Russland drückt die Getreidepreise
Erfreulich für die Konsumenten, bitter für die US-Farmer: Weizen, Mais und Soja bleiben das fünfte Jahr in Folge günstig.

Die Preise für Mais, Weizen und Soja kommen seit 2012 nicht aus der Talsohle heraus

Russland steigt wieder zu dem auf, was es bis zur Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahre 1917 war – zur Kornkammer der Welt. Das Land der Zaren hat 2016 erstmals seit Jahrzehnten die USA beim Export von Weizen übertroffen – und wird dieses Jahr die Europäische Union vom Thron als weltgrösster Weizenexporteur stossen, prognostiziert das US-Agrarministerium USDA. Unter Druck sind Amerikas Farmer, die auf dem Weltmarkt für Getreide lange Zeit dominierten, auch aus Südamerika. Brasilien etwa hat die USA als weltgrössten Soja-Exporteur schon 2012 abgelöst und steigt dieses Jahr bei den Ausfuhren von Mais laut USDA zur Nummer 2 hinter den USA auf. Amerikas Anteil am globalen Export von Weizen, Soja und Weizen ist seit den 70er-Jahren um gut die Hälfte geschrumpft.
Weltweite Getreidevorräte auf Rekordniveau
Für Konsumenten sind das gute Nachrichten. Dass grosse Flächenstaaten wie Brasilien und Russland den Weltmarkt mit Billigware fluten, trägt viel dazu bei, dass die Nahrungsindustrie ihre Rohstoffe weiterhin zu Tiefpreisen beziehen kann. Zwar sorgten späte Winterstürme und starke Regenfälle in den USA jüngst kurz für einen Preisauftrieb. Zuvor führten Maisschädlinge in afrikanischen Ländern kurzfristig für Preisaufschläge. Diese blieben jedoch temporär, die Preise kommen nicht aus der Talsohle heraus, in die sie abgestürzt sind, nachdem die Rohstoff-Spekulationsblase vor fünf Jahren platzte. Mais und Weizen kostet im Grosshandel heute weniger als halb so viel wie vor fünf Jahren in der fiebrigen Endphase der Spekulationswelle. Auch Sojabohnen stehen preislich nur wenig besser da.
Entsprechend weniger als vor fünf Jahren verdienen US-Farmer und EU-Bauern. Die Aussichten, dass die Preise endlich abheben, sind nicht gut. Die weltweiten Getreidevorräte haben ein Rekordniveau erreicht. Sie sind fast zwei Drittel grösser als vor neun Jahren und wachsen weiter, wie Zahlen der Branchenorganisation International Grain Council in London zeigen. Der globale Getreidekonsum übertrifft die Produktion nur in einzelnen Jahren, und dann nur minim. Die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung in den nächsten Jahren ist also sichergestellt – immer vorausgesetzt, dass nicht eine Serie von Wetterkatastrophen jede Planung über den Haufen wirft. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. Auch dieses Jahr werden erneut Rekordernten erwartet. Zur guten Versorgung trägt auch bei, dass die grossen Exportländer immer mehr anbauen. Da Soja preislich etwas weniger unter Druck ist, bepflanzen die US-Farmer damit eine Rekordfläche von 35 Millionen Hektaren – und tragen so zum Preisdruck bei.
Eine 40'000-Hektaren-Farm
Am Beispiel Russland lässt sich exemplarisch zeigen, wie hart der Markt für die Produzenten in den USA und der EU wird. Nach dem Zerfall der Sowjetunion waren die Kolchosen, die riesigen Staatsbetriebe, zunächst verfallen. Vor zehn Jahren wurden in Russland der Kauf und Verkauf von Ackerland liberalisiert, worauf russische Banken und Investoren ins Agrargeschäft einstiegen. Jetzt, wo die Landwirtschaft modernisiert ist, wird die Grösse der Betriebe zum Vorteil. An der Schwarzmeerküste und im Wolgabecken sind gigantische Farmen entstanden. Eines dieser Ackerunternehmen bearbeitet mit GPS-gesteuerten Traktoren im Dreischichtbetrieb allein eine Fläche von 40'000 Hektaren.
Seit der Liberalisierung hat die Weizenernte in Russland um 60 Prozent zugenommen, die Anbaufläche von Mais hat sich verdreifacht. Die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland nach der Krim-Annexion 2014 haben die Anbauschlacht noch gefördert. Putin liess als Antwort auf die Sanktionen Agrarimporte blockieren. Russland wird punkto Nahrungsmittel zusehends autarker. Dort, wo die Inlandnachfrage gesättigt ist, drängt Russland auf die Weltmärkte, und ist dabei hoch kompetitiv – dank dem billigen Rubel und den tiefen Produktionskosten. Diese Faktoren helfen auch anderen grossen Exportländern. Die Ukraine etwa baut doppelt so viel Mais an wie vor zehn Jahren. Brasilien und Argentinien forcieren ebenfalls den Anbau von Getreide.
Viele US-Farmer weigern sich, zu den derzeitigen Tiefpreisen ihre Silos zu leeren. Die Nahrungsindustrie ihrerseits kauft möglichst wenig ein, in der Hoffnung, dass die Preise weiter fallen. Sind die Ernten dieses Jahr wieder so gross wie prognostiziert, wird es eng für die schwächeren Anbieter. In den USA warnen Branchenkenner vor einer Konkurswelle unter Farmern. Protektionismus und Säbelrasseln gegenüber China und Europa, mit denen Präsident Trump immer wieder droht, können die vielen Farmer im Mittelwesten, die ihn gewählt haben, nicht brauchen.
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