Schlichten statt Richten
Wenn sich zwei Parteien streiten, versuchen Friedensrichter diese auszusöhnen. Das braucht Fingerspitzengefühl, sagt Friedensrichterin Regula Berger.

Eine Familie mit Hund wird von einer befreundeten Nachbarsfamilie ohne Hund zum Essen eingeladen. Vor lauter Reden vergisst man den Vierbeiner, der dringend muss. Die Folge, er pisst auf den schönen Parkettboden, was zu einem Schaden führt. Trotz Freundschaft der beiden Familien kommt es zum offenen Streit, der in einer Forderungsklage bei der Friedensrichterin mündet. Im Laufe der Verhandlung stellt sich heraus, dass der Schaden am Parkett nicht die einzige Sache ist, die zwischen den beiden Parteien schon seit einiger Zeit schwelt. Wie es scheint, geht es dem Kläger gar nicht um Schadenersatz, sondern darum, aufgestauten Ärger loszuwerden. Bei der Friedensrichterin einigt man sich dann auf einen symbolischen Betrag von 1000 Franken für das lädierte Parkett. Mit der Freundschaft zwischen den beiden Nachbarn ist es aber aus.
«Es gibt viele spannende Geschichten, die wir erleben», sagt Regula Berger, Präsidentin des Verbandes der Friedensrichter und Friedensrichterinnen des Kantons Zürich. «Dabei geht es oft um Eingemachtes, also Emotionales, das wir abfedern müssen.» Seit neun Jahren ist Berger in Boppelsen und Dänikon im Zürcher Unterland als Friedensrichterin tätig. Im Unterschied zu Zürich ist das in den allermeisten Gemeinden ein Teilzeitamt. Im Hauptberuf arbeitet die 34-Jährige als Juristin bei der ZKB in Zürich. «Eine schöne Kombination», findet sie.
Lärm oder Sträucher
Meistens ist das Feuer schon im Dach, wenn die Leute zur Friedensrichterin kommen. «Oft sind es Nachbarn, die sich um Bäume oder Sträucher streiten, sich über Lärm beklagen, oder es handelt sich um Menschen, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können.» Manchmal sind Unterhaltszahlungen für Kinder Grund zu Auseinandersetzungen. «Hier können und wollen wir aber nicht viel ausrichten, weil in solchen Fällen meistens die Kesb involviert ist», weiss die Juristin.
Was auch immer den Streit verursacht, viele Verhandlungen laufen nach einem ähnlichen Muster ab. Zuerst lassen die Parteien die angestaute Wut ab, und erst nach ungefähr einer Stunde Kropfleerete stossen sie zum Kern des Problems vor. Dann wird Tacheles geredet. «Danach kann der Prozess der Vergleichsbereitschaft starten», sagt Berger. Oft spiele auch das Geld nur vordergründig eine Rolle, meistens gehe es um Emotionen. Vor allem dann, wenn kleine Beträge von hundert oder zweihundert Franken im Spiel sind.
Unterschied der Geschlechter
Oft wollen die Parteien einfach eine Meinung hören, und wenn sie diese nachvollziehen können, akzeptieren sie sie respektive den Schlichtungsvorschlag der Friedensrichterin. «Ich möchte aber festhalten, dass wir nicht Recht sprechen», sagt Berger. «Die Parteien sollen vielmehr zu eigenen, richtigen Lösungen finden, auch wenn sich der Sachverhalt aus einer rechtlichen Optik anders darstellt.»
Auf dem Weg zur Einigung setzen die Kontrahenten alles ein. Einige demonstrierten Macht, so Berger, indem sie beispielsweise während der Verhandlung das Handy hervorholten, um Desinteresse zu markieren. Wieder andere packten demonstrativ ihre Unterlagen zusammen, stünden auf und gingen Richtung Tür, als ob sie den Raum verlassen wollten. «Bei ausbleibender Reaktion kehren sie dann wieder zurück», weiss die Juristin aus Erfahrung. Sie erlebe männliche Parteien oftmals «als sehr hart und laut in den Verhandlungen», sei dann aber immer wieder erstaunt, «wie sie sich gleich nach der Verhandlung zu einer Golfrunde verabreden».
