Ritalin-Kinder: Die Lehrer sind überfordert
Der Absatz von Medikamenten gegen das Aufmerksamkeits-Syndrom bei Kindern boomt. Das überfordert die meisten Lehrer, sie wissen zu wenig über die Krankheit. Ein Experte verlangt nun: Die Lehrer müssen nachsitzen.

Die Pharmabranche hat letztes Jahr acht Mal mehr Ritalin, Concerta und Medikinet in der Schweiz verkauft als vor zehn Jahren. Ritalin ist am bekanntesten: Dieses Medikament wird Kindern und Jugendlichen verabreicht, die am Aufmerksamkeits-Syndrom (ADHS) leiden. Dass der Markt mit Ritalin und Konsorten boomt, stellt immer mehr Lehrer vor Probleme: «Diese Zunahme ist ein junges Phänomen», sagt Anton Strittmatter, Leiter Pädagogisches beim Schweizerischen Lehrerverband. «Darum ist der Aufklärungsstand bescheiden: Unter den Lehrern herrscht breites Nichtwissen über ADHS und diese Medikamente.»
«Zappelphillipe» und Störenfriede
Viele Lehrer bekunden Mühe damit, wie sie mit Ritalin-Schülern umgehen sollen. Sie glauben, das Problem sei gelöst, wenn die «Zappelphillipe» und Störenfriede in die Schublade ADHS gesteckt werden – und das Wundermittel Ritalin schlucken müssen. Damit ist es laut Strittmatter aber nicht getan: «Verunglimpfungen sind ebenso falsch am Platz wie die Glorifizierung von Ritalin als Wunderdroge.» Das Problem sei, dass die Diagnose ADHS nicht eindeutig ist. Darum müsse der Arzt alle möglichen Behandlungsmethoden prüfen – Ritalin, Neurofeedback oder Diäten (siehe Box).
Es ist genau dieser Theorien-Dschungel, der die Lehrerschaft überfordert. «Die Lehrer sitzen halbinformiert zwischen diesen Theorien», sagt Strittmatter. In der Lehrerausbildung würde das Phänomen nicht behandelt. Kommt dazu, dass sich die Lehrer heute mit Dutzenden Problemen auskennen müssten: Depressionen, Drogen, Gewalt, Übergewicht. «Diese Liste liesse sich beliebig verlängern.» Strittmatters Fazit: Die Lehrer können sich nicht mit allem auskennen.
Ritalin oder raus
Auch Georg Feuser, Professor für Sonderpädagogik an der Universität Zürich, stellt bei den Lehrern eine zunehmende Ratlosigkeit mit ADHS-Kindern fest. «Ritalin ist für die Lehrer der schnellste Weg, auffällige Kinder in den Griff zu bekommen.» Er kennt sogar einen Fall, wo ein Lehrer den Eltern drohte, das Kind aus der Schule zu werfen, wenn es kein Ritalin nehme.
Doch das Medikament ist kein Allerweltsheilmittel, so Feuser. «Die Lehrer müssen besser aufgeklärt sein», fordert er. Dafür müsse das Thema ADHS und Ritalin in der Lehrerausbildung und der Weiterbildung obligatorisch abgehandelt werden. Nur so könnten die Lehrer den Eltern Ratschläge geben, wie sie mit ihrem ADHS-Kind umgehen sollen. Feuser nennt zwei Gründe für den zunehmenden Ritalin-Konsum: Einerseits widerspricht der Frontalunterricht dem Bewegungsbedürfnis von ADHS-Schülern («Da muss es bei ADHS-Kindern knallen»), andererseits können die durchorganisierten Tagesabläufe der Kinder – Frühenglisch, Ballet usw. – das Phänomen auslösen.
«Die Lehrer stehen mit dem Rücken zur Wand: Man versucht heute, die Kinder schulgerecht zu machen, und nicht die Schule kindsgerecht zu gestalten», betont Feuser. Die Lehrer sollten darum versuchen, ihren Unterricht anzupassen – zum Beispiel mit Projektunterricht, wo die Schüler über eine längere Zeit frei an einem Thema arbeiten können und nicht frontal unterrichtet werden.
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