Funktionieren die alten Tricks bei den Neuen in Bern?
Lukrative Mandate, Schokolade und eine Handy-Powerbank: Wie Lobbyisten die neu gewählten National- und Ständeräte umwerben.

Mit Leichtigkeit könnte man es als Schmonzette abtun, als rührseliges Stück Politfolklore. Da wohnen also neu ein FDPler, ein SVPler und eine Grüne in einer Wohngemeinschaft beim Bundeshaus. Alle unter 30, das volle Leben. Der «Blick» wird vorbeikommen und Bilder schiessen (überparteiliches Zwiebelschneiden), die «Schweizer Illustrierte» die Einrichtung rezensieren, das Fernsehen die erste WG-Party filmen. Die WG von Franziska Ryser (Grüne), Andri Silberschmidt (FDP) und Mike Egger (SVP) ist für die Medien ein Geschenk des Himmels. Auch diese Zeitung hat, natürlich, berichtet (lesen Sie hier mehr darüber).
Aber vielleicht ist es eben doch mehr als nur Polit-People-Journalismus. Mehr als ein etwas zu beabsichtigt wirkender PR-Coup. Vielleicht zeigt die Wohngemeinschaft im Marzili-Quartier, dass dieses neue Parlament, das sich am Montag zur Eröffnung der Legislatur im Bundeshaus trifft, tatsächlich etwas anders tickt als früher. Weniger ideologisch. Pragmatischer. Über 70 National- und Ständeräte ziehen neu ins Bundeshaus ein, das Parlament ist so jung und weiblich und grün wie noch nie. Und das verändert Dinge. Es verändert, wie die Politik funktioniert – es verändert die Kräfte, die von aussen auf die Politik wirken.
Eine Branche unter Druck
«Die Jungen ticken anders heute, sie sind viel vernetzter als wir damals. Wir kannten ja noch nicht einmal das Wort!» Das sagt Martin Schläpfer, kürzlich pensionierter Chef-Lobbyist der Migros, Doyen aller Berner Lobbyisten. Er vermutet, dass die Wahlen auch für seine Branche grössere Verwerfungen nach sich ziehen könnten. «Weil sich das Parlament so verändert hat, verändert sich auch der Lobbyismus», sagt Schläpfer. Der Einfluss der Verbände schwinde, ein Mandat (oder eines zu viel) könne heute sogar schädlich sein. «Das sah man beim abgewählten CVP-Ständerat Beat Vonlanthen in Freiburg, der für seine vielen Mandate abgestraft wurde.»
Für viele Branchen und Verbände waren die Wahlen tatsächlich ein Fiasko. Krankenkassen und Pharma verloren die Hälfte ihrer Vertreter, der Gewerbeverband litt, die Gewerkschaften mussten Verluste beklagen.
Die Tricks der Branche sind alt. Das Parlament allerdings:
Es ist ein neues.
Umso wichtiger war für sie die Phase zwischen Wahl und Amtsantritt. Die Frage eine simple: Was tun? Wie gelangt man zum gleichen Einfluss wie früher? «Man darf sich keine Illusionen machen», sagt Reto Wiesli, Präsident der Schweizerischen Public Affairs Gesellschaft (SPAG). «Am Schluss werden die Verbände und Branchen in den Kommissionen immer jemanden finden, der sich für ein Mandat begeistern lässt. Und das ist für die meisten mehr wert als jeder Public-Affairs-Angestellte, der in der Wandelhalle aktiv ist und Parlamentarier anspricht.»
Aber, und das «Aber» betont Wiesli, das neue Parlament dünke ihn in Sachen Transparenz aufgeschlossener als das alte. «Im digitalen Zeitalter ist alles andere auch keine Option mehr», sagt Wiesli. Je jünger die Parlamentsmitglieder, desto eher würden sie das begreifen.
Das kann man vielleicht schon am Montag Nachmittag sehen, wenn der neue Nationalrat als eine seiner ersten Amtshandlungen über einen Vorstoss des abgetretenen SP-Ständerats Didier Berberat abstimmt. Der Vorstoss verlangt ein Register für Lobbyisten, in dem sie ihre Auftraggeber und ihre Mandate eintragen müssen.
