CIA wollte im Fall Tinner offenbar eigenes Versagen vertuschen
Ein Buch über die Atomwaffen-Affäre bringt neue Fakten auf den Tisch. Die Autoren widersprechen dem Bundesrat: Die Vernichtung der Akten habe die Welt nicht sicherer, sondern gefährlicher gemacht.

Die Schweiz war in der Affäre Tinner Gehilfe und zugleich Opfer der USA. Gemäss einem neuen Buch übten die Amerikaner Druck aus, um eine Strafverfolgung gegen die Tinner-Familie wegen ihrer Geschäfte mit dem «Vater der pakistanischen Atombombe», Abdul Qadeer Khan, zu verhindern.
Mit der vom Bundesrat am 14. November 2007 beschlossenen Vernichtung aller Tinner-Akten dürfte dies auch gelungen sein, schreiben die Autoren des Buches «Fallout - The True Story of the CIA'S Secret War on Nuclear Trafficking» (»Radioaktiver Niederschlag - die wahre Geschichte des Geheim-Kriegs der CIA gegen Atomschmuggel»).
«Die Chance, eine Lösung zu finden, die eine Verfolgung der Schuldigen erlaubt und die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindert, wurde durch den Eingriff der CIA und der Bush-Regierung zerstört», kommentieren die US-Journalisten Catherine Collins und Douglas Frantz.
CIA vertusche eigenes Versagen
Im Buch werden Vertuschungsaktionen der USA auch ausserhalb der Schweiz dokumentiert. Der US-Geheimdienst CIA hatte Gründe, die Tinners zu schützen. Urs Tinner arbeitete gemäss Buch bereits ab 1999 für die CIA; Marco und Friedrich Tinner, der seit Jahrzehnten mit Khan arbeitete, wurden später rekrutiert. Die CIA müsse Informanten schützen, wolle sie weitere rekrutieren.
Hauptmotiv der CIA sei gewesen, eigenes Versagen zu vertuschen. Ende 2003, als es der CIA mit Hilfe von Urs Tinner gelang, das Atombombenprogramm Libyens zu stoppen, habe diese einen Erfolg dringend gebraucht. Denn die US-Geheimdienste standen wegen ihrer Falschinformationen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak und wegen ihres Unvermögens, die Anschläge vom 11. September 2001 zu verhindern, unter Druck.
Auch im Falle Khans habe die CIA versagt: Denn Khan stand bereits seit 1975 im Visier der Geheimdienste. Damals arbeitete der Pakistaner beim deutsch-britisch-niederländischen Uran-Konsortium URENCO.
Die niederländische Sicherheitspolizei verdächtigte ihn des Diebstahls von Zentrifugen-Plänen. Doch die CIA habe den Holländern geraten, Khan ziehen zu lassen. Das Resultat ist bekannt: Pakistan zündete 1998 seine erste Atombombe. Später lieferte Khan sein Atombomben-Know-How an den Iran, Nordkorea, Libyen und vermutlich an einen vierten Kunden.
Aktenvernichtung machte Welt unsicherer
Die Autoren zeigen sich überzeugt, dass Letzterer mit Hilfe der Tinner-Akten hätte identifiziert werden können. Mit deren Vernichtung seien jedoch die meisten Spuren des Khan-Netzes verwischt und damit die Chance vertan, die Welt sichererer zu machen.
Damit widersprechen die beiden Kenner der Materie und Autoren des bekanntesten Buches über Khan (»The Nuclar Jihadist») dem Bundesrat. Dieser rechtfertigte seinen Vernichtungsbeschluss mit dem erheblichen Sicherheitsrisiko, dass die Akten dargestellt hätten. Warum wurde alles vernichtet, auch Lieferlisten oder Reisebelege und nicht nur Pläne für die Urananreicherung oder Atomwaffen?, fragen die Autoren.
Antworten lieferte bereits der Bericht vom Januar 2009 der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Der Bundesrat sei vom EJPD nur schrittweise informiert worden und erst, wenn «Handlungsbedarf dringlich geworden ist», schrieb die GPDel.
Als die Regierung wegen des Drucks der USA plötzlich eine Aktenvernichtung als dringlich erachtete, blieb zu wenig Zeit, um Gefährliches von reinen Beweismitteln zu trennen.
Dabei hätte die Schweiz gemäss GPDel die Beweise bis zum Abschluss des Tinner-Verfahrens sicher verwahren können. Oder sie hätte diese den USA oder der Uno-Atombehörde IAEA übergeben können.
Der GPDel-Bericht war Ausgangspunkt der Recherche. Collins und Frantz bringen Leben in dessen trockene Sätze. So wird im Bericht erwähnt, dass sechs US-Agenten im Juni 2003 eine «Hausdurchsuchung» bei den Tinners durchgeführt und Daten kopiert hätten.
Quellen des Buchs liegen oft im Dunkeln
Doch die CIA liess die gefährlichen Daten bei «bekannten Atomschmugglern» zurück, die diese «mit einem Mausklick» hätten weiterverbreiten können, wird im Buch kritisiert. Erst Jahre später machten die USA Druck, die Daten zu vernichten.
Im Buch wird der Einbruch detailliert beschrieben - bis hin zum Einrasten des Dietrichs im Schloss. Dieses Detail offenbart zwei Schwächen des Buches: Manchmal lassen die Autoren ihre Fantasie spielen, vermutlich um der Geschichte Farbe zu geben.
So beschreiben sie die Motive von alt Justizminister Christoph Blocher, den sie als aufgeräumte Version des damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney darstellen, ohne mit Blocher gesprochen zu haben. Zudem können sie viele Quellen nicht nennen.
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