Die ersten Tränen, Patzer und Verstösse im neuen Parlament
Das grünste und weiblichste Parlament der Schweizer Geschichte ist erstmals zusammengetreten. Einige Szenen von der Eröffnungszeremonie.

Das erste Geständnis
Es sei «Zufall», dass sie hier oben sitzen dürfe. «Ich bin schlicht jene Parlamentarierin im Nationalrat, die es bisher am längsten ausgehalten hat.» Mit dieser Demutsbekundung eröffnete die Baselbieter Grüne Maya Graf am Montag die Legislatur 2019–2023 im Nationalrat. Tatsächlich hatte Graf durchaus Anlass zur Unbescheidenheit: Sie ist die erste Frau, die es in die Position der Alterspräsidentin geschafft hat. In ihrer einleitenden Rede zeigte sie sich denn auch erfreut darüber, dass 84 Frauen die Wahl geschafft haben, so viele wie noch nie.
Die erste Klimaoffensive
Als jüngstes neu gewähltes Ratsmitglied durfte nach Graf der 25-jährige Zürcher Freisinnige Andri Silberschmidt eine Rede halten. Er wiederum freute sich besonders über die Rekordzahl Junger im Ratssaal, denen er pragmatische Lösungen für die drängenden Themen zutraut. Zu Letzteren zählte er neben der Altersvorsorge und der Start-up-Förderung auch den Klimaschutz. In den stark angewachsenen Fraktionen der Grünen und Grünliberalen dürfte Silberschmidt mit diesem Bekenntnis schon mal eine gewisse Klimaerwärmung bewirkt haben.
Die erste Entscheidung
Als erste echte Amtshandlung hat eine neu gewählte Ratskammer traditionell ihren Vorsitz zu bestimmen. Turnusgemäss war mit Isabelle Moret diesmal eine Freisinnige für das Nationalratspräsidium bestimmt. Moret, die vor zwei Jahren die Wahl in den Bundesrat verpasst hatte, freute sich nun über ein sehr gutes Resultat: 193 von 200 Ratsmitgliedern gaben ihr die Stimme.
Die Grüne Maya Graf (r.) gratuliert der neuen Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP). Foto: Arnd Wiegmann (Reuters)
Die erste Verspätung
Es gibt nur zwei Gelegenheiten, bei denen normalerweise jeder Platz im Nationalratssaal besetzt ist: Bundesratswahlen und eben die Eröffnungszeremonie bei Legislaturbeginn. Magdalena Martullo-Blocher, SVP-Nationalrätin für Graubünden, trudelte allerdings erst zehn Minuten nach dem Läuten von Maya Grafs Glöcklein ein. Das Rennen um die Spitzenplätze auf der «Schwänzerliste» ist eröffnet.
Die erste Vernebelung
Die Stimmen für das Ratspräsidium wurden noch ausgezählt, als SP-Nationalrätin Jacqueline Badran auf dem Bundeshaus-Balkon die erste parlamentarische Rauchpause der Legislatur einläutete. Die Zürcherin, berühmt für ihre Streitlust, zeigte sich beim Raucher-Talk bereits voll in Fahrt beziehungsweise enerviert über die Rede des Jungfreisinnigen Silberschmidt: «Besonders inspiriert fand ich das nicht. Er hat als Vertreter der Jungen eine Rede eines 60-Jährigen gehalten.»
Die ersten Tränen
Für das erste im Ratssaal vergossene Augenwasser ist, in gewisser Weise, die Grüne Irène Kälin verantwortlich. Sie wurde zur zweiten Vizepräsidentin gewählt und dürfte 2021 zur «höchsten Schweizerin» aufsteigen. Doch war es wohl weniger Rührung als schlechte Laune, die Kälins Sohn Elija Jon auf der Zuschauertribüne zu lautstarken Unmutsbekundungen veranlasste. Der Trost des Vaters Werner de Schepper blieb wirkungslos. Am Ende gab de Schepper, bekannt als hartnäckiger Journalist, klein bei – und verliess mitsamt Bub den Saal.
Das Rennen um
die Spitzenplätze auf der
«Schwänzerliste» ist eröffnet.
Der erste Patzer
Nicht weniger als 21 Nationalrätinnen und -räte verpassten bereits die allererste Abstimmung unentschuldigt. Es ging dabei um Regeln für transparentes Lobbying (eine Mehrheit stimmte dafür). Allerdings sind nicht alle fehlenden Voten auf mangelnde Stimmdisziplin zurückzuführen. Mit den Tücken der Technik kämpfte etwa Andri Silberschmidt, wie er auf Twitter gestand: «Da ich den zweiten Knopf an der Abstimmungsanlage noch nicht kannte, fehlt meine Stimme.»
Die Ersten am Buffet
Bei Legislaturbeginn gibt es im Bundeshaus reichlich zu essen und zu trinken (noch reichlicher). Das wissen nun wiederum die Bisherigen besonders gut, was ihnen einen strukturellen Vorteil verschafft. Beobachter wollen jedenfalls festgestellt haben, dass die altgedienten Sozialdemokraten Eric Nussbaumer, Roger Nordmann und Yvonne Feri die Ersten waren, die sich auf das angerichtete Festbuffet stürzten.
Der erste Regelbruch
Im Ständerat ist es Gepflogenheit, dass sich Neugewählte während ihrer ersten Session noch nicht zu Wort melden. Zumindest im Falle der Grünen wird dieses Stille-Gebot diesmal ausser Kraft gesetzt, auf Veranlassung von Ratspräsident Hans Stöckli persönlich. In seiner Eröffnungsrede zeigte Stöckli Verständnis für die besondere Situation der Grünen: Man könne kein dauerhaftes Schweigen erwarten, wenn die Belegschaft einer Fraktion ausschliesslich aus neuen Mitgliedern bestehe. Damit sorgt Stöckli bereits für die erste Änderung im «Stöckli».
Erstellt: 02.12.2019, 23:18 Uhr
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