Geldberater: Der Marktschrei(b)erSchweiter trifft den Zeitgeist
Hochdorf verschwindet aus Hochdorf +++ Comet profitiert von Superzyklus +++ Dormakaba muss aus dem Dreck +++ PolyPeptide mit neuem Corona-Impfstoff.

Schweiter: Kaufen
Seit langem gefällt mir ein Unternehmen sehr: Schweiter. Die Gesellschaft mit Sitz in Horgen hat sich in einer gründlichen Transformation von einem Maschinenbauer zum grössten Hersteller von Verbundwerkstoffplatten in Europa gewandelt. Schweiter stellt zum Beispiel Platten her, die für Anzeigetafeln, Schilder, Werbeflächen oder im Messebau verwendet werden – oder auch als Infektionsschutz an Kassen und in Restaurants. Es war vor allem dieses «Corona-Geschäft», das Schweiter vergangenes Jahr ein Rekordergebnis ermöglicht hatte. Das wird 2021 wohl nicht zu übertreffen sein. Die Aktien hinken denn auch aktuell dem breiten Markt hinterher. Doch strukturell sind die Wachstumsaussichten gut, Verbundwerkstoffe treffen den Zeitgeist. So tragen beispielsweise Leichtbauteile bei Reisebussen zu einer höheren Energieeffizienz bei. Schweiter ist zudem der weltgrösste Produzent und Verarbeiter von Balsaholz. Das äusserst leichte und trotzdem formstabile Material ist ideal für den Bau von Windturbinen. Nach der Konsolidierung der letzten Monate sind die Aktien nicht mehr hoch bewertet. Angesichts der Tatsache, dass das Unternehmen sehr solide finanziert und gut geführt ist, kann ein Einstieg erwogen werden.
Hochdorf: Verkaufen
Anders als mit dem strategischen Zweihänder ist bei Hochdorf der Krise offenbar nicht beizukommen. Der Milchverarbeiter schliesst die Fabrik am Standort Hochdorf – 126 Jahre nach der Unternehmensgründung verschwindet die namengebende Produktion. Der Konzern steht finanziell auf äusserst wackeligen Beinen, weil die Expansionsstrategie der letzten Jahre grandios gescheitert ist. Mich packt das Grauen, wenn ich auf die Finanzzahlen schaue. Die Schulden sind hoch, die flüssigen Mittel dünn. Nun müssen die Kosten so rasch wie möglich runter, damit Hochdorf mittelfristig wieder profitabel wird. Ein Blick auf die Konkurrentin Emmi zeigt, dass mit Milch durchaus ein innovatives und lukratives Geschäft betrieben werden kann. Ob die nun eingeleiteten Schritte ausreichen, bleibt abzuwarten. Viele Fragen bleiben offen. So steht etwa eine wichtige Zulassung in China weiterhin im Raum, und der Fokus auf Babynahrung und «Smart Nutrition» bleibt kein einfacher. Ich bleibe bei meiner pessimistischen Anlageeinschätzung.
Comet: Halten
Die Aktien von Comet haben seit Mitte Juli 40 Prozent zugelegt. Das erstaunt insofern nicht, als die Gesellschaft ein wichtiger Zulieferer der Halbleiterindustrie ist. Und diese boomt. Die Nachfrage nach Halbleiterchips, diesen mikroelektronischen Bauteilen, übertrifft das Angebot um Längen. Branchenexperten sprechen von einem Superzyklus. Hunderte von Milliarden Dollar werden in neue Fabriken investiert. Wer für deren Ausstattung prozesskritische Komponenten liefert, profitiert direkt davon. Im Fall von Comet ist auch die neue Führung mit Chef Kevin Crofton, einem erfahrenen Branchenkenner mit ambitionierten Zielen, ein Faktor, ebenso eine neue Linie sogenannter Hochfrequenzgeneratoren, welche die Ausbeute in der Chipproduktion beträchtlich steigern soll. Inzwischen ist die Bewertung der Rekorde schreibenden Titel allerdings hoch. Um zuzukaufen, wird es bessere Gelegenheiten geben. Wer sie schon besitzt, sollte sich überlegen, einen Teil des Gewinns zu realisieren. Angesichts der auch längerfristig guten Branchenaussichten gilt grundsätzlich aber: Halten.
Dormakaba: Meiden
Es sah ja alles so gut aus: 2015 schlossen sich die florierende schweizerische Schlüsselfirma Kaba und die deutsche Branchengrösse Dorma zusammen. Doch danach schwand die Dynamik. Das per Ende Juni 2021 abgeschlossene Geschäftsjahr 2020/21 brachte bei Dormakaba weder Umsatz noch Reingewinn auf das Vor-Corona-Niveau zurück. Die Zahlen liegen sogar unter denen von 2016/17. Das gilt leider auch für das Profitabilitätsniveau, also den Gewinnanteil an einem Umsatzfranken. Jetzt muss die neue Chefin Sabrina Soussan den Karren aus dem Dreck ziehen. An der Jahresmedienkonferenz vom vergangenen Mittwoch wirkte sie angespannt und betonte, wie intensiv sie sich in ihren ersten hundert Tagen mit der Firma beschäftigt habe. Sie wird eine neue Strategie umsetzen müssen, die erst im November vorgestellt wird. Egal, wie die aussieht, das ist keine leichte Aufgabe. Der Weltmarkt für die von Dormakaba feilgebotenen Produkte ist bis heute fragmentiert, und es gibt fast nur national orientierte Anbieter. Von der Aktie würde ich erst mal Abstand halten.
PolyPeptide: Dosiert kaufen
PolyPeptide hat Mitte August ein exzellentes Halbjahresergebnis vorgelegt. Die Aktie ist noch einmal 40 Prozent geklettert. Seit dem Börsendebüt Ende April beträgt die Avance 86 Prozent. Profitiert hat der Spezialist für Peptide vor allem vom Corona-Impfstoff von Novavax. Er ist noch nicht zugelassen, aber es wird mit der baldigen Zulassung in der EU und noch vor Ende Jahr auch in den USA gerechnet. Die Schweiz hat sechs Millionen Dosen bestellt. PolyPeptide stellt zwei Bestandteile des Adjuvans her. Dieses soll die Immunantwort des Vakzins verstärken. Novavax fährt in Erwartung des Markteintritts die Produktion schon hoch. Bis Ende Jahr will das US-Biotechunternehmen 150 Millionen Dosen pro Monat herstellen. Das sollte PolyPeptide mindestens bis Mitte nächsten Jahres Schub geben. Die ganze Branche der Pharmaauftragsfertiger ist im Aufwind, Nischenplayer wie PolyPeptide besonders. Das Ende der Fahnenstange ist wohl noch nicht erreicht, auch wenn die Aktien sehr teuer sind.
Diese Kolumne wird von den Redaktorinnen und Redaktoren der «Finanz und Wirtschaft» verfasst. Sie haben sich verpflichtet, nicht in den entsprechenden Titeln aktiv zu sein. Wer die Tipps dieser Kolumne umsetzt, tut das auf eigenes Risiko. Die SonntagsZeitung übernimmt keine Verantwortung. Weitere Artikel der «Finanz und Wirtschaft» finden Sie unter www.fuw.ch
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