
«Gut für Schalke 04, dass die schon 36 Punkte haben», entfuhr es einem Beobachter nach dem 23. Spieltag. Die Westfalen belegten damals in der Tabelle noch den sechsten Platz, aber nach dem 0:5 gegen Leipzig zeigten wegen einer Verletzungslawine, Formschwächen und Torhüter-Kapriolen alle Richtungspfeile nach unten. Es war Mitte Februar, die Pandemie war scheinbar noch fern, als Schalke 04 sich noch nah am internationalen Geschäft wähnte.
Inzwischen geht der Blick steil nach unten, und um die Verfassung der Mannschaft zu treffen, muss man nach passenden Worten suchen. Anämisch, paralysiert, katatonisch. Wer gedacht hatte, dass es nach den Leistungen in Dortmund (0:4) und gegen Augsburg (0:3) nicht weiter abwärtsgehen könnte, der musste erst mit der ersten Halbzeit gegen Bremen konfrontiert werden.
Was nachdenklich stimmt, ist, wenn eine Mannschaft nicht mehr bloss mutlos agiert, sondern die Mutlosigkeit mehr oder weniger vorgegeben wird.
Es kann vorkommen, dass eine Mannschaft verunsichert auftritt, erst recht nach zehn Spielen ohne Sieg. Wenn Spieler der Situation nervlich nicht gewachsen sind, wird gerne der ganze Katalog der Unzulänglichkeiten vorgeführt; zu dem gehören dumme Fouls und verdaddelte Aussenristpässe genauso wie Dribblings in heiklen Positionen, peinliche Schussversuche und Dreimeterquerpässe, die nicht ankommen. Was nachdenklich stimmt, ist, wenn eine Mannschaft nicht mehr bloss mutlos agiert, sondern die Mutlosigkeit mehr oder weniger vorgegeben wird.
Und das muss man Schalkes Trainer David Wagner vorwerfen. Er hat den Verein in den vergangenen Partien kleiner gemacht, als es nötig war. Es ging ja nicht gegen Liverpool oder Manchester City, sondern gegen die Kellerkinder Augsburg, Düsseldorf und Bremen. In den ersten 20 Minuten hatte Schalke gegen den Vorletzten Werder 18 Prozent Ballbesitz.
Wagners Aufstellungen, Anweisungen und Analysen werden immer rätselhafter, manchmal fühlt man sich an seinen Vorgänger Domenico Tedesco erinnert, der nach einer nicht für möglich gehaltenen ersten Saison (die mit Platz 2 endete) eine zunehmend schauderhafte zweite Spielzeit verantwortete, die ihn sprachlos werden liess und (nach einem 0:7 gegen Manchester City) dazu führte, dass Huub Stevens aus der Rente zurückgeholt werden musste, um das Abstiegsgespenst zu vertreiben.
Es läuft grotesk aus dem Ruder
Wagner hat nun das Kunststück fertiggebracht, hohe Höhen und tiefste Tiefen in einer einzigen Spielzeit zu erleben. Auch wenn es vernünftig wirkt, dass er nun nicht übertourt, würde man sich von ihm schon ein klitzekleines bisschen mehr Feuer wünschen. Um zu ermessen, wie wichtig es ist, als Trainer mit Verve und Überzeugung voranzugehen, muss man derzeit nur Bruno Labbadia in Berlin zusehen – die Hertha war nach der 23. Runde (an dem sie ihrerseits 0:5 gegen Köln verlor) 14., zehn Punkte hinter Schalke. Am Samstag hat sie die Westfalen hinter sich gelassen.

Schalke ist ein Club mit hohem Pathos-Faktor und der ins Theatralische lappenden Überzeugung, der Verein sei grösser als das Leben. Das provoziert bei neutralen Zuschauern Kopfschütteln, wenn der Club so gut drauf ist, dass die Fans ausgelassen von Europa träumen; und Häme, sobald es schlecht läuft wie in den beiden vergangenen Rückrunden. Denn es läuft dann nicht einfach nur schlecht; es läuft dann schlecht wie in der Bibel oder, um mal auf den Teppich zurückzukommen, so grotesk aus dem Ruder wie bei den beiden trotteligen Räubern aus «Kevin – Allein zu Haus», die nur deshalb auf den Beinen bleiben, damit sie weiter gequält werden können.
Das einzig Positive für Schalke 04 an diesem Wochenende lautet deshalb: Gut, dass der Club schon 37 Punkte gesammelt hat. Es hat allerdings schon Bundesligisten gegeben, die mit 38 Punkten abgestiegen sind.
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Bundesliga – Schalke und die königsblaue Krise
Vier Niederlagen in Folge, 1:10 Tore: Schalke reiht eine bedenkliche Leistung an die nächste. Was man Trainer David Wagner vorwerfen muss: Er macht den Club kleiner, als es nötig ist.