Geldberater: Der Marktschrei(b)erRichemont glänzt, als wäre nichts
Julius Bär steckt die Skandale weg +++ VAT Group behauptet sich im Tech-Strudel +++ Lem fährt gut mit Elektromobilität.

Richemont: Kaufen
Als ich am Freitagmorgen die Jahreszahlen von Richemont sah, waren keine Zeichen einer Krise erkennbar. Der Umsatz war leicht rückläufig, der Gewinn nahm wegen Sondereffekten stark zu. Bei einer Jahrhundertkrise würde man einen deutlicheren Einbruch erwarten. Dass Richemont die Pandemie bisher nur mit ein paar Kratzern überstand, hat zwei Gründe: Einerseits profitierte der Genfer Luxuskonzern von der starken Erholung seit Anfang Jahr (das Geschäftsjahr endete mit dem März). Das half, die negative Entwicklung des ersten Geschäftshalbjahrs praktisch zu kompensieren. Andererseits lebt Richemont fast ausschliesslich von seinen Schmuckmarken, allen voran Cartier. Mit ihnen erzielt das Unternehmen mehr als die Hälfte des Umsatzes sowie mehr Gewinn. Das heisst: Der Schmuck-Erfolg subventioniert Bereiche wie den E-Commerce, die noch nicht profitabel sind. Da gerät schon fast in Vergessenheit, dass Richemont auch Besitzer zahlreicher Uhrenmarken ist. Dieser Bereich ist seit Jahren die grösste Baustelle. Zuletzt wurde stark investiert, um Marken wie Panerai, IWC und Vacheron Constantin auf eine gute Basis zu stellen. Sollte hier der Turnaround gelingen, könnte Richemont weiteres Gewinnpotenzial generieren. Nach den jüngsten Kursgewinnen dürfte zwar erst mal die Luft etwas draussen sein. Geduldige Anleger greifen trotzdem zu. Kaufen
Julius Bär: Halten
Ich muss ehrlich sagen, dass es so schnell geht, hätte ich nicht gedacht: Seit diesem Frühling handeln die Aktien von Julius Bär wieder zu Preisen um den doppelten Buchwert. Damit sind die Titel ebenso stattlich bewertet wie noch Anfang 2018, bevor eine Barrage von juristischen Altlasten die Zürcher Privatbank in die Misere gestürzt hatte. Diese ist offenbar überwunden. Im Jahr zwei nach CEO Philipp Rickenbachers Strategiepräsentation tragen die Sparmassnahmen Früchte; Julius Bär konnte in den ersten vier Monaten des Jahres mit einem sehr guten Kosten-Ertrags-Verhältnis von 60 Prozent positiv überraschen. Auch das Verhältnis des Vorsteuergewinns zum verwalteten Vermögen konnte sich sehen lassen. Das macht mich optimistisch, dass auch heuer ein kräftiger Gewinnschub ansteht. Ob diese Aussichten allerdings genügen, um die Aktie weiter steigen zu lassen, weiss ich nicht. Denn die Erträge sind immer noch zu sehr von den volatilen Börsen getrieben. Dieser Effekt muss irgendwann erlahmen. Und nicht zuletzt reden wir hier von einer Bank, wenn auch einer mit konservativem Risikoprofil. Sollten plötzlich Zweifel an der wirtschaftlichen Erholung aufkommen, werden die Aktien von Julius Bär wieder in Sippenhaft geraten. Auch wenn mir der gut laufende Turnaround von Julius Bär Respekt abringt, bleibe ich daher eher vorsichtig. Halten
VAT: Kaufen
Jetzt gilt es, Ruhe zu bewahren. Die Schweizer Zulieferer für die Halbleiterindustrie, Comet, VAT und Inficon, sind in den Sog einer Kurskorrektur geraten, die amerikanische Technologieunternehmen seit April erfahren. Diese Abschläge sind bei den Chipzulieferern angesichts des mächtigen Zyklus, der in der Halbleiterindustrie gerade erst begonnen hat, nicht gerechtfertigt. Ob Autos, Kameras, Drucker, Spielekonsolen oder neue Rechenzentren, die Nachfrage kommt von allen Seiten, und die Produktionskapazitäten geraten an den Anschlag. Das diesjährige Marktwachstum wird auf fast 20 Prozent geschätzt, und die Grossen der Branchen wie TSMC oder Samsung wollen dreistellige Milliardenbeträge in zusätzliche Kapazitäten investieren. Ich bin mir sicher, dass da auch für die Schweizer Zulieferer eine Menge abfallen wird und die Kurse sich rasch wieder erholen. VAT liefert zum Beispiel Hochvakuumventile, ohne die die komplexe Herstellung von Mikrochips unmöglich wäre. Zusätzlich zum Boom im Halbleitermarkt spürt das Unternehmen auch Nachfrageimpulse aus der Industrie und eine Belebung des Servicegeschäfts. Der Auftragseingang ist im ersten Quartal um 33 Prozent gestiegen. Die Valoren sind nach wie vor hoch bewertet. Wegen der guten Wachstumsperspektiven sind sie aber weiterhin attraktiv. Der aktuelle Abschlag macht ein Engagement vorübergehend leichter. Kaufen
Lem: Halten
Lem kommt aus den Krisen nicht heraus: Nach der Selbstfindungsphase der Autoindustrie 2019 kam Corona. Derzeit macht dem Autozulieferer die Knappheit bei Halbleitern zu schaffen. Mit der steigenden Inflation zeichnet sich am Horizont der nächste Brennpunkt ab. Wer nun ein Trauerspiel für Aktionäre erwartet, irrt sich allerdings. Seit Anfang 2019 haben sich die Valoren verdoppelt, obschon Umsatz und Gewinn seitwärts tendieren. Trotzdem ist der Kurs nicht von heisser Luft getrieben. Lem meisterte bis jetzt jede Krise geschickt. Die Suche der Autobranche nach dem Antrieb der Zukunft hat Lem mit «Elektro!» beantwortet. Das zahlt sich aus. In der Sparte Automotive macht Lem inzwischen vier von fünf Franken Umsatz mit Komponenten für elektrische und hybride Antriebe. Die Pandemie hat Lem dank gutem Mix bei Absatzmärkten und Produktionsstandorten relativ gut überstanden. Derzeit akut ist der Engpass bei den Halbleitern. Bei der Präsentation der Jahreszahlen sagte Chef Frank Rehfeld, Lem könne nicht alle Aufträge abarbeiten. Das führt zu aufgeblähten Bestellungen. «Unsere Kunden bestellen nun einfach 120 Prozent ihres Bedarfs in der Annahme, dass sie 90 Prozent der Bestellmenge erhalten.» Im Ausblick ist Lem vorsichtig. Wetten, dass das Unternehmen sich auch mit Inflation gut schlagen wird? Halten
Diese Kolumne wird von den Redaktorinnen und Redaktoren der «Finanz und Wirtschaft» verfasst. Sie haben sich verpflichtet, nicht in den entsprechenden Titeln aktiv zu sein. Wer die Tipps dieser Kolumne umsetzt, tut das auf eigenes Risiko. Die SonntagsZeitung übernimmt keine Verantwortung. Weitere Artikel der «Finanz und Wirtschaft» finden Sie unter www.fuw.ch.
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