Räte waren sich uneinig
Es ist eine langwierige Geschichte – seit über vier Jahren schieben sich die Räte den Vorschlag hin und her. Der Ständerat war jeweils dafür, der Nationalrat dagegen. «Wenn man sieht, wer aus der vorberatenden Kommission im Nationalrat abgewählt wurde, dann stimmt einen das positiv», sagt Reto Wiesli, der die Vorlage unterstützt. Wer für die Transparenzregelung war, blieb drin. Wer dagegen war, fiel raus. «Auch das zeigt, wie der Wind sich dreht», sagt der SPAG-Präsident.
Gegner des neuen Registers halten die Übung für eine weitere Bürokratieschikane: überflüssig, mühsam und weit weg von allen Realitäten. «Lobbyismus findet nicht nur in Sessionen und in der Wandelhalle statt, sondern das ganze Jahr über. An Veranstaltungen, Treffen, Podien», sagt Hans-Ulrich Bigler, abgewählter Nationalrat der FDP und Direktor des Gewerbeverbands. Es spiele auch keine grosse Rolle, ob er als Direktor auch Parlamentarier sei. «Ich habe schon während meiner Zeit als Nationalrat nicht alle Vorstösse selber geschrieben und eingereicht, sondern sie unter den Kollegen verteilt», sagt Bigler.
Wie wichtig ist Nähe? Räumliche Nähe? Auch der Nationalrat Heinz Brand von der SVP wurde abgewählt. Er ist Präsident der Krankenkassenvereinigung Santésuisse. Die Vertretung der Prämienzahler liege im Interesse vieler Politiker – von links bis rechts, schreibt Manuel Ackermann von Santésuisse auf Anfrage. Durch die steigenden Gesundheitskosten werde die Vertretung dieser Interessen unabhängig von einer direkten Vertretung im Parlament zusätzlich an Bedeutung gewinnen. «Es ist darum nicht von zentraler Bedeutung, ob unser Präsident ein Parlamentarier ist oder nicht.»
Bedürfnis der Bevölkerung
Was Ackermann nicht sagt: Gerade Krankenkassen gehen in diesen Tagen verschiedene Parlamentarier an, um sie für einen Beirat zu gewinnen – im besten Fall mit Aussicht auf einen späteren Sitz in einem Verwaltungsrat. Das kann, je nachdem, sehr lukrativ sein. «Wenn man ein Mandat erhält für 50'000 oder 100'000 Franken im Jahr und dann in einer Kommission Entscheidungen im Sinne dieses Mandats trifft, so ist das ein Problem», sagt Corina Gredig, neu gewählte Nationalrätin der Grünliberalen. Dass das Parlament als Ganzes transparenter werde, entspricht demnach auch einem Bedürfnis der Bevölkerung.
Corina Gredig an der Wahlfeier der GLP in Zürich. Foto Keystone
Andri Silberschmidt – Bewohner der berühmtesten Polit-WG der Schweiz – hat bereits einen Sitz in einem Beirat angeboten bekommen mit der Bitte um einen Zutritts-Badge zum Bundeshaus. «Ich bin sehr vorsichtig und habe bisher alles abgelehnt.» Silberschmidt wird den Vorschlag von Berberat unterstützen. Der Trend sei eindeutig, und er gehe Richtung mehr Transparenz. Wenn er mit Kollegen rede, die nicht aus der Politik kommen, seien immer die gleichen Themen relevant. Wie fallen Entscheidungen? Wer beeinflusst wen? Und wie? «In diesem Bereich haben wir ein Transparenzdefizit.»
Was tun mit der Powerbank?
Gerade für neue Parlamentarier war die Phase zwischen Wahl und Amtsantritt sehr herausfordernd. Sie werde von Einladungen überschwemmt, sagt die Grüne Greta Gysin. Am meisten erstaunt habe sie die Einladung der Parlamentarischen Gruppe für Inlandbanken. Da sei ein ganzes Paket gekommen. Schokolade, Bonbons, eine Powerbank fürs Handy. «Das scheint mir doch recht grosszügig und zeigt mir: Lobbyismus findet auf verschiedenste Arten und Weisen statt.» Sie selber müsse zuerst noch eine Haltung zu all diesen Kontaktversuchen entwickeln, sagt Gysin. Sie weiss im Übrigen auch noch nicht, was sie mit der Powerbank machen soll.
Einen Schritt weiter ist ihr Parteikollege Felix Wettstein. Dieser listet auf seiner Website jede Kontaktaufnahme auf. Es ist eine lange, lange Liste, und sie zeigt: Die Tricks sind immer noch die alten. Das Parlament allerdings: Es ist ein neues.
Erstellt: 01.12.2019, 22:13 Uhr
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