
Egal wie die Bundesratswahlen am Mittwoch ausgehen werden, sie stehen bereits heute für das Ende einer politischen Ära. Es ist die Ära, in der Christoph Blocher nicht nur die Themen, sondern auch den Stil der Schweizer Politik bestimmte. Um seine Ziele zu erreichen, hat Blocher stets mit Druck und Drohungen gearbeitet. Keiner hat politische Gegner so bösartig verhöhnt wie er – trotz gelegentlich aufblitzendem Charme. Er hat eine Grundaggressivität in die Schweizer Politik getragen, die sich gerade bei Bundesratswahlen mit SVP-Beteiligung stets in aller Gehässigkeit zeigte.
Deshalb sind die aktuellen Bundesratswahlen eine Zäsur. Beide Nominierten der SVP – Albert Rösti und Hans-Ueli Vogt – verkörpern mit ihrem Auftritt Respekt für das System und für die politische Kultur. Erstmals seit der Wahl von Adolf Ogi 1987 wurden Kandidierende mit Lust auf Aggressivität von der Partei noch nicht einmal in Betracht gezogen.
Als Operation-Libero-Präsidentin Sanija Ameti sich mit einem sexistischen Mackerspruch gegen die neue Eintracht stellte, erntete sie entsprechend heftige Schelte. Dabei verdeckt sich hinter ihrem Spruch etwas Wahres: Die neue Freundlichkeit lässt die Polarisierung der Ära Blocher nicht einfach verschwinden. Noch vor kurzem hat die SVP unter Präsident Albert Rösti politische Gegner als Maden im Apfel der Schweiz verunglimpft. Viel mehr Verachtung geht nicht.
Wenig greift das Gewebe der Demokratie stärker an als die Entmenschlichung und Verhöhnung politischer Gegner.
Dennoch, oder gerade deshalb, ist die aktuelle Entwicklung bedeutsam. Es ist nur ein Jahr her, da erlebten wir vor der zweiten Abstimmung zum Covid-19-Gesetz eine unglaubliche Vergiftung des politischen Klimas. Nun erleben wir Bundesratswahlen mit beachtenswerter Würde und Respekt trotz Beteiligung der beiden Polparteien SP und SVP. Auch wenn dieser Wandel rein atmosphärisch ist, er ist alles andere als bedeutungslos.
Wenig greift das Gewebe der Demokratie stärker an als die Entmenschlichung und Verhöhnung politischer Gegner. Doch genau dies ist in den meisten Demokratien in den vergangenen Jahrzehnten geschehen. Mit dem Rückzug vieler Bürgerinnen und Bürger in ihre Filterblasen wurde es immer einfacher, aus Kontrahenten Feinde zu machen.
Konzilianz ist eine Säule der Schweiz. Christoph Blocher hatte darin immer Weichheit und Schwäche gesehen. Mit seinen Angriffen auf die schweizerische Konsenskultur war er jedoch nicht allein – sie zu missachten, gehörte links und rechts zum Zeitgeist. Am Ende ist es nun jedoch das Schweizer Politsystem, das die von Blocher initiierte Kulturrevolution verkleinert und verdaut.
Nur wenn wir bereit sind, gelegentlich die Hand auszustrecken, haben wir die Chance, aus der Abwärtsspirale rauszukommen.
Die Schweiz ist eine politische Integrationsmaschine. Sie bringt Konflikte rasch an die Oberfläche und fördert heftige Auseinandersetzungen. In der langen Frist erreicht hier jedoch wenig, wer es nicht auch mit den anderen kann. Das liegt am Prinzip der auf viele Schultern geteilten Macht. Nach unzähligen Versuchen hat die SVP eingesehen, dass Aggressivität bei Bundesratswahlen nicht zu besseren Ergebnissen führt. Wenn die einen verbal abrüsten, hilft dies auch anderen, es zu tun. Sanija Ameti wird dies vielleicht auch einmal so sehen. Wer SP-Co-Präsident Cédric Wermuth auf Twitter verfolgt, kann bereits einen bemerkenswerten Wandel erkennen.
Natürlich bedeutet eine respektvolle Bundesratswahl nicht das Ende extremer, unmenschlicher Positionen und garantiert keine guten politischen Lösungen. In der Zeit schriller Parallelwelten und unerbittlicher Informations- und Kulturkriege, vor dem Hintergrund autokratischer Angriffe auf die Demokratie ist der von der grossen Politik vorgelebte respektvolle Umgang mit politischen Andersdenkenden jedoch von unvorstellbarem Wert. Nur wenn wir bereit sind, gelegentlich die Hand auszustrecken, haben wir die Chance, aus der Abwärtsspirale rauszukommen, in der man auf Gegner schlagen darf, weil diese es ja auch schon getan haben.
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Kolumne von Michael Hermann – Respekt für diese Bundesratswahl
Das schweizerische Politsystem fördert heftige Auseinandersetzungen. Langfristig erreicht hier jedoch wenig, wer es nicht auch mit den anderen kann. Das hat nun selbst die SVP realisiert.