Dieser Art Streitkultur kann Berger heute viel abgewinnen: «Das ist sehr schön und gut für den Seelenfrieden, aussprechen, was einen belastet, harte Gespräche führen und dann neu starten.» Frauen, sagt die Juristin und nimmt sich dabei nicht aus, benötigten da mehr Zeit. Aber auch wenns manchmal hart zur Sache gehe, handgreiflich geworden sei noch niemand während einer ihrer Verhandlungen. Trotzdem habe sie auch schon die Polizei in Zivil bestellt, «weil aufgrund der Gegebenheiten polizeiliche Vorkehrungen angebracht waren». Zum Beispiel weil es Drohungen unter den Parteien gab oder auch gegen die Friedensrichterin.
Das Führen dieses Amtes ist keine leichte Aufgabe. Es erfordert insbesondere Lebenserfahrung, psychische Belastbarkeit und die Fähigkeit zu vermitteln.
Das Führen dieses Amtes ist keine leichte Aufgabe. Es erfordert insbesondere Lebenserfahrung, psychische Belastbarkeit und die Fähigkeit zu vermitteln. Auch müsse ein Friedensrichter juristisch und prozessual versiert sein, sagt Berger, Sachverhalte schnell erfassen und richtig handeln können. Denn, «wir sind auf uns allein gestellt und haben nicht, wie die Gerichte, einen Protokollführer, der die Verhandlung protokolliert. Die relevanten Punkte festzuhalten und trotzdem die Verhandlung richtig zu führen, ist sehr anspruchsvoll.» Es gelte, die Parteien durch die richtige Fragetechnik zu einer eigenen Erkenntnis zu führen.
Schlichtungsverhandlungen sparen dem Justizapparat eine Menge teuren Aufwand und Zeit, dennoch gibts Fälle, deren Kosten in keinem Verhältnis zum Streitwert stehen. Etwa, wenn eine Partei der deutschen Sprache nicht mächtig ist und ein Dolmetscher bestellt werden muss. Oftmals seien dann die Verfahrenskosten höher als der Streitwert. «Das geht alles auf Kosten der Gemeinde.» Berger selbst hatte kürzlich einen Streit um 400 Franken zu schlichten, aufgrund nicht bezahlter Arbeitsstunden. Resultat: «Zwei Stunden Verhandlung inklusive Dolmetscher kosteten bei weitem mehr.»
Es gibt aber auch immer wieder ganz unerwartete Wendungen. Wie bei jenen zwei Parteien, die sich während der Verhandlung immer sympathischer wurden und sich auf einmal die Grössten fanden. «Da war ich dann komplett draussen, hatte nichts mehr zu sagen», erinnert sich Berger.
Konsequenz ist wichtig
Profitiert Regula Berger auch persönlich von ihrem Amt als Friedensrichterin? «Ich bin durch mein Amt sicherlich in vielen Erlebnissen des Alltags bedachter und gelassener geworden und bin mir bewusst, dass subjektiv unbedeutende Worte oder Handlungen beim Gegenüber sehr viel Unmut auslösen können, weil das Gegenüber oft viel hineininterpretiert.» Sie sei aber sicherlich nicht mehr so naiv wie am Anfang ihrer Tätigkeit als Friedensrichterin. Es gebe einfach «Leute, die es nicht gut mit einem meinen und die jede Lücke ausnützen wollen», sagt die Juristin. Und was sie auch gelernt hat: «Lieb und flexibel zu sein mit einer Partei, heisst immer, ungerecht mit der anderen zu sein.» Drum bleibt Berger in Verfahrensfragen eher hart und akzeptiert Verschiebungen, Sistierungen oder Krankheitsentschuldigungen «nicht einfach so», sondern nur, wenns dafür zwingende Gründe gibt.
Die Juristin versucht immer, einen Vergleich auszuhandeln und nicht den Rechtsweg zu beschreiten. «Ich glaube, dass wir Friedensrichterinnen und -richter einen nachhaltigen Beitrag an ein ruhiges, friedliches Zusammenleben der Gesellschaft leisten können.» Viele Parteien tauschten sich nie oder zumindest nie ganz ehrlich aus, wenn sie nicht bei ihnen vorbeikämen.
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