Schottlands grosse Geldfrage
Pfund, Euro – oder sogar ein eigener Dollar? Niemand weiss, mit welcher Währung die Schotten bei einem Ja zur Unabhängigkeit künftig bezahlen. Alle drei Varianten hätten Nachteile.
Die jüngste Umfrage zu Schottlands Unabhängigkeit hat Schockwellen in der Politik und an der Börse ausgelöst. Wie am Sonntag bekannt wurde, bevorzugen erstmals mehr Schotten die Eigenständigkeit gegenüber dem Verbleib im Vereinigten Königreich. Dies entgegen früheren Befragungen, in denen das Nein-Lager stets die Oberhand hatte – aber durchaus in Einklang mit dem Trend. Dieser zeigt seit Wochen zunehmende Prozentanteile für die Unabhängigkeitsverfechter um Premierminister Alex Salmond an.
Die ernst zu nehmende Aussicht, dass sich die Schotten am 18. September von den Briten lossagen könnten, macht Westminster nervös. Noch am gestrigen Sonntag stellte Grossbritanniens Schatzmeister George Osborne grössere Autonomiebefugnisse in Aussicht, sollte Schottland die Unabhängigkeit in zehn Tagen ablehnen. Das Regionalparlament in Edinburgh hätte demnach umfangreichere Steuer- und Ausgabekompetenzen als bisher – ein als «Devo Max» (für «maximum devolution», grösstmögliche Dezentralisierung) bekanntes Setting.
Die Währung als Gretchenfrage
Während die britische Politik nun versucht, das Steuer herumzureissen, geraten auch die Finanzmärkte wegen der Unabhängigkeitsfrage zunehmend in Alarmstimmung. So verlor das Pfund heute Montag im Handel 0,8 Prozent gegenüber dem Dollar. Die Pfundschwäche hängt mit der Ja-Wahrscheinlichkeit zusammen. Geschätzt wird, dass die britische Währung bei einem Volksentscheid für die Abspaltung über 10 Prozent ihres Werts verlieren könnte. Seit Juli ist der Kurs bereits um 6 Prozent abgesackt. Weiterer Druck ist wahrscheinlich, bis klar ist, wohin die Reise geht.
Die Turbulenzen rund ums Pfund sind kein Zufall. Denn die Währung ist die wichtigste unbeantwortete Frage rund um die Unabhängigkeit der Nation im Norden Britanniens, die seit dem siebzehnten Jahrhundert von London aus regiert wird. Eigentlich handelt es sich um eine irrwitzige Abstimmung. Dass die Schotten in Kürze über eine Abspaltung befinden, ohne Klarheit über die künftige Währungsordnung zu haben, ist nur ein Aspekt. Noch bedenklicher ist, dass alle vorhandenen Alternativen gegenüber dem Status quo mit Nachteilen und grossen Unwägbarkeiten verbunden sind.
1. Beibehaltung des britischen Pfunds
Die naheliegendste Option existiert in zwei Varianten. Ein unabhängiges Schottland könnte entweder eine formelle Währungsunion mit Grossbritannien eingehen, ähnlich wie es die Schweiz und Liechtenstein seit dem Vertrag von 1980 praktizieren (1924 wurde der Franken bereits im Rahmen einer Zollunion als Zahlungsmittel in Liechtenstein eingeführt). Das hätte den Vorteil, dass Schottland gewisse Mitspracherechte hätte und – das ist der wichtigste Punkt – dass seine Wirtschaftslage bei der Bestimmung der gemeinsamen Geldpolitik berücksichtigt würde.
London hat eine solche Variante im Vorfeld der Abstimmung kategorisch ausgeschlossen – wohl auch, um Druck auf die Stimmenden auszuüben. Ob und inwiefern sie bei einem Ja trotzdem realisiert würde, dürfte von Verhandlungen abhängen. Bestenfalls würden die beiden Länder in einer Währungsunion sowohl den Nutzen (also etwa die Geldschöpfungsgewinne der Notenbank) als auch die Risiken (etwa die Kosten bei einer Rettung von Not leidenden Banken) miteinander teilen.
