Schaum vor dem Mund, verengte Pupillen
Ein mutmasslicher Giftgasangriff im syrischen Bürgerkrieg löst weltweit Schock und Entsetzen aus. Das Weisse Haus macht das Assad-Regime dafür verantwortlich.
Vor einer Syrien-Konferenz der EU an diesem Mittwoch hat mutmasslich ein Angriff mit Chemiewaffen Dutzende Menschen im nordsyrischen Khan Scheikhun getötet. Aktivisten aus der Stadt in der Provinz Idlib und die in Grossbritannien ansässige oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichteten, es seien 58 Menschen gestorben und 160 verletzt worden, als Kampfjets die Munition am Dienstagmorgen gegen 6.30 Uhr abgeworfen hätten. Die Betroffenen hätten keine äusseren Verletzungen, wie sie konventionelle Bomben verursachen. Sie zeigten dagegen Symptome, die auch von Nervenkampfstoffen wie Sarin ausgelöst werden: verengte Pupillen, Schaum vor dem Mund, Erbrechen und Lähmungserscheinungen bis hin zum Atemstillstand, der zum Tod führt.
Die US-Regierung machte den syrischen Machthaber Baschar al-Assad direkt für die Angriff verantwortlich. Sean Spicer, der Sprecher des Weissen Hauses, sprach von einer «verwerflichen Tat». Es liege im «besten Interesse» des syrischen Volkes, wenn Assad nicht weiter regiere. Hingegen hatte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley jüngst gesagt, es sei keine Priorität ihrer Regierung mehr, Assad aus dem Amt zu drängen, allerdings hatte auch schon die Regierung von Präsident Barack Obama davon Abstand genommen.
Die Echtheit von Fotos der Opfer liess sich unabhängig nicht überprüfen, ebenso wenig die Berichte aus der Stadt. Das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad hat in der Vergangenheit Chemiewaffen gegen das eigene Volk eingesetzt und Angriffe mit Chlor auch fortgesetzt, nachdem es 2013 sein Arsenal an Kampfstoffen aufgegeben hatte. Die UN haben in mindestens drei Fällen solche Attacken nachgewiesen, Menschenrechtsorganisationen nennen weit höhere Zahlen. Westliche Geheimdienste halten es für wahrscheinlich, dass Syrien nicht alle Chemiewaffen und Vorstoffe zu deren Produktion deklariert hat. Sollten sich die Berichte aus Khan Scheikhun bestätigen, wäre dies der Beleg dafür. Es ist unwahrscheinlich, dass Chlor so viele Menschen tötet; zudem hat das Gas einen charakteristischen, stechenden Geruch. Überlebende berichteten davon nichts; zudem traten Symptome auch bei Helfern auf, die ohne Schutzkleidung in Kontakt mit Opfern gekommen waren.
Feldlazarett bombardiert
Auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat in Syrien vereinzelt Kampfstoffe eingesetzt, dabei handelte es sich aber stets um Senfgas, das charakteristische Blasen auf der Haut verursacht. Kampfjets des Regimes und möglicherweise der russischen Luftwaffe haben in den vergangenen Tagen ihre Angriffe im Süden von Idlib intensiviert, der von Rebellen und mit dem Terrornetzwerk al-Qaida verbunden Gruppen kontrolliert wird. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestritt entschieden eine Beteiligung; die russische Luftwaffe habe dort keinerlei Angriffe geflogen. Syrische Militärquellen dementierten laut der Nachrichtenagentur Reuters ebenfalls den Einsatz von Chemiewaffen.
Nach Angaben aus Khan Scheikhun wurde nach der ersten Angriffswelle bei einem weiteren Luftangriff ein Feldlazarett bombardiert, in dem Opfer des ersten Bombardements behandelt wurden. Das kleine Krankenhaus sei zerstört worden, fünf Rettungsfahrzeuge seien beschädigt.
«Es gibt Aleppos in ganz Syrien»
Frankreich verlangte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Russland hatte aber zuletzt eine Verurteilung des Assad-Regimes für die von den UN festgestellten Chlor-Einsätze per Veto verhindert. Der britische Aussenminister Boris Johnson machte die syrische Regierung verantwortlich: «Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat», sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Aussenminister Sigmar Gabriel in London. Auch die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini sah die Verantwortung für die Attacke beim Assad-Regime. Eine Zukunft Syriens nach dem Bürgerkrieg mit Präsident Assad an der Spitze hatte sie zuvor als «unrealistisch» bezeichnet. Die Attacke überschattet eine von der EU ausgerichtete Konferenz von 70 Staaten, bei der über Hilfe zum Wiederaufbau Syriens beraten wird.
Das Ausmass des Leidens erfordere mehr Handeln, sagte der für Krisenreaktion zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides am Dienstag zum Auftakt der zweitägigen Beratungen, zu der die EU, die Vereinten Nationen, Deutschland, Kuwait, Katar, Grossbritannien und Norwegen eingeladen haben. Als ein Hauptproblem nannte er den Zugang von Helfern zur Zivilbevölkerung. Jeder erinnere sich an Ost-Aleppo, das über Monate hinweg niemand von aussen habe betreten können, sagte Stylianides in seiner Rede. «Aber es gibt mehr Aleppos in ganz Syrien.»
Stephen O'Brien, Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, sagte, wenn es keinen Zugang für Helfer gebe, könnten auch die grössten Hilfsgelder nichts ausrichten. «In Ost-Aleppo hätten wir 100 Milliarden haben können – wir kamen nicht rein», beklagte O'Brien. Mindestens zehn Helfer seien damals bei einem Konvoi in Richtung der Stadt getötet worden, berichtete er. Dieses Problem bestehe heute an anderen Orten in Syrien fort.
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