Reportage aus der Dunkelheit
Eine Touristin ist im Berliner Technoclub Berghain an einer Überdosis gestorben. Nun gibt es Kritik an der dramatischen «Spiegel»-Story.

Das Berghain in Berlin gilt vielen als kompromisslosester Club der Welt. Innenarchitektur wie eine Kathedrale, teuerstes Soundsystem, bretterharter Techno, Darkrooms, wo man sich tiefgefrorene Würste einführen lassen kann. Und vor allem: eine erbarmungslose Türpolitik. Wer es reinschafft, gehört dazu. Es ist deshalb kaum etwas Negatives über den Club zu hören – bis jetzt.
«Todeskampf im Berghain» ist eine mehrseitige Reportage im neusten «Spiegel»-Magazin betitelt. In den sozialen Medien ist sie Gesprächsthema geworden, denn sie liest sich dramatisch: Jenifer und Carlo, ein Paar aus den USA, wollen noch einmal auf den Putz hauen, bevor sie eine Familie gründen. Wider Erwarten lässt der Türsteher die Touristen ein, nimmt Jenifer aber eine mitgebrachte Ecstasypille ab.

Weil sie mit ihrem Mann keine Pille teilen will, besorgt sich die zierliche Frau im Club zwei weitere, die sie heimlich schluckt. Im Rausch verliert sich das Paar aus den Augen. Irgendwann piepst Carlos Handy – eine Nachricht von einer Berghain-Mitarbeiterin: «Deiner Freundin geht es schlecht. Komm nach unten.»
Hinter der Garderobe sitzt Jenifer zitternd und schwitzend auf einem Sofa, sie hat Schaum um den Mund. Carlo verlangt einen Notarzt, doch die Mitarbeiterin sagt, Jenifer erhole sich von allein. Sie habe das oft gesehen. Doch Carlo lässt nicht nach. Nach einer Viertelstunde ruft die Frau einen Krankenwagen. Vier Stunden später stirbt Jenifer im Spital an Überhitzung, inneren Blutungen und Organversagen.
Wahrheit ist wohl langweiliger
«Sie sassen im Herzen der Welt. Es schlug voller Lebenslust. Und dann verschluckte es Jenifer», heisst es im «Spiegel», der dem Berghain und der Polizei kollektives Versagen unterstellt. Doch am Bericht des Nachrichtenmagazins wird nun Kritik laut. Die Berliner Zeitung TAZ schreibt: «Das Berghain muss herhalten, genauso wie der tragische Tod einer Frau, um die Empörungssau durchs Dorf zu treiben: In Clubs werden Drogen konsumiert, und keiner tut etwas!» Tatsächlich ist es nicht klar, ob überhaupt unterlassene Hilfestellung vorliegt. Ob das Leben der Amerikanerin gerettet worden wäre, hätte sie der Notarzt fünfzehn Minuten früher behandelt, klärte der «Spiegel»-Autor nicht ab.
Die Frage ist, ob und wie solche Tragödien verhindert werden können. Menschen nehmen Drogen im Alltag, bei der Arbeit, im Sport oder im Ausgang. Eine drogenfreie Gesellschaft ist illusorisch und lässt sich schon gar nicht durch Gesetze oder Kontrollen etablieren, wie der Fall vom Berghain zeigt, wo der Türsteher Jenifer gefilzt hatte.
Im Unterschied zu Berlin – und den USA – gibt es in der Partystadt Zürich seit 20 Jahren staatlich unterstützte Aufklärungskampagnen und Drogenteststellen. Nicht die Substanzen selbst fordern Menschenleben, sondern der falsche Gebrauch und die gepanschte Ware auf dem Schwarzmarkt. Auch wenn das langweiliger klingt als die Schlagzeile «Todeskampf im Berghain».
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