Schon ein 90-Prozent-Pensum halbiert die Karrierechancen
Teilzeitmitarbeitende sind derzeit zwar gefragt, werden bei der Beförderung aber übergangen - besonders Frauen sind benachteiligt.

Es ist das Mantra der Stunde: Um den Mangel an Frauen im Kader zu beheben, sollen Firmen Teilzeitarbeit fördern – vor allem im Bereich von 70 Prozent und mehr. Beim Arbeitgeberverband etwa steht die stärkere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt mit Blick auf den Fachkräftemangel ganz oben. «Das vorhandene Potenzial soll noch besser mobilisiert werden, zum Beispiel durch die Erhöhung des Beschäftigungsgrades von Teilzeiterwerbstätigen», heisst es auf der Homepage. Verglichen mit andern OECD-Staaten hat die Schweiz eine der höchsten Teilzeitquoten.
Doch nun bringt eine Studie Ernüchterung in die Prozente-Euphorie: Selbst wenn Frauen und Männer in einem Pensum von 80 bis 90 Prozent arbeiten, werden sie bei Beförderungen deutlich weniger berücksichtigt als Beschäftigte, die 100 Prozent arbeiten. Das zeigt der neue «Gender Intelligence Report» von Advance, der am Montag veröffentlicht wird und der SonntagsZeitung vorliegt.
Schweiz bei Teilzeit vorne dabei. Männer werden deutlich häufiger Chefs

Advance ist ein Firmennetzwerk zum Zweck der Gleichstellung und zählt 63 Mitglieder – darunter Grosskonzerne wie Credit Suisse, ABB, Swiss Re, Siemens und PWC. Für die Studie wurden anonymisierte Rohdaten von 24 Unternehmen mit 127 000 Mitarbeitenden untersucht, darunter jene von 44 000 Managern. Der Befund: 19,4 Prozent der Probanden arbeiten Teilzeit. Bei den Beförderungen erreicht der Anteil Teilzeitmitarbeitender hingegen nur 9,8 Prozent. Eine nicht nachvollziehbare Lücke.
Selbst hohe Teilzeitpensen mit Stigma belegt
«Für Kaderpositionen scheint Vollzeit de facto ein Muss», so das Fazit der Studie, die unter der Leitung von Gudrun Sander, Professorin und Diversity-Spezialistin der Universität St. Gallen, durchgeführt wurde. Sie spricht von einer richtiggehenden «Diskriminierung», die sich auch in einer anderen Zahl ausdrückt: Während das Geschlechterverhältnis auf Angestelltenstufe in etwa ausgeglichen ist, haben die Männer bei den Beförderungen plötzlich einen überproportionalen Anteil.
Eine rationale Erklärung dafür hat Sander nicht. «Offenbar sind selbst hohe Teilzeitpensen noch immer mit einem Stigma belegt. Unbewusst denken die für die Beförderung zuständigen Führungskräfte, dass die betroffenen teilzeitarbeitenden Personen doch nicht mehr richtig an einer Karriere interessiert sind.» Das Problem ist umso gravierender, als in den letzten zwei Jahren in der Unternehmenswelt vermehrt versucht wurde, auch Männer zu Teilzeitpensen in hohem Umfang zu bewegen. Die Angst vor dem Karriere-Aus ist ein wesentlicher Grund, weshalb die mehrheitlich Vollzeit arbeitenden Männer sich nicht trauen, ihr Pensum zu senken. Die Advance-Studie dürfte Wasser auf ihre Mühlen sein.
Sechs-Augen-Prinzip und wichtige Projekte angeln
Beim Arbeitgeberverband ist man erstaunt über die Erkenntnisse. «Wenn hauptsächlich Personen mit 100-Prozent-Pensen befördert werden, wäre das absolut nicht in unserem Sinn», sagt Daniella Lützelschwab, Ressortleiterin Arbeitsmarkt. Hohe Pensen seien ähnlich zu behandeln wie ein 100 Prozent-Pensum. «Viele Jobs, auch auf Kaderstufe, sind in einem 80-Prozent-Pensum bewältigbar. Wir empfehlen unseren Mitgliedern stets, diese Möglichkeiten genau zu prüfen.»
Tatsächlich sind inzwischen viele Konzerne dazu übergangen, anspruchsvolle Stellen routinemässig mit 80 bis 100 Prozent auszuschreiben, um sich als flexibler, familienfreundlicher Arbeitgeber zu positionieren. «Wenn solche Bewerberinnen und Bewerber später dann merken, dass sie mit 80 Prozent doch keine Chancen auf den Aufstieg haben, kommt der grosse Frust», sagt Uni-Professorin Gudrun Sander. Die Forderung von Advance ist klar: Teilzeiter in hohen Pensen müssen Vollzeit-Angestellten im Beförderungsprozess gleichgestellt sein.
Doch das ist schwierig umzusetzen: Oft hat noch immer eine Person, nämlich der oder die direkte Vorgesetzte, das Sagen darüber, ob ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin befördert wird oder nicht. Ist dieser Chef gegenüber Teilzeitmitarbeitenden befangen und denkt bei Müttern in alten Rollenmustern, lässt er sie aussen vor, wenn auch unbewusst.
Gudrun Sander empfiehlt den Firmen deshalb das Vier- oder gar Sechs-Augen-Prinzip bei der Überwachung der Karrierekandidaten. Und für die Frauen mit reduziertem Pensum hat sie auch einen Ratschlag: «Teilzeitmitarbeitende müssen sich unbedingt wichtige Projekte angeln, mit denen sie sich profilieren können und die sie sichtbar machen. Das erhöht die Chancen auf einen Aufstieg.»
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