Krebsarzt will Krankenkassen an Pranger stellen
Ein Patient musste die 370'000 Franken teure Behandlung per Crowdfunding organisieren, weil sich die Kasse weigerte. «So nicht», findet Forscher Thomas Cerny - und droht.

Der Fall sorgte kürzlich für Aufsehen: Ein Mann, der an Lymphdrüsenkrebs litt, konnte die 370'000 Franken teure Therapie nicht antreten, weil seine Krankenkasse sie nicht bezahlen wollte. Erst nach fünf Monaten hatte er mittels Crowdfunding so viel Geld gesammelt, dass er sich behandeln lassen konnte. Doch er sprach nicht auf die Therapie an und verstarb. Ob er noch leben würde, wenn er die sogenannte CAR-T-Therapie früher hätte antreten können, ist offen. Aus Studien ist jedoch bekannt, dass knapp die Hälfte der Patienten darauf anspricht, darunter auch ein Schweizer – dessen Krankenkasse die Therapie bezahlte.
Die Krebsliga Schweiz will solche Ungleichbehandlungen nicht mehr hinnehmen: Sie erwägt, die Namen jener Krankenkassen publik zu machen, die Medikamente und Behandlungen nicht bezahlen wollen, die andere Kassen übernehmen. Die Krebsliga prüft eine Veröffentlichung solcher Fälle auf der eigenen Internetseite oder will damit an die Medien gelangen. «Das ist ein mögliches Druckmittel», sagt Vorstandsmitglied Thomas Cerny, der Präsident der Krebsforschung Schweiz ist.
Probleme haben die Onkologen häufig bei neuen und teuren Medikamenten, die noch nicht kassenpflichtig oder für die spezi-fische Krebserkrankung nicht zugelassen sind. Für solche Therapien stellen die Ärzte der Versicherung ein Gesuch um Kostenübernahme, wenn ein Patient auf keines der zugelassenen Medikamente anspricht und die neue Therapie die letzte Hoffnung ist. Allerdings muss der erwartete therapeutische Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko und zu den Kosten stehen. So steht es in einem Ausnahmeartikel des Krankenversicherungsgesetzes.
Aber für die Krankenkassen respektive für deren Vertrauensärzte ist es gerade bei neuen Medikamenten nicht einfach zu beurteilen, ob der betreffende Patient darauf ansprechen könnte. Kassen, die ohnehin nicht zahlungswillig sind, könnten deshalb einfach die Meinung vertreten, der Nutzen sei zu klein, sagt Cerny. Der Ausnahmeartikel im Gesetz räume den Kassen zu viel Spielraum und zu viel Macht ein, kritisiert der Onkologe. Das sei gerade bei lebensbedrohenden Krankheiten stossend. Die Zahl der nicht kassenpflichtigen Medikamente, die im sogenannten Off-Label-Use angewendet werden, steigt laufend. Laut Cerny sind seit 2006 über 100 Krebsmedikamente auf den Markt gekommen, und bei jedem habe sich das Problem der Kostenübernahme gestellt.
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Kassen spielen Ball weiter
Auch CVP-Nationalrätin Ruth Humbel hält die heutige Praxis für unbefriedigend, warnt jedoch vor einem Pranger für die Kassen. Dieser sei kontraproduktiv, weil dann Patienten von den restriktiven zu den kulanten Kassen wechselten. Diese würden im heutigen System ohnehin schon bestraft. Denn die teuren, nicht kassenpflichtigen Medikamente werden beim Risikoausgleich unter den Kassen nicht berücksichtigt: Kassen, die solche Medikamente übernehmen, tragen die Kosten allein. Versicherer, die gemäss Pranger restriktiv sind und deshalb Krebspatienten verlieren, profitieren hingegen. «Dies hätte zur Folge, dass auch die kulanten Kassen restriktiver werden», warnt Humbel. Sie verlangt deshalb mit einem Vorstoss, dass Medikamente im Off-Label-Use im Risikoausgleich berücksichtigt werden und so alle Kassen die Kosten mittragen müssen. «Dann kann man solche Listen veröffentlichen.»
Der Krankenversicherungsverband Santésuisse weist die Vorwürfe Cernys zurück. Die Vergütung von Medikamenten im Einzelfall (Off-Label-Use) sei in den letzten Jahren deutlich gestiegen, sagt Sprecher Matthias Müller. Dies sei nicht im Interesse der Krankenversicherer. Denn diese übernähmen mit der Prüfung dieser Einzelfälle eine Rolle, die eigentlich den Behörden zugedacht wäre.
Den Vorwurf, kleine Kassen seien überfordert, hält Müller für unbegründet. Gesuche zur Kostenübernahme teurer Medikamente, insbesondere auch für den Off-Label-Use, würden dem vertrauensärztlichen Dienst des Verbandes der kleinen Kassen übergeben, dem 700'000 Versicherte angehören. Auch den Vorwurf der Ungleichbehandlung von Patienten weist Müller zurück. Es handle sich um komplexe Fälle, bei denen die Kostenübernahme individuell abgeklärt werden müsse. Die Aussage Cernys, wonach in der Westschweiz praktisch alle entsprechenden Gesuche genehmigt würden, sei zudem nicht nachvollziehbar.
Erstellt: 03.08.2019, 07:28 Uhr
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