«Der Entscheid zum Rückzug fiel erst gestern Abend»
Das Rasa-Komitee wollte den Zuwanderungsartikel aus der Verfassung streichen. Nun geben die Initianten auf: Leo Caprez vom Komitee erklärt die Hintergründe.

Wieso ziehen Sie die Rasa-Initiative zurück?
In der parlamentarischen Beratung haben sich beide Kammern gegen einen Gegenvorschlag ausgesprochen. Nun war es an der Zeit, ein Fazit zu ziehen. Wir haben festgestellt, dass zentrale Ziele von Rasa mit der vom Parlament beschlossenen Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative erreicht sind. Unser Hauptziel war immer der Erhalt der bilateralen Verträge; diesen ermöglicht der Inländervorrang light.
Fiel der Entscheid einstimmig?
Mit einer komfortablen Mehrheit. Wir haben unser Vorgehen im Komitee laufend sehr offen und pragmatisch diskutiert. Dabei wurden immer auch verschiedene Standpunkte vertreten, doch haben wir uns stets auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt.
Sie hatten angekündigt, die Initiative nur zurückzuziehen, wenn das Parlament einen Gegenvorschlag beschliesst. War das eine leere Drohung?
Nein, der Entscheid zum Rückzug fiel erst gestern Abend – nachdem wir eine neue Lagebeurteilung vorgenommen hatten. Im Europadossier hat sich in letzter Zeit einiges verändert. Wir sind deshalb zum Schluss gekommen, dass Rasa nicht die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt wäre. Die von Auns und SVP angemeldete Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit wird eine Klärung bringen.
Video: Kein Gegenvorschlag
Sind Sie enttäuscht, dass das Parlament keinen Gegenvorschlag beschlossen hat?
Wir haben bis zuletzt auf einen Gegenvorschlag gehofft. Es zeigte sich auch im Parlament, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich eine Anpassung der Verfassung wünschen. Das Scheitern des Referendums gegen die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zeigt aber auch, dass es eine breite Unterstützung für das Vorgehen des Parlaments gibt. Wir sehen natürlich nach wie vor ein gewisses Risiko, dass sich die Verfassungsbestimmungen zur Zuwanderung später als Stolperstein erweisen könnte. Eine Änderung liesse sich jedoch dann immer noch vornehmen. Das ist ja das Schöne in der Schweiz: Es kann jedermann jederzeit eine Verfassungsänderung anstossen.
Welche Rolle spielten finanzielle Überlegungen beim Rückzugsentscheid?
Überhaupt keine. Das Crowdfunding der Operation Libero für den Kampf gegen die No-Billag-Initiative hat letzte Woche eine Viertelmillion Franken zusammengebracht. Das zeigt, dass sich ein wichtiges Anliegen auch ohne grosse Geldgeber im Hintergrund auf eine finanziell gute Basis stellen lässt.
Wurden Sie von der Politik oder von Verbänden unter Druck gesetzt, die Initiative zurückzuziehen?
Von der ersten Minute an. Wir haben uns bis zum Schluss jedoch nie aus der Ruhe bringen lassen. Viele Voten waren im Übrigen gerechtfertigt, wir setzten uns mit diesen auch auseinander.
Über das Rasa-Komitee und die Initiative wurde oft in einem abschätzigen Ton gesprochen. Die Rede war etwa von «nützlichen Idioten», einer «Zwängerei» und einem «toten Pferd», von dem man besser absteigen sollte. Hinterliessen solche Anwürfe Spuren?
Im Griechischen sind Idioten ja Personen, die nicht an der Demokratie teilnehmen können – und wenn wir nützlich waren, umso besser. Über manche Darstellungen haben wir uns natürlich geärgert. Es ist aber durchaus schön, dass ein wichtiges Thema auch emotional diskutiert wird. Ausserdem haben sich viele Leute bei uns dafür bedankt, dass wir da waren.
Was wäre heute anders ohne Rasa?
Weil Rasa da war, hat sich das Parlament zusammengerauft und eine Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative beschlossen. Angesichts der darin vorgegebenen knappen Frist von drei Jahren hätte sonst wohl der Bundesrat die Initiative per Verordnung umgesetzt, womit er eine Verletzung der bilateralen Verträge in Kauf genommen hätte und der schwarze Peter an ihm hängen geblieben wäre.
Würden Sie persönlich die Rasa-Initiative noch einmal lancieren?
Ich bereue nichts. Ich halte die Lancierung der Initiative nach wie vor für richtig und gerechtfertigt. Ich glaube nicht, dass nun die ganze Zeit Umkehrungsinitiativen lanciert werden.
Video: «Die Politik hat uns nicht unterstützt»
Bleibt der Verein Rasa politisch aktiv?
Wir werden dies gemeinsam mit sämtlichen Mitgliedern erst noch entscheiden. Persönlich bleiben wir sicher aktiv und werden uns dafür einsetzen, dass die angekündigte SVP-Initiative wuchtig abgelehnt wird.
Wie steht die Bevölkerung Ihrer Ansicht nach heute zur Zuwanderung?
Es besteht sicher eine gewisse Verunsicherung angesichts von grossen Veränderungen wie der Zuwanderung und der Digitalisierung. Diese Verunsicherung wird in den kommenden Wahl- und Abstimmungskämpfen auch wieder bewirtschaftet werden. Da werden wir mit Argumenten dagegenhalten müssen. In der Verantwortung stehen in nächster Zeit vor allem auch die Unternehmen. Diese müssen alles tun, um das vorhandene Potenzial an Arbeitskräften auszuschöpfen. Ich denke da an Arbeitssuchende, aber auch an Flüchtlinge und Frauen. Mit einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird sich sehr viel bewegen lassen. Dies wird auch die Diskussion um die Zuwanderung verändern und zeigen, dass es bessere Lösungen gibt als Kontingente.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch