Pflanzenstoffe gegen InfektionenSchützen Cranberrys vor Blasenentzündungen?
Wissenschaftler halten einen Nutzen der Beerenprodukte für möglich. Doch es bleiben einige Zweifel – und offene Fragen.

Es gibt sie in allen möglichen Formen und Konzentrationen: Säfte, Tabletten, Kapseln und Pulver aus Cranberrys, die vor Harnwegsinfektionen schützen sollen. Ist das nur sanfter Schnickschnack aus der Naturecke oder doch eine sinnvolle Präventionsmethode? Ein neuer Artikel des Cochrane-Netzwerks kommt zum Schluss, dass tatsächlich etwas an der Wirkung der Früchte, die auch als Moosbeeren bezeichnet werden, dran sein könnte.
Die Autorinnen und Autoren haben 50 klinische Studien mit insgesamt knapp 9000 Patienten zum Nutzen der Beerenprodukte ausgewertet. In der Gesamtschau zeigte sich, dass Studienteilnehmer, die Cranberry-Produkte konsumierten, ein um etwa 30 Prozent niedrigeres Risiko für Harnwegsinfekte aufwiesen als Probanden, die ein Placebo oder gar keine Behandlung erhalten hatten. Die Autoren nannten die Evidenz für dieses Resultat «moderat».
Allerdings sind die Effekte nicht durchgehend zu erkennen. Profitieren könnten den Daten nach vermutlich Kinder, Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten und Menschen, die wegen einer vorangegangenen Behandlung der Harnwege, etwa einer Bestrahlung, besonders empfänglich für die Entzündungen sind.
Wer wie stark profitiert, ist noch unklar
Für ältere pflegebedürftige Menschen sowie für Schwangere – zwei Gruppen, die ebenfalls anfälliger für die Infektionen sind – deuteten die Studiendaten dagegen darauf hin, dass der Effekt der Beerenprodukte klein oder gar nicht existent ist. Allerdings sei gerade in der Frage, wer wie sehr profitiere, mehr Forschung nötig, schreiben die Autoren.
Schwere Nebenwirkungen wurden in den Studien nicht festgestellt. Nach Einnahme der Säfte, Pillen und Pulver können Bauchschmerzen auftreten; doch anscheinend kommen diese kaum häufiger vor als nach der Verabreichung von Placebos.
Dennoch lässt die Arbeit einige Fragen offen. Eines der grössten Probleme ist, dass der Cranberry-Markt so unübersichtlich ist. Es gibt keine standardisierten Produkte. Und so flossen in die Studien sehr unterschiedliche Erzeugnisse mit unterschiedlichen Konzentrationen der vermutlich wirksamen Substanz ein.
Darmbakterien verursachen Infektionen
Als wirksam gelten die in den Beeren enthaltenen Proanthocyanidine, die in verschiedenen Pflanzen vorkommen. Man nimmt an, dass sie Bakterien davon abhalten, sich an der Blasenwand festzusetzen, sodass die Keime die Zellen gar nicht erst infizieren können. Der Hauptgrund von Harnwegsinfektionen sind Escherichia-coli-Bakterien, die aus dem Darm in den Harntrakt verschleppt werden.
Doch die grosse Heterogenität der untersuchten Moosbeerenprodukte erschwert die Einschätzung, wie sicher die Ergebnisse der ausgewerteten Studien sind. Zugleich lassen sie die praktische Frage offen, welches der vielen Produkte aus den roten Beeren am hilfreichsten ist.
Studien, die verschiedene Konzentrationen der Proanthocyanidine oder unterschiedliche Darreichungsformen miteinander vergleichen, sind rar. Tabletten könnten womöglich etwas wirkungsvoller als Saft sein, vielleicht aber auch nur, weil das eher bitter schmeckende Getränk nicht so zuverlässig konsumiert werde wie die Pillen, vermuteten die Cochrane-Autoren. Letztlich aber ist die Frage nach der besten Form der Beerenerzeugnisse nicht sicher zu beantworten. Ebenso offen bleibt die Frage nach der optimalen Dosis des entscheidenden Inhaltsstoffs.
«Die Evidenz reicht derzeit nicht aus, um Cranberry-Produkte pauschal zu empfehlen.»
Birgit Schindler, Fachapothekerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Cochrane Deutschland, zieht daher das Fazit: «Die Evidenz reicht derzeit nicht aus, um Cranberry-Produkte pauschal zu empfehlen.» Sie weist zugleich auf mögliche weitere Probleme hin. «Es ist kein gutes Zeichen, dass sechs Studien schon länger registriert sind, ohne dass Ergebnisse veröffentlicht wurden. Dies kann ein Hinweis auf einen ‹Publication Bias› sein, dass also Studien, die keinen Unterschied zwischen Cranberrys und einem Placebo gezeigt haben, nicht veröffentlicht wurden.»
Zudem macht Schindler auf Widersprüche in den ausgewerteten Studien aufmerksam. So zeigten einige Arbeiten bei Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten Vorteile der Produkte; die Hälfte der Studien zeigte jedoch gar keinen Effekt.
Dabei dürften gerade viele Frauen auf wirksame Massnahmen zur Vorbeugung hoffen. Sie sind sehr viel häufiger von Harnwegsinfekten, vor allem Blasenentzündungen, betroffen als Männer, weil die Coli-Bakterien bei ihnen einen wesentlich kürzeren Weg vom Darm bis in die Blase zurücklegen müssen. Und während die Frauen die lästigen Symptome, in erster Linie häufiger Harndrang und Schmerzen, gerade wieder loswerden, müssen viele von ihnen damit rechnen, dass die Infektion zurückkehrt. Etwa 30 Prozent aller Frauen erleben durchschnittlich zwei bis drei Harnwegsinfektionen pro Jahr, einige auch noch mehr.
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