Film-Highlights der Woche«Roter Himmel» ist einer der besten Filme des Jahres
Ebenfalls neu im Kino: die Familiengeschichte «L’immensità» mit Penélope Cruz und die Horrorkomödie «Renfield» mit Nicolas Cage als Dracula.

Roter Himmel
Tragikomödie von Christian Petzold, D 2023, 103 Min.
Ein Sommerfilm mit einem Unterton von Angst und Bedrohung: Der Schriftsteller Leon (Thomas Schubert) und der angehende Fotograf Felix (Langston Uibel) wollen in den Ferien von der Muse geküsst werden, aber das ruhige Ferienhaus im Wald an der Ostseeküste, wohin sie sich zurückziehen, ist schon belegt von Nadja (Paula Beer).
Regisseur Christian Petzold («Barbara») erzählt eine Liebesgeschichte in nahezu apokalyptischen Verhältnissen, der rote Himmel ist kein romantischer Sonnenuntergang, sondern stammt von Waldbränden, die immer näher rücken.
Kaum jemand kann so genau Figuren zeichnen und Emotion erzeugen wie Petzold. «Roter Himmel» ist einer der besten deutschen Filme des Jahres, an der Berlinale mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet. (SZ)
Arthouse Alba, Riffraff
L’immensità
Drama von Emanuele Crialese, I/F 2022, 97 Min.
Die 70er-Jahre in Rom. Ein Kind (Luana Giuliani) steht auf einem Flachdach und spannt zwischen Antennen einen Stern aus weissem Faden. Es breitet die Arme aus, blickt zum Himmel, will in Kontakt treten mit einer überirdischen Macht. Nichts geschieht, das Kind steigt die Treppe hinab zur Familienwohnung. Hier wird es Adriana genannt. Aber Adriana fühlt sich nicht als Mädchen und wäre lieber Andrea.
Auch die Mutter (Penélope Cruz) ist unzufrieden mit ihrem Leben, in der Ehe kriselt es gewaltig. Mutter und Kind suchen einen Ausweg aus dem Korsett der konservativen Gesellschaft, die ihnen das Leben erschwert – und finden Zuflucht im Spiel und in der Fantasie. Da will eben Andrea eine überirdische Macht kontaktieren, oder da kriecht die Mutter während der Weihnachtsfeier mit ihren Kindern unter den Tisch, um die Gäste an den Beinen zu kitzeln.
«L’immensità» ist der fünfte Spielfilm des italienischen Filmemachers Emanuele Crialese. Er bleibt seinen Themen treu: Auch hier zeigt er anhand einer italienischen Familie gesellschaftliche Probleme auf. Sein Umgang mit der Geschichte und ihren Figuren ist aber so behutsam wie kaum je zuvor: Vieles wird angedeutet, wenig vollständig enthüllt. «L’immensità» besticht mit zärtlich porträtierten zwischenmenschlichen Beziehungen, mit Aufnahmen, die farblich perfekt harmonieren, und mit eindrücklichen Schauplätzen. Crialeses Zärtlichkeit rührt womöglich daher, dass der Film autobiografisch inspiriert ist: Bei der Premiere in Venedig outete sich der Regisseur als trans Mann. (ric)
Ab Do 1.6. im Kino
Vorpremiere im Lunchkino: Do 25.5.–Mi 31.5 Uhr, Arthouse Le Paris
Renfield
Horrorkomödie von Chris McKay, USA 2023, 93 Min.
«Ich muss raus aus einer toxischen Beziehung!» Renfield (Nicholas Hoult) platzt in eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die von ihren Partnern misshandelt werden. Er braucht Ratschläge, wie er sich endlich von seinem Boss lösen kann: Dracula (Nicolas Cage). Vor neunzig Jahren gab ihm der Vampir ewiges Leben und Superkräfte, machte ihn damit aber auch zu seinem Sklaven.
Der Kniff, das Verhältnis zwischen Dracula und seinem menschlichen Helfer durch den Filter moderner Beziehungspsychologie zu betrachten, ist witzig, und der Film weiss tatsächlich ein paar Sachen über die Banalität böser Menschen zu sagen. Daneben gibts Splattereffekte und überdrehte Action. Ein grosser Spass.
Hoult und Cage sind perfekt in ihren Rollen, was auch für die Rapperin Awkwafina gilt, die hier eine mutige Polizistin spielt. Auf die ist Renfield bald angewiesen: Als er sich endlich von Dracula trennt, tut sich dieser mit der örtlichen Mafia zusammen. (ggs)
Abaton, Arena, Capitol
L'îlot
Dokumentarfilm von Tizian Büchi, CH 2022, 104 Min.
