Schillernder Gelehrter unter Verdacht
Die französische Frauenaktivistin Henda Ayari hat den Genfer Islamwissenschafter Tariq Ramadan schwer belastet.
Es sind schwere Vorwürfe, welche die Französin Henda Ayari erhebt. Erst der Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein wegen sexueller Übergriffe und die anschliessende Debatte von Opfern sexueller Gewalt in den sozialen Medien hätten sie dazu ermuntert, ihre Geschichte zu erzählen.
Die 40-Jährige wirft dem prominenten Islamwissenschafter Tariq Ramadan sexuelle Nötigung und Vergewaltigung vor und hat im französischen Rouen Strafanzeige eingereicht gegen den Schweizer, der in Oxford lehrt. Henda Ayari sagt zudem, dass wie im Falle Weinsteins auch andere Frauen von Übergriffen betroffen seien.
Henda Ayari ist heute eine Frauenaktivistin. Sie macht muslimischen Frauen Mut, gegen den radikalen Islam zu kämpfen, «der Frauen im besten Fall zu Bürgern zweiter Klasse macht und im schlimmsten zu einem Objekt, das den Kindern Gewalt und Hass auf andere beibringt – der fruchtbare Boden, auf dem Terrorismus gedeiht».
Ayari weiss, wovon sie spricht: Die Tochter einer Tunesierin und eines Algeriers wuchs in Frankreich in einer traditionellen muslimischen Familie auf. Mit 18 wurde sie mit einem ultrakonservativen Salafisten verheiratet. Er verlangte die Verschleierung, schlug sie und liess sie nur zum Beten und zum Einkaufen aus dem Haus. «Ich war eine lebendige Tote», sagt die Frau über diese Zeit. Die islamistischen Anschläge von 2015 in Paris hätten sie getroffen wie ein «Elektroschock»: Letztes Jahr hat Henda Ayari dem Salafismus den Rücken gekehrt, den Hijab abgelegt, ihren Mann verlassen und ein Leben als «freie Muslimin» begonnen.
Ramadan reagiert mit Verleumdungsklage
Ihren Kampf hat sie in einem Buch beschrieben. «J'ai choisi d'être libre» ist letztes Jahr erschienen. Darin findet sich auch ein Kapital über einen Gelehrten, der sie missbraucht habe und dem sie den Namen Zoubeyr gibt. Der Mann habe sie 2012 in sein Hotel in Paris eingeladen, wo er sie angriff und vergewaltigte, schreibt Ayari. «Er schlug mich und attackierte mich. Ich sah in seinen wahnsinnigen Augen, dass er nicht länger Herr seiner selbst war. Ich hatte Angst, dass er mich tötet.»
Dieser Zoubeyr sei in Tat und Wahrheit der Islamwissenschafter Tariq Ramadan, erklärte sie nun, den sie auf ihrem schwierigen Weg um Rat gebeten hatte. Doch statt ihr zu helfen, habe «der nette und fürsorgliche Mann», den sie idealisiert habe, «ihre Naivität missbraucht und sie physisch und moralisch verletzt», sagt Ayari. Und ein solcher Mann halte nun wieder Vorlesungen über islamische Moral.
Die Universität Oxford hat vorsichtig reagiert, man nehme die Vorwürfe sehr ernst und prüfe diese, hiess es. Der Beschuldigte selber bestreitet alle Vorwürfe kategorisch und hat umgehend eine Verleumdungsklage angekündigt.

In Genf aufgewachsen
Ramadan ist ein schillernder Gelehrter, der vor allem bei jüngeren Muslimen in Europa gut ankommt. Er hat Dutzende Bücher geschrieben und stammt aus einer prominenten Familie. Sein Grossvater war der Gründer der Muslimbruderschaft, der 1928 in Ägypten gegründeten religiösen Organisation, die sich der Verbreitung islamischer Moralvorstellungen verschrieben hat und sich gleichzeitig um Bedürftige kümmerte. Heute ist die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten, sie gilt als terroristische Organisation.
Ramadans Vater war ebenfalls aktiver Muslimbruder, bis die ägyptischen Behörden ihn aus dem Land trieben. Er liess sich in Genf nieder, wo Tariq aufwuchs. Er heiratete eine Schweizer Katholikin, die zum muslimischen Glauben übertrat. Weil Ramadan die undemokratischen Regime in Tunesien, Ägypten oder Syrien kritisierte, durfte er nicht mehr in diese Länder einreisen.
Am französischen Fernsehen weigerte Ramadan sich, die Steinigung von Frauen pauschal zu verurteilen.
Auch eine Berufung auf einen Lehrstuhl in Amerika musste er 2004 ausschlagen, weil die USA sich weigerten, ihn einreisen zu lassen. Er habe Terrororganisationen unterstützt, hiess es zur Begründung. Sechs Jahre später wurde der Beschluss aufgehoben, doch da lehrte Ramadan bereits in Oxford. Der einstige britische Premier Tony Blair hat ihn 2005 nach einer Serie von islamistischen Anschlägen als Berater engagiert. Ramadan verurteilt Terroranschläge, beharrt aber darauf, die Beweggründe der Attentäter nicht auszublenden: Erklären habe nichts mit rechtfertigen zu tun.
In Frankreich hat er sich gegen das Burkaverbot engagiert, das schaffe nur ein Problem, das eigentlich keines sei. Jede Frau müsse selber entscheiden können, wie sie sich kleide. In einer Debatte am französischen Fernsehen weigerte er sich, die Steinigung von Frauen und das islamische Recht pauschal zu verurteilen. Er sei gegen körperliche Strafen, sagte Tariq Ramadan, und verlangte ein Moratorium für die Scharia, um in der muslimischen Gesellschaft einen Dialog darüber zu ermöglichen. Denn mit einer Verurteilung von Körperstrafen sei niemandem geholfen.
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