«Die Ausbauten kommen an sich alle zu spät»
ETH-Verkehrsexperte Ulrich Weidmann hält die Ausbaupläne des Bundesrates für politisch klug. Grosse Würfe seien zurzeit nicht möglich.

Im Konzept des Bundesrats fehlen grosse Infrastrukurprojekte. Stattdessen will er die Strecken für Doppelstockzüge ausbauen und Fahrpläne verdichten. Reicht dies angesichts des Verkehrswachstums? Ich bin froh, dass der Bundesrat jetzt nicht in grossen Ausbauvarianten von 12 oder 21 Milliarden Franken denkt, sondern in kleinen und absehbaren Schritten. Es hat keinen Sinn, heute grosse Ausbauten für 2030 bis 2040 festzulegen. In zehn Jahren werden die Prioritäten wieder anders sein. Ich hätte mir sogar vorstellen können, dass der Bundesrat nur die Finanzierung der Bahninfrastruktur neu geregelt hätte, ohne konkrete Ausbauprojekte vorzulegen. Aber eine solche rein finanztechnische Vorlage wäre politisch wohl nur schwer vermittelbar gewesen.Setzt der Bundesrat die richtigen Prioritäten beim Bahnausbau? Die vorgesehenen Ausbauten kommen an sich alle zu spät, denn es gibt auf dem Bahnnetz Engpässe. Aber grosse Investitionen bleiben blockiert, solange die Neat nicht fertiggestellt ist. Das gigantische Werk am Gotthard braucht so viele Mittel, dass daneben nicht viel möglich ist. Eigentlich ist die Neat ja ein europapolitisches Vorhaben, das man separat finanzieren müsste. Gut finde ich, dass die Bahnknoten Lausanne, Bern und Basel erweitert werden. Auch der Ausbau des einspurigen Abschnitts Ligerz-Twann am Bielersee ist richtig. Die Doppelspur an der Jurasüdfuss-Linie bringt vor allem für den Güterverkehr mehr Kapazitäten. Der Halbstundentakt auf der Linie Zürich-Chur trägt der Bedeutung dieser heute bereits stark ausgelasteten Strecke angemessen Rechnung.Der Bundesrat will auf der Strecke Lausanne–Genf den Viertelstundentakt für Intercityzüge einführen.Wäre der Viertelstundentakt auf der Linie Zürich–Bern nicht dringender? Das Problem auf der Linie Zürich–Bern ist die Streckenführung zwischen Olten und Zürich. Solange diese nicht geklärt ist, sind die Kapazitäten begrenzt, und ein Ausbau des Angebots ist kaum möglich. Auf der Strecke Lausanne–Genf fahren die Züge heute zum Teil im Minutenabstand, weil die Linien aus dem Wallis, von Biel und Bern in Lausanne zusammenkommen. Viele Züge, die kurz aufeinanderfolgen, bringen jedoch den Reisenden wenig. Es dürfte vor allem darum gehen, eine attraktive Staffelung der Züge zu erreichen.Auf der Strecke Zürich–Bern sind die Züge überfüllt. Setzt der Bundesrat nicht die falschen Prioritäten? Ein Ausbau der Strecke Zürich–Olten ist tatsächlich vordringlich. Dieser Teil der Ost-West-Achse ist entscheidend für die Kapazität des Bahnnetzes. Ich sehe vor allem politische Gründe, dass der Bundesrat hier abwartet. Mit einem milliardenteuren Ausbau der Strecke Zürich–Olten würde die Finanzierungsvorlage zu stark belastet, zumal die Linienführung ungelöst ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass man die Planung für den Ausbau dieser Strecke in zwei, drei Jahren an die Hand nimmt, sobald der neue Bahninfrastrukturfonds unter Dach ist.Was halten Sie vom Gesamtpaket, das die neue Verkehrsministerin Doris Leuthard aufgegleist hat? Es ist das mit Abstand vernünftigste Konzept zur Finanzierung der Bahninfrastruktur, das in den letzten Jahrzehnten ausgearbeitet wurde. Alle Verkehrsteilnehmer müssen sich gleichermassen am Ausbau beteiligen: Pendler, Automobilisten, Bund und Kantone. Alle Mittel, die für die Bahninfrastruktur verwendet werden, fliessen in den gleichen Fonds. Wichtig ist auch, dass endlich der Unterhalt der Infrastruktur aus dem Fonds finanziert wird.