
Im Saal Nummer 7 ist die Hierarchie erst einmal auf den Kopf gestellt. Omer Dzemali muss hinten anstehen.
Nachdem sich er Chefarzt der Herzchirurgie von der Anästhesie auf den Stand der Dinge hat bringen lassen, montiert er seine Lupenbrille, darüber das Gestell mit der speziellen Stirnlampe. Sie bleibt dunkel. Vor ihm leuchtet der blaue Schlauch des Oberarztes, der sich bereits zum Herzen des Patienten vorgearbeitet hat. Glasfasern transportieren das Licht aus einem kleinen Gerät über den Boden, den Rücken und schliesslich auf die Stirn des Operateurs – es ist ein bisschen wie beim Fernsehen: Die Kamera, deren Licht gerade leuchtet, ist die wichtigste.
Der Running Gag, es geht los
Wenn Omer Dzemali dann endlich vorne am Tisch steht, wünscht er erst einmal, dass dieser nach unten gefahren wird. Noch weiter nach unten, verlangt der Chef. «Wir sind ganz unten, Omer», tönt es unter einer Maske hervor. Es scheint fast, als wäre das ein Running Gag, das Zeichen dafür, dass die Operation nun an dem Punkt angelangt ist, an dem der Chef ran muss. Ran darf.
Seit September 2018 ist Omer Dzemali Chefarzt der Herzchirurgie am Stadtspital Triemli, er hat von Michele Genoni übernommen, der die Geschicke der Klinik zuvor über zehn Jahre geleitet hat. Unter ihm hat Dzemali seit 2009 als leitender Arzt gearbeitet. Zuvor war er in Frankfurt und Mainz, wo er auch studiert hat. Die ersten beiden Jahre des Studiums, 1990 bis 1992 in Sarajevo, wurden ihm nicht anerkannt. Der Albaner aus Mazedonien kam als Kriegsflüchtling nach Deutschland, in einem Flieger der UNO, es gab nur noch Stehplätze.
Die Erinnerung kehrt zurück
Er liebe seine Arbeit als Chirurg, erzählt der 48-jährige Dzemali in seinem Büro. Dort wartet er darauf, dass sein Telefon klingelt, dass er ran muss. Also ran darf. Aortenbogenersatz, angeborenen Klappenfehler beheben, vier Bypässe, um die erkrankten Herzkranzgefässe zu entlasten, ein Löchlein zwischen der rechten und der linken Herzvorkammer verschliessen, «ein Patient mit vielen Problemen», fasst Dzemali zusammen.
So heftig der Eingriff sei – allein, wie sie den Brustkorb spreizen, oder dann den Kreislauf zum Stillstand bringen –, so schnell gehe es den Patienten nach den Eingriffen jeweils wieder besser. Auch das liebt Dzemali an seinem Beruf: dass man sieht, was man erreicht. «O. Dz.» steht auf der rechten Manschette seines weissen Hemdes.
Nach seiner ersten Operation, der ersten, die er allein machte, sei er total fertig gewesen. Ein dreifacher Bypass wars, Dzemali erinnert sich noch genau daran, wie er sich überhaupt an jeden einzelnen Eingriff erinnern mag, wenn er die Patientin oder den Patienten vor sich hat. Oder auf einer Mail, einem Brief, einer Dankeskarte den Namen liest.

Die erste Operation allein: Schritt für Schritt war er an diesen Punkt geführt worden, sein Mentor stand das erste Mal dort, wo Dzemali sonst immer stand: am Platz des ersten Assistenten. Das erste Mal durfte er über die Höhe des Operationstisches entscheiden, als die Operation in die kritische Phase gelangte. Er war sich nach dem Eingriff ziemlich sicher, dass das mit ihm und der Herzchirurgie nichts wird. Und genoss gleichzeitig, wie das Adrenalin durch seinen Körper schoss; das sei bis heute gleich geblieben, sagt er. Überhaupt das Operieren: Die schöne manuelle Arbeit, die Ruhe im OP, das suche er immer wieder.
Die Ruhe im Operationssaal. Wenn man vom Piepsen der Maschinen und der Plauderei Dzemalis absieht, doch, dann ist es hier unten schön ruhig. Jetzt ist er nicht mehr nur am Tisch der Chef, jetzt dominiert Dzemali den Raum, der Stand seiner Konzentration ist spür- und am Lärmpegel hörbar, das Auf und Ab an Anspannung ebenfalls.
Das Herz des Patienten schlägt nicht mehr, die Herz-Lungen-Maschine hat seine Funktion übernommen. Das leise Surren der Maschine statt des Schlags des Herzens. Es ist jetzt ganz still im Saal.
Manchmal entspannen sich alle, ausser die Medizinstudentin, die ebenfalls am Tisch steht.
Man steht am Kopfende des Patienten, schaut auf das schlaffe Herz, das Dzemali gerade (und wörtlich) vom Rest des Körpers trennt. Kleine Schnitte in die dicke Aortenwand, dann kleine Stiche hindurch, man glaubt, den Rhythmus Dzemalis zu spüren. Seine Mitarbeiter tun es offensichtlich auch, der erste Assistent gegenüber, die Operationstechnische Assistentin zu seiner Rechten, sie funktionieren fast ohne Worte.
Am Ende eines Schrittes entspannt sich der Chef, wenn Omer Dzemali es mit einem kleinen Spruch tut, dann entspannen sich alle anderen auch. Manchmal entspannen sich alle, ausser die Medizinstudentin, die ebenfalls am Tisch steht. Sie muss dann Fragen vom Chef beantworten. Fragen nach Gefässen, Nerven, den nächsten Schritten des Eingriffs.
Für eine Zeit lang Freunde
Die Operation, das ist der eine Teil der Arbeit. Mit einem Patienten, der tief schläft, der die Kontrolle über seinen Körper an die Ärztinnen und Ärzte und an Maschinen abgetreten hat. Das macht Angst, da sind wohl die Menschen alle gleich. Mit dieser Angst ist Dzemali am runden Tisch in seinem Büro jeden Tag konfrontiert.
Das ist der andere Teil: Die Patienten sitzen ihm gegenüber, meist begleitet von Angehörigen, was die Angst multipliziert. Omer Dzemali muss dann den richtigen Ton finden, Vertrauen schaffen, damit das entstehen kann, was er eine «Freundschaft auf Zeit» nennt. Dass man sich vor, während und eine Zeit lang nach der Operation vertraut.
Im Museum der Dankbarkeit
Entsprechend gross ist die Dankbarkeit nach den Eingriffen. Dzemalis Büro ist so etwas wie ein kleines Museum der Dankbarkeit: Bilder, die er geschenkt bekommen hat, Karten, Konzerttickets, ein Gemälde der Mutter Teresa, das ein albanischer Patient bei einem Verwandten für ihn malen liess. Ein anderer hat sich ein Herz tätowieren lassen. Darunter steht:
Rebooted by Dr. Dzemali.
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Ruhe ist Chefsache
Mit Omer Dzemali, dem neuen Chefarzt der Herzchirurgie am Triemli, im Operationssaal. Dort lässt sich anhand des Lärmpegels auf den Schwierigkeitsgrad des Eingriffs schliessen.