EU-Schweiz: Von der enttäuschten Liebe zum Neustart
Europa kommt mit Jean-Claude Juncker nach Bern. Der Besuch soll die Rückkehr zur Normalität signalisieren.

Nun kommt er also. Die Erwartungen vor Jean-Claude Junckers erstem Arbeitsbesuch heute in Bern sind zumindest gemischt. Fast wäre die Reise in die Schweiz in letzter Minute geplatzt. Der EU-Kommissionschef hat sich am Montag bei einem Telefongespräch mit Bundespräsidentin Doris Leuthard noch einmal rückversichert, was die Schweizer Regierung punkto Kohäsionsbeitrag nun eigentlich beschlossen habe.
Die Schweizer Geheimhaltung sorgte in Brüssel für kleinere Irritationen. Dabei sollte Junckers Visite nach den Spannungen um die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative die Rückkehr zur Normalität signalisieren. Leuthard wird heute wohl das Geheimnis um die neue Kohäsionsmilliarde an Junckers Seite auch für die Öffentlichkeit lüften. Und die beiden Politiker werden bei einer kleinen Zeremonie unter anderem das Abkommen über die Verknüpfung der Plattformen für den Emissionshandel unterzeichnen.
Nach dreijähriger Verkrampfung ist der Stau der blockierten Dossiers nun praktisch aufgelöst. Jetzt also zurück zur Normalität – auch wenn das im Fall der bilateralen Beziehung zwischen Brüssel und Bern schon seit geraumer Zeit eine harzige Angelegenheit ist. Und manchmal geht gar nichts mehr. Stillstand, Neustart, Reset: Alles gab es schon mal.
Enttäuschte Liebe
Mit Juncker kommt übrigens erstmals wieder ein Kommissionspräsident zum Arbeitsbesuch, seit sich dessen Vorgänger José Manuel Barroso 2008 auf den Weg gemacht hatte. In der Ära des Portugiesen wurden die Mühen auf der Ebene erstmals so richtig deutlich. Barroso sah den bilateralen Weg überhaupt in der Sackgasse und forderte ein Rahmenabkommen als neue Grundlage. Weil es keine Fortschritte gab, verweigerte der Portugiese den Schweizern die Ehre des Präsidententreffens.
Dabei galt Barroso als ehemaliger Dozent an der Uni Genf als grosser Kenner der Schweiz. Nach der Abstimmung gegen die Personenfreizügigkeit blieb ihm nur noch enttäuschte Liebe. Ähnlich fühlt der langjährige Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker, als Freund des Bankgeheimnisses eigentlich der perfekte Verbündete. «Die Schweiz macht es ihren Freunden schwer», reagierte er einst auf das Nein zur Personenfreizügigkeit mit der EU.
Als EU-Kommissionschef hat Juncker seither immerhin sieben Treffen mit Schweizer Bundespräsidenten absolviert, um die Beziehung zu beleben. Je dreimal mit Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann sowie einmal mit Doris Leuthard im vergangenen Frühjahr.
Juncker dürfte keinen Spass verstehen
Von der ersten Begegnung mit Sommaruga am Sitz der EU-Kommission ist vor allem das Kussbild in Erinnerung. Das Treffen war der erste Versuch, nach dem Votum zur Zuwanderungsinitiative den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Besonders war auch ein Treffen in Ulan Bator, wo Juncker und Schneider-Ammann am Rande des Asien-Europa-Gipfels 2016 bilateral eine Stunde lang die Annäherung suchten. Zu den persönlichen Begegnungen kommen über die knapp drei Jahre zwölf Telefongespräche hinzu. Je fünfmal konferierte Juncker mit Sommaruga und Schneider-Amman, zweimal mit Doris Leuthard.
Der Luxemburger ist inzwischen mit den Besonderheiten der rotierenden Schweizer Bundespräsidenten vertraut. Jeder von ihnen würde sein prestigeträchtiges Jahr zumindest mit einem Zwischenergebnis, einem kleinen Durchbruch krönen. Doris Leuthard hat es nun immerhin geschafft, wieder einmal einen Kommissionspräsidenten nach Bern zu holen. Die beiden verstehen sich angeblich prima. Schliesslich gehören beide zur selben christdemokratischen Parteienfamilie.
Juncker wird nicht allzu hartnäckig auf das Rahmenabkommen pochen, nur schon um die Harmonie nicht zu beeinträchtigen. Aber von der EU-Agenda verschwinden wird das Thema nicht. Keinen Spass verstehen dürfte Juncker allerdings, wenn er wider Erwarten ohne klare Zusage für die Kohäsionsmilliarde nach Brüssel zurückkehren müsste. Für die Schweiz seien die offenen Märkte Osteuropas ein grosser Vorteil.
«Wer profitiert, soll sich auch solidarisch zeigen»: Das sagte schon Junkers Vorvorgänger Romano Prodi, als 2006 die erste Kohäsionsmilliarde zur Debatte stand. Bei den bilateralen Beziehungen dreht sich eben vieles im Kreis.
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