Schlimmstenfalls wäre Schottland aber auf sich allein gestellt. Das Land würde dann das Pfund einseitig als Zahlungsmittel bestimmen – und ähnlich wie Panama den US-Dollar oder Montenegro den Euro eine Fremdwährung ohne formelle Erlaubnis benutzen. Abgesehen vom Prestigeverlust hätte diese Lösung auch handfeste Folgen. Banken wie die Royal Bank of Scotland wären gezwungen, ihren Sitz von Edinburgh nach London zu verlegen. Dazu hätte Schottland null Einfluss auf die Geldpolitik.
2. EU-Beitritt und Einführung des Euro
Ohne EU-Beitritt kein Euro. Dasselbe gilt umgekehrt: Neue EU-Mitglieder müssen in der Regel dem Euro beitreten. Gemäss der gängigen Wirtschaftstheorie würde ein solcher Schritt den Schotten mikroökonomische Vorteile (also etwa weniger Transaktionskosten und Risiken bei den Wechselkursen) und gleichzeitig makroökonomische Nachteile bringen. Was das heisst, hat die Eurokrise gezeigt: Sowohl Wirtschaftsbooms, als auch Flauten fallen heftiger und schädlicher aus.
Besonders im Vergleich zum Pfund schneidet der Euro als Partnerwährung schlecht ab. In der schottischen Wirtschaft stimmen die konjunkturellen Fluktuationen etwa zu 90 Prozent mit denjenigen in Gesamtbritannien überein. Demgegenüber sind nur 60 Prozent Korrelation feststellbar zwischen Schottland und Deutschland. Das heisst, dass Schottland sich als Euromitglied öfters in Situationen wiederfinden würde, in denen die übergeordnete Geldpolitik für die lokale Wirtschaft nicht angemessen wäre. Schottland hat 10 Prozent Wirtschaftsgewicht im Pfund, im Euro wären es nur 2 Prozent.
«Die Kombination von politischer Unabhängigkeit mit einer geteilten Währung ist ein Rezept fürs Desaster», schreibt der Ökonom Paul Krugman dazu. Im Hinblick auf den Euro sind weitere Warnungen angebracht. Die gemeinsamen politischen Institutionen, die eine Währungsunion braucht (etwa eine koordinierte Fiskalpolitik oder einen Finanzausgleich, der den Namen verdient), sind in der Eurozone noch nicht vorhanden. Für Schottland würde mit einem Eurobeitritt demnach eine gefährliche Übergangszeit beginnen – ohne Gewissheit über die Weiterentwicklung der Eurowährungsunion.
3. Einführung des Schottland-Dollar
Eine wichtige Lehre aus der Finanzkrise ist, dass unabhängige Staaten auch eine eigene Zentralbank brauchen. Dies, um im Zweifelsfall die Schuldtitel des Staats zu garantieren und eine Panik am Finanzmarkt abzuwenden. Eine eigene Währung klingt demnach wie eine attraktive Option, auch aus Schweizer Optik: Schottland könnte so eine eigenständige Geldpolitik führen und der Wirtschaft dann wichtige Impulse geben, wenn sie es braucht. Möglich, dass der «Schottland-Dollar» ähnlich wie der Franken für die dortigen Banken zu einem Markenzeichen werden könnte.
Kurzfristig wäre Schottland als Land mit einer eigenständigen Zentralbank allerdings mit einer harten Realität konfrontiert. Das Land müsste am Finanzmarkt erst Vertrauen schaffen, bis die Stabilität der eigenen Währung garantiert wäre. Dieser Prozess kann Jahre dauern. In der Zwischenzeit müsste Schottland erst die eigene Balance finden – die Herausforderungen sind ein hohes, bestehendes Staatsdefizit und eine negative Handelsbilanz mit dem Rest der Welt. Innerhalb des jetzigen Arrangements fliessen mehr Steuergelder von Grossbritannien nach Schottland als umgekehrt.
«Um die Finanzen auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen, wären bedeutende Einschnitte notwendig», bringt das britische Institut for Fiscal Studies die Folgen auf den Punkt. Heute wählt Schottland praktisch ausschliesslich Labour – entsprechend gross ist die Unzufriedenheit über die bittere Austeritätsmedizin, welche die Tory-Regierung in London dem Land in den letzten Jahren verschrieben hat. Die Unabhängigkeit würde sogar noch mehr davon bringen: In den ersten Jahren nach der Abspaltung könnte Schottland unmöglich eine sozialere Politik führen, so wie es das Ja-Lager in seiner Werbekampagne verspricht.
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