Nach Lambrechts RücktrittScholz hat einen neuen Verteidigungsminister
Nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht ist die Nachfolge nun klar. Der Bundeskanzler holt den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius in die Bundesregierung.

Der bisherige niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) soll neuer Verteidigungsminister und damit Nachfolger von Christine Lambrecht werden. Dies teilte Kanzler-Sprecher Steffen Hebestreit am Dienstag mit. Bundeskanzler Olaf Scholz will die Entscheidung am Nachmittag offiziell verkünden. Am Donnerstag folgt die Vereidigung.
Erfahren und mit breitem Kreuz
Pistorius, 62, wirkt sein ganzes politisches Leben in Niedersachsen, ist aber schon öfter für bundespolitische Ämter gehandelt worden. In seinem Bundesland hat er sich als Fachpolitiker und Anwalt für die innere Sicherheit profiliert. Er ist zwar bereits seit zehn Jahren Innenminister und damit ein sehr erfahrener Politiker, er ist aber dennoch keine risikolose Wahl für den Kanzler. Und Pistorius war nach SZ-Informationen auch nicht die erste Wahl. Der Niedersachse gilt als durchsetzungsstark, medienaffin und als Politiker mit breitem Kreuz. Und er gilt als einer, der sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Kanzler liefern dürfte, wenn es um eine bessere Ausstattung und mehr Geld für die Bundeswehr geht.
Pistorius hat Wehrdienst geleistet und dürfte mit seiner Art bei der Bundeswehr gut ankommen. In seinem Umfeld wird zudem auf die Herausforderungen durch Cyberangriffe und den Aufbau eines besseren Zivil- und Katastrophenschutzes verwiesen, hier bringe er viel Erfahrung mit. Pistorius hatte im Jahr 2019 wie Olaf Scholz erfolglos für den SPD-Parteivorsitz kandidiert.
Auf ihn kommen gleich ereignisreiche Tage zu: Denn am Donnerstag kommt US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach Berlin. Am Freitag trifft sich auf Einladung von Austin die sogenannte Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, um über weitere Waffen- und Panzerlieferungen an die Ukraine zu beraten. Mit grosser Sorge wird gesehen, dass Russland seine Angriffe weiter intensivieren könnte, in der ostukrainischen Stadt Dnipro kamen mehr als 40 Menschen bei einem Luftangriff ums Leben.
Die Lage der Truppe: kaum Zeit zum Eingewöhnen
Die polnische Regierung pocht darauf, dass die Bundesregierung eine rasche Entscheidung über die von ihr gewünschte Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern fällt. Da sie aus deutscher Produktion stammen, braucht es diese Zustimmung.

Bereits für 2025 hat Deutschland der Nato zudem eine komplett ausgestattete Heeresdivision zugesagt. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nimmt an dem Treffen in Ramstein teil. Es wird die Premiere für Pistorius auf internationalem Parkett. Er wird kaum Zeit zum Eingewöhnen bekommen.
Die Abgabe von Panzern, Artilleriegeschützen, Raketenwerfern und Munition hat die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr in den vergangenen Monaten erheblich geschwächt. Der neue Verteidigungsminister muss gleichzeitig dafür sorgen, dass die Bundeswehr ihren wachsenden Bündnisverpflichtungen nachkommen kann. Lambrecht ist offiziell so lange Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, bis sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungsurkunde erhalten hat.
Im ersten Jahr der Zeitenwende ist nur ein Bruchteil aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben worden. Durch die Preissteigerungen infolge der Inflation lassen sich mit dem Geld aber ohnehin weniger Anschaffungen tätigen als zunächst gedacht. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD), die selbst als eine der Kandidatinnen für die Lambrecht-Nachfolge gehandelt wurde, brachte zuletzt einen Investitionsbedarf von 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr ins Spiel.
Scholz hatte Lambrecht am Montag für ihre Arbeit gedankt und eine schnelle Entscheidung über ihre Nachfolge angekündigt. Die ist nun getroffen. Eigentlich galt Pistorius als Favorit für das Amt von Innenministerin Nancy Faeser, falls die, was wahrscheinlich ist, als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl nach Hessen geht. In wenigen Wochen dürfte also eine erneute Personalentscheidung anstehen. Ein weiteres Problem für Scholz ist, dass ein Mann auf Lambrecht folgt und die Parität der Geschlechter im Kabinett, die der Kanzler zu Beginn seiner Regierung versprochen hat, nun nicht mehr gewahrt ist.
Gratulation von Lindner, Kritik von der Union
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat Pistorius beglückwünscht. «Gratulation an meinen neuen Kabinettskollegen Boris Pistorius», schrieb der FDP-Chef auf Twitter. Mit der Umsetzung des Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden Euro gebe es eine grosse Aufgabe, die er gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium angehen wolle, so Lindner.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, kritisiert die Berufung von Pistorius. «Der Bundeskanzler zeigt damit, dass er seine eigene Zeitenwende nicht ernst nimmt. Erneut spielen Sachkompetenz und Erfahrung mit der Bundeswehr keine Rolle.» Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion werde die Arbeit des neuen Ministers kritisch begleiten und die Zusammenarbeit anbieten. Angesichts der Lage, so Wadepuhl, werde Pistorius keine 100 Tage Einarbeitung haben können.

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