SBB bestellen 3500 Tonnen Bau-Elemente in China
Schweizer Hersteller waren dem Staatsbetrieb für die Fassade bei der Zürcher Europaallee zu teuer. Wäre das auch anders gegangen?

An das «Made in China» auf Handys, T-Shirts oder Solarzellen hat man sich längst gewöhnt. Neu kommen auch halbe Hochhäuser aus China.
Was an der Europaallee, auf der Parzelle F direkt neben den Geleisen, passiert, ist ein Lehrstück in Sachen Globalisierung. Dort ziehen die SBB derzeit eine weitere Grossüberbauung hoch. Bereits steht das Skelett aus Beton. Auch die Fassade wird gerade erstellt – allerdings nicht vor Ort, sondern gut 8000 Kilometer östlich, in der nordchinesischen Millionenstadt Shenyang.
Nach Plänen aus Zürich werden in den Werken der Yuanda Group die fixfertigen Fassadenelemente zusammengebaut. Dabei handelt es sich nicht um Massenware, sondern um eine Massanfertigung, entworfen vom Zürcher Büro Boltshauser Architekten. Die fertigen Teile, die insgesamt um die 3500 Tonnen wiegen sollen, werden in Container verladen, nach Basel verschifft und von dort mit Lastwagen ins Zentrum von Zürich gebracht. Hier können Bauarbeiter die Elemente nur noch anschrauben.
Einmal China retour
Gewisse Werkstoffe legen die lange Reise gleich zweimal zurück. Platten aus Naturstein werden das 145 Millionen Franken teure Gebäude verkleiden. Der Muschelkalk stammt aus einem deutschen Steinbruch. Auch die Sonnenstoren werden in Deutschland gefertigt. Steine und Storen fahren erst mit dem Schiff nach China und werden dort montiert. Dann gehts zurück nach Zürich.
Video: Bauen an der Europaallee
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) haben den ganzen Bauprozess an den österreichischen Generalunternehmer Porr abgetreten. Dieser drängt seit einigen Jahren auf den Schweizer Markt. Porr wiederum hat den Auftrag für die Fassade ausgeschrieben und dann an die Yuanda Group erteilt. Das chinesische Unternehmen gilt als weltweit grösster Fassadenbauer und beschäftigt über 13'000 Angestellte. Sein Europa-Hauptsitz liegt in Basel. In der Schweiz hat Yuanda bisher die Aussenhüllen der Allmend-Hochhäuser in Luzern, des Park Tower in Zug und des Fifty-One-Geschäftshauses in Zürich geliefert.
Diese Häuser haben Private gebaut. Das Baufeld F dagegen gehört den SBB, und diese zu 100 Prozent dem Bund. Deshalb haben viele keine Freude an der chinesischen Fassade.
Auch Schweizer Firmen haben sich um den Auftrag bemüht, etwa Aepli Metallbau, ein Familienunternehmen aus dem st.- gallischen Gossau. Den entscheidenden Unterschied habe der Preis gemacht, sagt Geschäftsführer Roman Aepli. «Unser Vorschlag belief sich auf 27 bis 28 Millionen Franken. Yuanda hat für etwa fünf Millionen weniger offeriert, heisst es.» Es herrsche ein völlig ungleicher Wettbewerb, sagt Aepli. In China betrügen die Monatslöhne wenige Hundert Franken, die Auflagen seien viel lascher, Lehrlinge würden keine ausgebildet. «Gegen die Konkurrenz aus europäischen Ländern können wir durch Innovation und eine durchindustrialisierte Produktion knapp bestehen. Aber gegen chinesische Preise haben wir keine Chance», sagt Aepli.
Beim SZFF, dem Verband der Schweizer Fassaden- und Fensterbauer, kommt es schlecht an, dass die SBB einen so grossen Auftrag nach China vergeben. «Das schadet der Schweizer Wirtschaft – und damit dem Bund, der von unseren Steuern lebt», sagt SZFF-Direktor Fabio Rea. Der tiefe Eurokurs habe die Branche stark unter Druck gesetzt. Aufträge ins Ausland scheiterten am Preis, im Gegenzug drückten europäische Konkurrenten in den Schweizer Markt. Mit Vergaben ins Ausland würden staatliche Institutionen die Notlage verschärfen.
Rea verweist auf das Klotener Grossprojekt The Circle, an dem der Kanton Zürich über den Flughafen Zürich beteiligt ist. Der Zuschlag für die etwa 130Millionen Franken teure Fassade ging an eine deutsche Firma. «Dabei war der Preisunterschied zum nächsten Schweizer Angebot lächerlich klein», sagt Rea. Sein Protestschreiben an die zuständige Regierungsrätin Carmen Walker-Späh (FDP) blieb unbeantwortet.
Der «brutale Preiskampf» vernichte in der Schweiz auf die Dauer Arbeitsplätze und Wissen, sagt Roman Aepli. «Die Branche wird ausgehungert und wandert ins Ausland ab.» Aepli bezweifelt ausserdem, dass chinesische Firmen die gleiche Qualität bieten wie schweizerische. Da man das Gelieferte kaum wieder zurückschicken könne, müsse man es schlicht und einfach akzeptieren.
