigen zu bestellen. Hierüber wurde bisher noch nicht entschieden. Das Fragerecht haben die Fünf im Gerichtssaal dennoch.
dapd/sda/afp/oku/vin
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