Rohstoff-Drehscheibe Schweiz«Schweizer» Anbaufläche im Ausland ist doppelt so gross wie jene im Inland
Konzerne verwalten aus der Schweiz heraus gigantische Kaffee-, Palmöl- oder Orangenplantagen. Damit einher gehen heikle Praktiken. Das zeigt das Beispiel eines deutschen Kaffeegiganten.

Es ist die beste Ernte seit Jahren: Mehr als 170 Millionen 60-Kilogramm-Säcke Kaffee wurden laut dem US-Landwirtschaftsministerium dieses Jahr abgenommen. Davon wird zwar nur ein Bruchteil in der Schweiz verarbeitet oder getrunken – und doch spielt die Schweiz beim globalen Kaffeehandel eine zentrale Rolle.
Fast schon sinnbildlich dafür steht die deutsche Neumann-Gruppe. Das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Hamburg gilt als der grösste Kaffeehändler der Welt. Der Handel läuft über Zug.
Das Unternehmen handelt aber nicht nur mit Kaffee, es baut ihn auch selbst an. Dafür bewirtschaftet es 5100 Hektaren Arabica- und Robusta-Kaffeeplantagen in Uganda, Mexiko und Brasilien. Und auch dafür laufen die Fäden in Zug zusammen.
Dort sitzt das Unternehmen NKG Tropical Farm Management. Laut einer Sprecherin des Unternehmens arbeiten dort drei Personen. 25 Angestellte zählt die Handelsabteilung des deutschen Konzerns. Sie befindet sich im gleichen Gebäude. Auch wenn es für das Unternehmen zentrale Aufgaben sind, ist das Schweizer Büro für den Konzern verschwindend klein: Die gesamte Neumann-Kaffee-Gruppe zählt global 2600 Mitarbeiter in 26 Ländern.
Auf einer Fläche von mehr als 2,7 Millionen Hektaren bauen die Schweizer Agrarhändler Zuckerrohr, Palmöl, Orangen oder Kautschuk an.
Neumann ist keine Ausnahme. Die Schweiz ist eines der wichtigsten Zentren für den internationalen Handel mit Gold, Öl, aber eben auch Kaffee, Zucker oder Kakao – obwohl der Grossteil dieser Rohstoffe kaum je Schweizer Boden berührt. Laut dem Rohstoffbericht des Bundesrats von diesem März sind in der Schweiz rund 900 Unternehmen im Rohstoffhandel tätig, die rund 10’000 Personen beschäftigen. Die meisten davon haben ihren Sitz in Genf, Zug oder im Tessin.
Die Nichtregierungsorganisation Public Eye zeigt in einem neuen Bericht, wie gross die Landwirtschaftsfläche ist, die aus der Schweiz heraus verwaltet wird. Auf einer Fläche von mehr als 2,7 Millionen Hektaren (27’000 km²) bauen die Unternehmen auf über 550 Plantagen in 24 Ländern Zuckerrohr, Palmöl, Orangen oder Kautschuk an. Das sind zwei Drittel der Fläche der Schweiz.
Zum Vergleich: Die gesamte Schweizer Landwirtschaftsfläche beträgt rund 14’500 km², also gut die Hälfte. Während die Schweizer Landwirtschaftsfläche in den letzten Jahren abgenommen hat, ist diejenige im Ausland gewachsen.
Damit einher gehen teils auch problematische Praktiken. «Bei der landwirtschaftlichen Produktion kommt es vielerorts zu Arbeitsrechtsverletzungen, Land-Grabbing (Landaneignung), Umweltverschmutzung oder Abholzung», schreibt Public Eye.
Dagegen unternimmt die Politik laut der NGO viel zu wenig. Der Bundesrat habe zwar anerkannt, dass im Rohstoffsektor «Herausforderungen» in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt bestehen. «Doch liegt der Fokus der viel zu schwachen Massnahmen auf Energie und mineralischen Rohstoffen, während der Agrarrohstoffhandel und die damit einhergehenden Missstände bisher unbeachtet blieben», so Public-Eye-Sprecher Oliver Classen.
Das auch, weil es eben nicht so sei, dass die Rohstoffbranche indirekt über die Schweizer Banken überwacht werde, die sie finanziere. «Unsere Analyse zur Finanzierung der Agrarhändler zeigt, dass die Schweizer Banken hier irrelevant sind», so Classen. Sie holen sich ihr Kapital also aus dem Ausland. «Es ist also höchste Zeit, dass die offizielle Schweiz die spezifischen Missstände in diesem Sektor anerkennt und die Regulierung der gesamten Rohstoffbranche nun endlich an die Hand nimmt», so Classen.
Auch dem deutschen Kaffeeriesen Neumann wirft die deutsche NGO Fian unsaubere Geschäfte vor. Die Firma suchte vor zwanzig Jahren Land für eine neue Plantage. Fündig wurde sie in Uganda. Eine staatliche Agentur verpachtete das Grundstück für 99 Jahre an den deutschen Konzern. Was danach geschah, ist umstritten. Es beschäftigt die Gerichte bis heute.
Sicher ist: Das Land war besiedelt. Einige Wochen bevor die Plantage angelegt wurde, wurden die ansässigen Familien aufgefordert, das Gebiet zu räumen. Ihnen wurden Entschädigungen und Hilfen bei der Umsiedlung versprochen, dazu kam es aber nicht. Stattdessen vertrieben ugandische Soldaten die Familien, die dort lebten. Das Unternehmen bestreitet, darüber im Bilde gewesen zu sein.
Die Darstellungen unterscheiden sich deutlich: Während laut Neumann «unglücklicherweise» 25 Kleinbauern betroffen waren, sollen es laut Fian rund 4000 Menschen gewesen sein, die für die Plantage vertrieben wurden. Das bestreitet die Firma. Im September wurde ein Vergleich zwischen den Beklagten und 258 der 401 als Kläger aufgeführten Personen gerichtlich bestätigt.
Bald aus Hamburg statt aus Zug
Das Unternehmen sagt dazu: «Der Vergleich wurde mit der überwiegenden Mehrheit der Kläger abgeschlossen. Mit den verbleibenden Klägern wird das Gerichtsverfahren zunächst fortgesetzt.» Wie lange das Verfahren noch dauern werde, lasse sich nicht abschätzen. In jedem Fall bleibe die Kaffeeplantage ein wichtiger Arbeitgeber und Wirtschaftsmotor in der Region, woraus eine dauerhafte soziale Verantwortung entstehe.
Die wird aber bald nicht mehr in der Schweiz wahrgenommen. «Es ist aktuell geplant, dass die Farmbetreuung ab Januar 2022 aus Hamburg gesteuert wird, sodass die wesentliche Funktion der Tropical Farm Management GmbH kurzfristig nicht mehr fortbestehen wird.» Der Grund dafür: Die Neumann-Gruppe will «strategische Funktionen auf Holding-Ebene» zusammenziehen. Der Sitz der Holding sei eben in Hamburg und nicht in Zug.
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