Am vergangenen Visions du Réel, dem Dokumentarfilmfestival in Nyon, gewann «L’îlot» den Hauptpreis. Und das zu Recht: Aus einer zunächst ganz gewöhnlichen Alltagsdarstellung wird hier allmählich eine Märchengeschichte. Es ist ein packendes Spiel mit Wahrheit und Dichtung, das der Neuenburger Regisseur Tizian Büchi in seinem Langfilmdebüt spielt.
Im Zentrum von «L’îlot» stehen zwei Wachmänner, der eine aus Angola, der andere aus dem Irak. Die beiden schauen in einem Quartier in Lausanne nach dem Rechten. Wir begleiten sie bei der Arbeit, hören ihren Gesprächen zu und lernen durch sie Menschen aus der Nachbarschaft kennen. Vor allem müssen die Wächter sicherstellen, dass die Anwohnerinnen und Anwohner dem Bach fernbleiben, der an der Grenze zum nächsten Quartier fliesst.
Nun kommt der Märchenanteil ins Spiel: Man erzählt sich in der Gegend, dass sich einst eine junge Frau und ein junger Mann aus den verfeindeten Stadtteilen ineinander verliebten. Sie trafen sich heimlich am Bach, bis sie eines Tages verschwanden. Gab es das Paar wirklich? Jedenfalls hat einer der Wachmänner eine unheimliche nächtliche Begegnung. (ggs)
Houdini
White Men Can't Jump
Sportkomödie von Calmatic, USA 2023, 102 Min.
Der Film ist ein Remake des gleichnamigen Basketball-Buddy-Films von 1992, die damalige Chemie zwischen den Hauptdarstellern Woody Harrelson und Wesley Snipes ist unvergessen. Da stellen sich Fragen beim Vergleich mit dem Original. Sind die Sujets auch heute noch relevant? Ist es so umgesetzt, dass es einen interessiert, berührt, bewegt?
Bei «White Men Can't Jump» lauten die Antworten: Ja und Ja. Regisseur Charles Kidd aka Calmatic ist in South L.A. aufgewachsen und hat sich mit Musikvideos, unter anderem für Kendrick Lamar, ordentlich Street Cred erarbeitet. Er erzählt die Geschichte von Kamal (Sinqua Walls) und Jeremy (Rap-Star Jack Harlow), zwei gescheiterten Basketballtalenten, einfühlsam und mit viel Humor. Witze über Rassismus berühren einen auch im Jahr 2023. (SZ)
Auf Disney+
White House Plumbers
Politsatire-Serie von Alex Gregory und Peter Huyck, USA 2023, 5 Folgen
Sie heben die Gläser und lachen, die fünf Männer, und lassen Richard Nixon hochleben. Er soll Amerika retten, die Demokratie und die Freiheit, und sie werden alles tun, wirklich alles, damit er als Präsident wiedergewählt wird. Der kleine Trupp wird ins Hauptquartier des politischen Gegners einsteigen, der Demokratischen Partei, Dokumente fotografieren, die Räume verwanzen: Schauplatz ist das Watergate-Gebäude in Washington, Juli 1972.
Die fünfteilige HBO-Serie «White House Plumbers» erzählt den Watergate-Skandal, der schliesslich zu Nixons Abdankung führte, als lächerliches Trauerspiel, als Paradestück des politischen Dilettantismus. Es brauchte vier Einbruchsversuche, beim zweiten hatte die Bande falsche Werkzeuge dabei, beim vierten wurde sie geschnappt.
Die Handlanger dieses amerikanischen Traums, Hunt und Liddy (Woody Harrelson und Justin Theroux), sind spiessige, impotente Wichtigtuer. Ihr erster Auftrag war, Informationslöcher in der Nixon-Administration zu stopfen – ein Klempner-Job eben. (SZ)
Auf Sky Show
Stage Struck
Liebeskomödie von Allan Dwan, USA 1925, 80 Min.

Der stellvertretende Leiter des Filmpodiums, Michel Bodmer, geht in den Ruhestand, präsentiert vorher aber noch eine Reihe mit seinen Favoriten. Dazu gehört «Stage Struck»: Eine Kellnerin liebt heimlich den Koch, dieser schwärmt allerdings für Schauspielerinnen. Als ein Bühnenschiff anlegt und die Hauptdarstellerin an Land kommt, ist der Mann hin und weg, und die Kellnerin unternimmt alles, um die Konkurrentin auszustechen.
Der Stummfilm lebt von Gloria Swanson, einer der grossen Komödiantinnen ihrer Zeit, und überrascht mit Farbfilmsequenzen. Für die Musikbegleitung sorgt Neil Brand am Klavier. (ggs)
Fr 26.5., 20.45 Uhr, Filmpodium
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