Schweizer inspirierte Netflix-Film
Der interaktive Netflix-Film «Black Mirror: Bandersnatch» stellt die Zuschauer vor immer neue Entscheidungen. Nur: So weit war eine Schweizer Produktion auch schon.

Soll der Held einen Song der Thompson Twins hören oder ein Stück aus einer Best-of-Compilation? Als Zuschauer kann man für ihn auswählen. Aber Vorsicht: Musik wirkt prägend, vor allem, wenn man wie der junge Stefan Butler (Fionn Whitehead) in den Achtzigern lebt, sein eigenes Computerspiel unters Volk bringen will und wider Erwarten von einem Start-up-Unternehmen alle Freiheiten zugesichert bekommt, um dieses fertigzustellen. Was nun: Bürostelle annehmen oder auf seiner Unabhängigkeit beharren?
So läuft das in «Bandersnatch», dem interaktiven Ableger der britischen Science-Fiction-Serie «Black Mirror«, wobei «interaktiv» bedeutet, dass der Zuschauer im Verlauf immer mal wieder entscheidet, wie es mit der Hauptfigur weitergehen soll. Pillen schlucken oder wegwerfen? Leiche begraben oder Leiche zerstückeln? Die Wahl ist manchmal eine Qual, und es gibt Sackgassen, aus denen man recht unsanft wieder auf den Hauptpfad zurückgelotst wird.
«Bandersnatch» kreist um die Frage des freien Willens
Je länger man schaut und entscheidet, desto mehr wird der Film zum Spiel mit sich selbst. Dann wendet sich Stefan, der sich bei der Programmierung seines interaktiven Games fast abhandenkommt, auch mal an den Zuschauer: «Wer bist du? Gib mir ein Zeichen!» Man kann dann auf «Netflix» tippen oder auf das andere Symbol. Worauf man, wie die Hauptfigur, immer tiefer in diesen Welten versinkt, die unter anderem aus einer verschwundenen Mutter, Schaffenskrisen, Überwachungsparanoia und einem mehrmals ermordbaren Vater besteht.
Offizieller Trailer zum Netflix-Film «Black Mirror: Bandersnatch». Video: Youtube/Netflix
Der Aufwand, der diesem Filmlabyrinth mit seinen unzähligen Verästelungen zugrunde liegt, ist ohne Frage enorm. Dass man aus formalen Gründen reihenweise Klischees und Extreme vorgesetzt bekommt, liegt in der Natur der Sache. «Bandersnatch» ist ein Trip, der um die Frage des freien Willens kreist; die Phrase «Du kannst immer zurückgehen» gilt dabei auch für die Zuschauer. Man kann jederzeit die Situation von vor zehn Minuten wiederherstellen.
«Black Mirror»-Mastermind und Autor Charlie Brooker hat zusammen mit Regisseur David Slade ein schlingerndes Schleifenuniversum entworfen – den interaktiven Film haben sie damit allerdings nicht erfunden. Der Traum vom Multiple-Choice-Kino existiert seit den Sechzigerjahren, die praktische Umsetzung scheiterte jedoch stets am Umstand, dass der Zuschauer mit abrupten Stopps während der Entscheidungsphase der Hauptperson aus der Illusion gerissen wurde.

Wie es anders geht, demonstriert nun «Bandersnatch», da läuft der Film einfach weiter, während man als Zuschauer noch überlegt, was die Figur tun soll. Dieses unterbruchslose Konzept basiert auf den Ideen des Schweizer Regisseurs Tobias Weber. Er erzählte vor zwei Jahren in seinem Kinofilm «Late Shift» von einem Londoner Studenten, der sich als Parkwächter verdingt und dann in einen Millionenraub verwickelt wird, worauf er sich für oder gegen die Unterwelt entscheiden muss. Der Zuschauer drückte sich dabei auf einer App durch die Entscheidungswege (im Kinosaal entschied die Mehrheit), und auch da stoppte der Film nicht, während man über den Fortgang des Helden nachdachte.
Offizieller Trailer zum Film «Late Shift». Video: Youtube/Late Shift - Your Decisions Are You
Der Unterschied: In «Bandersnatch» steuert man den Game-Entwickler Stefan jetzt mit der Computermaus, doch die Ähnlichkeiten mit «Late Shift» sind offensichtlich. Weber bestätigt denn auch: «Wir waren vor anderthalb Jahren im Austausch mit den Designern bei Netflix, aber es kam nicht zur Zusammenarbeit.»
Eine Reihe weiterer Filmein der Pipeline
Dem Schweizer Entwickler ist bewusst, dass man beim Streaming-Giganten sein Konzept kopiert hat. Aber er hütet sich davor, gegen Netflix zu schiessen. «‹Bandersnatch› bestätigt, dass es einen Markt für das Format zwischen Film und Game gibt», sagt Weber. «Wir begrüssen das, denn Projekte wie dieses bereiten den Markt für weitere Produktionen vor, die wir unsererseits in Entwicklung haben.»
Der Schweizer Regisseur, der 2018 nach Los Angeles zog, ist mit mehreren grossen Hollywoodstudios im Geschäft. Nächstes Jahr bringt 20th Century Fox den ersten Teil der Jugendbuchserie «Choose Your Own Adventure» in die Kinos – mit der von Weber entwickelten Technologie. Eine Reihe weiterer Filme ist in der Pipeline.
Bleibt die Frage: Wer wird gewinnen? Tobias Webers Kinomodell oder Netflix?
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