So geschehen ist das beim Park Tower in Zug. Dessen Fassade wurde ebenfalls von Yuanda in China gefertigt. Als die Elemente in der Schweiz ankamen, wichen sie teilweise von den Vorgaben der Stadtbildkommission ab. Die Zuger Behörden verzichteten aber darauf, Anpassungen zu verlangen. Dies wäre unverhältnismässig gewesen, hiess es. «Bei einheimischen Firmen schaut man viel genauer hin», sagt Roman Aepli.
An der Europaallee sind die Beteiligten bisher zufrieden mit den Fassaden-vorarbeiten aus Shenyang. Dem Vernehmen nach läuft die Zusammenarbeit «erstaunlich reibungslos».
98 Prozent an Schweizer
Bei den SBB heisst es, dass sie einheimische Anbieter nicht bevorzugen dürften. Dies verbiete das öffentliche Beschaffungsrecht. Bei den Vergaben entscheide auch nicht der Preis allein, sagt Sprecher Oliver Dischoe. «Nicht immer gewinnt die billigste Eingabe, die Qualität spielt ebenfalls eine Rolle.» Die SBB hätten die Vergabe von Porr an Yuanda ablehnen können. «Aber alle Kriterien wurden zum Teil sehr gut erfüllt.»
Die SBB wehren sich auch gegen den Vorwurf, das Schweizer Gewerbe zu benachteiligen. Pro Jahr kaufe die Bahn für 4,8 Milliarden Franken Güter und Dienstleistungen ein. Rund 98 Prozent dieser Aufträge gingen an Schweizer Firmen oder Firmen mit hiesigen Niederlassungen. «Die SBB stellen einen starken Motor für die Schweizer Volkswirtschaft dar», sagt Oliver Dischoe.
Politiker und Experten bezweifeln, dass den SBB bei Vergaben keine Wahl bleibt: «Die Schweizer sind zu nett», sagt der Tessiner CVP-Nationalrat Fabio Regazzi. Andere Länder gestalteten die Kriterien ihrer Ausschreibungen so, dass fast nur einheimische Firmen sie erfüllen könnten. Dies sei möglich, ohne die Regeln der Welthandelsorganisation zu verletzen. «Viele Länder sind schlauer. Aber beim Bundesrat und den SBB fehlt der Wille zu solchen Lösungen.» Submissionsexperten unterstützen diesen Ansatz. Ein «raffinierter Protektionismus» bestehe darin, dass man hohe Standards in Sachen Umweltschutz und Sozialleistungen verlange. Schweizer Firmen erfüllten diese wegen der hiesigen Gesetze. Viele ausländische Anbieter – vor allem solche aus nicht klassischen Industrienationen – scheiterten schon an bescheidenen Vorgaben. Doch die Ämter schreckten vor solchen «intelligenten Ausschreibungen» zurück, weil diese zusätzliche Arbeit verursachten. Dabei seien sie eine lohnende Investition – nur schon, um einen Reputationsschaden zu verhindern.
Nachhaltig trotz Transport?
Hinterfragt wird auch die Ökobilanz der chinesischen Fassade. Schweizer Hersteller müssten sich an strenge Umweltvorgaben halten, sagt Roman Aepli. «In China haben sie mehr Freiheiten.» Zudem sei es nicht ökologisch, derart viel Material um die halbe Welt zu schicken.
Der Generalunternehmer Porr und die SBB verweisen darauf, dass das Projekt ein provisorisches Zertifikat für seine Nachhaltigkeit bekommen hat. Erteilt wurde es durch die Schweizer Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (SGNI), ein Verein, der die Nachhaltigkeit von Gebäuden objektiv sichtbar machen will. Porr-Sprecherin Sandra Bauer sagt: «Produktion, Logistik und Montage entsprechen den vorgegebenen Kriterien.» Die Ökobilanz lasse sich mit jener einer herkömmlich hergestellten Fassade vergleichen.
Zum konkreten Fall will sich SGNI-Geschäftsführer Heinz J. Bernegger nicht äussern. Die Zertifizierung sei noch nicht abgeschlossen. Ob ein Gebäude insgesamt als nachhaltig gelte, hänge von über 40 Faktoren ab: der Lebensdauer und Reinigungsfreundlichkeit der Materialien zum Beispiel; davon, wie viele Schadstoffe diese enthalten oder wie gut sie sich recyceln lassen. Der CO2 auf dem Transportweg mache nur einen Teil der ökologischen Gesamtbilanz aus, sagt Bernegger.
Angefragte Spezialisten für Nachhaltigkeit wollten das Europaallee-Projekt nicht beurteilen. Dafür fehlten ihnen entscheidende Angaben. Die Ökobilanz zu berechnen, sei kompliziert. Man müsse aber annehmen, dass die Herstellung in China mehr Energie brauche, als sie es in der Schweiz getan hätte. Auch die weite Schiffsreise setze viel CO2 frei.
Schon diesen Herbst sollen die ersten Fassadenelemente «Made in China» beim Hauptbahnhof ankommen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch