«Russland ist ein kranker Staat»
Ölunternehmer Michail Chodorkowski hat zum Abschluss seines Prozesses heftige Kritik gegen die russische Regierung vorgetragen – an einen Freispruch glaubt er nicht.

Der frühere russische Ölunternehmer Michail Chodorkowski hat bei der Gerichtsverhandlung wegen angeblicher Unterschlagung von Millionen Tonnen Öl die Staatsführung scharf kritisiert. In seinem Schlusswort bezeichnete Chodorkowski am Dienstag Russland als «kranken Staat», in dem Bürokraten und Geheimdienste das gesamte öffentliche Leben kontrollierten.
Die Verkündung des Urteils soll Mitte Dezember beginnen. «Niemand glaubt an einen Freispruch, aber wir geben die Hoffnung nicht auf», sagte Chodorkowski in seinem Schlusswort in einem Moskauer Bezirksgericht. Der frühere Chef des Ölkonzerns Yukos ergänzte, er wolle nicht in Haft sterben. Indem er aber für seine Überzeugungen eintrete, sei er dazu bereit.
«Ein Staat, der lügt und foltert»
Mit dem Amtsantritt von Präsident Dmitri Medwedew hätten zwar zahlreiche Mitbürger die Hoffnung gehegt, dass sich Russland zu einem modernen Land entwickle und Korruption und Ungerechtigkeit bekämpft würden. «Aber ein Land, in dem die Bürokratie und Menschen in Uniformen hunderttausende Unternehmer in Haft halten, ist ein kranker Staat.» Er schäme sich für «einen Staat, der lügt, foltert, Geiseln nimmt und Angestellte von Jukos ins Gefängnis steckt». Yukos ist Chodorkowskis ehemaliges Unternehmen.
Unter dem Applaus der Besucher im Gerichtssaal richtete Chodorkowski seine letzten Worte an den Staatsanwalt: «Woran glauben Sie? Daran, dass der Chef immer Recht hat? An das Geld? Hier und jetzt wird über das Schicksal jedes einzelnen russischen Bürgers entschieden.» Einige Besucher riefen daraufhin «Freiheit, Freiheit».
Putin will nichts bemerkt haben
Im Zuschauerraum waren auch Chodorkowskis Eltern und der frühere Ministerpräsident Michail Kasjanow, der inzwischen der Opposition in Russland angehört. Er war während des Prozesses als Zeuge der Verteidigung aufgetreten. In dem seit April 2009 laufenden Verfahren wirft die Staatsanwaltschaft dem einstigen Ölmagnaten und seinem früheren Geschäftspartner Platon Lebedew vor, angeblich Millionen Tonnen Öl gestohlen zu haben.
Chodorkowski hatte die Vorwürfe am Montag vor Gericht als «leeres Geschwätz» zurückgewiesen. In einem Interview mit der Zeitung «Nowaja Gaseta» vom Montag sagte der frühere Yukos-Chef, er würde Regierungschef Wladimir Putin gern zu den Vorwürfen befragen. «Ich würde ihn fragen, wie realistisch er es einschätzt, dass er den Verlust von 20 Prozent des geförderten Öls in Russland damals nicht bemerken konnte.»
Kreml will angeblich Freilassung verhindern
Chodorkowski sitzt seit 2003 in Haft und meldet sich seither immer wieder in Beiträgen für russische und westliche Medien kritisch zu Wort. Er war im Mai 2005 gemeinsam mit Lebedew wegen Steuerhinterziehung und Betrugs zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe läuft im nächsten Jahr ab. Kritiker sehen in dem erneuten Prozess den Versuch der Moskauer Führung, eine Freilassung des Kreml-Kritikers in absehbarer Zeit zu verhindern.
Wegen des Vorwurfs der Unterschlagung von mehr als 200 Millionen Tonnen Öl fordert die Staatsanwaltschaft für Chodorkowski und Lebedew 14 Jahre Lagerhaft. Die Verkündung des Urteils soll am 15. Dezember beginnen, wie Richter Viktor Danilkin am Dienstag mitteilte. Sie könnte sich allerdings über mehrere Tage, wenn nicht sogar Wochen hinziehen, da vermutlich sämtliche Anklagepunkte gegen die beiden Männer noch einmal verlesen werden.
AFP/oku
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