Schweizer Strombranche streitet um Kohlekraftwerke
Der Verband der Stromwirtschaft fordert seine Mitglieder auf, sich von der Kohle zu trennen. BKW und Alpiq weigern sich.

Der Druck auf die Betreiber von Kohlekraftwerken in ganz Europa steigt, nachdem die deutsche Kohlekommission den vollständigen Ausstieg bis 2038 empfohlen hat. Bereits vor zwei Jahren war das Klimaforschungsinstitut Climate Analytics in einem Bericht zum Schluss gekommen, dass das Temperaturziel des Pariser Abkommens nur eingehalten werden kann, wenn die Europäische Union den CO2-Ausstoss aus Kohlekraftwerken innerhalb der nächsten 15 Jahre auf praktisch null zurückfährt.
Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) macht Druck auf seine Mitglieder und fordert sie auf, sich von der Kohle zu trennen. «Es ist ein Fakt, dass die Klimaziele von Paris, welche die Schweiz ebenfalls unterstützt, nur über eine konsequente Dekarbonisierung der internationalen Energiewirtschaft erreicht werden können», sagt Sprecher Sandro Pfammatter. Der Verband stehe hinter dem Pariser Klimaabkommen und der Energiestrategie 2050, die den Ausbau heimischer erneuerbarer Energien vorsehe. Noch immer liegt der Kohleanteil am Strommix in der EU bei 30 Prozent und in der Schweiz bei 5 Prozent.
BKW halten an Steinkohlekraftwerk fest
Der VSE könne zwar keine Risikoeinschätzung zu Beteiligungen an Kohlekraft liefern, heisst es am Sitz des Verbandes in Aarau. Betreiber fossiler Kraftwerke würden aber angesichts zunehmender Dekarbonisierung «die Trias aus Preisrisiken, Reputationsrisiken und Regulierungsrisiken evaluieren und bewältigen müssen».
Solche Warnungen verpuffen zumindest bei den Bernischen Kraftwerken (BKW). Sie halten unbeirrt an ihrer Beteiligung am Steinkohlekraftwerk im deutschen Wilhelmshaven fest. «Ein Verkauf ist nicht geplant», sagt Sprecher Gilles Seuret. Bei Wilhelmshaven handle es sich um eines der modernsten Steinkohlekraftwerke, das «sehr hohe Umweltstandards» erfülle. Zudem sei Wilhelmshaven ein «sehr effizientes Steinkohlekraftwerk» mit einem Wirkungsgrad von rund 45 Prozent. Dadurch stosse es rund 20 Prozent weniger CO2 aus als ältere Steinkohlekraftwerke in Deutschland.
Energieversorger räumt ein, dass Kohle seinem Ruf geschadet hat
Die 2008 erworbene Beteiligung beinhaltet das Bezugsrecht von 33 Prozent der hergestellten Menge Strom. Für 2017 ergaben sich total 1081 Gigawattstunden. Dies entspricht etwa neun Prozent der gesamten produzierten Energie der BKW. Angaben zum erzielten Gewinn bei der Kohle machen sie nicht. «Wir gehen von einem positiven Deckungsbeitrag aus», heisst es nur. Das Kraftwerk Wilhelmshaven müsse wie alle thermischen Kraftwerke, die CO2 ausstossen, die entsprechende Anzahl von CO2-Zertifikaten erwerben. «Aufgrund seines hohen Wirkungsgrades ist das finanzielle Risiko für Wilhelmshaven aber geringer als bei den meisten anderen Kohlekraftwerken», sagt BKW-Sprecher Seuret.
Im Geschäft mit Kohlestrom mischt auch die Azienda Elettrica Ticinese (AET) mit. Der Tessiner Energieversorger ist mit 15,8 Prozent am Kohlekraftwerk Lünen in Aachen beteiligt. Das 750-Megawatt-Werk deckt zwischen einem Fünftel und einem Viertel der von AET benötigten Energie. Sprecher Pietro Jolli räumt ein, dass das Engagement in Kohle dem Ruf des Unternehmens geschadet habe.
Alpiq: Kohle beträgt 13 Prozent an der gesamten Stromproduktion
2011 hatten sich die Tessiner Stimmberechtigten aber gegen den von SP, Grünen und Lega geforderten vorzeitigen Ausstieg entschieden. Dem Unternehmen wurde bis 2035 eine Frist eingeräumt, auf andere Energiequellen umzusteigen. Nun aber will man im Tessin nicht ausschliessen, dereinst auf dem Anteil sitzen zu bleiben. «Die aktuellen Marktbedingungen erleichtern den vorzeitigen Verkauf des Werks Lünen nicht», räumt Jolli ein. So seien die Auswirkungen des geplanten Kohleausstiegs in Deutschland völlig offen.
Beim Oltner Energieversorger Alpiq beträgt der Anteil der Kohle an der gesamten Stromproduktion rund 13 Prozent, wie Sprecherin Sabine Labonte bestätigt. Alpiq hält jeweils 100-Prozent-Anteile an den tschechischen Kohlekraftwerken Kladno und Zlín. Diese produzieren Strom sowie Prozess- und Fernwärme für Industrieunternehmen, Schulen, Spitäler und Einkaufszentren. Die Kraftwerke sind nach Angaben von Labonte «für die Versorgungssicherheit in Tschechien wesentlich». Zudem seien sie in der Lage, ihre Leistung innerhalb einer grossen Bandbreite zu variieren. Insbesondere könnten so Differenzen zwischen dem Angebot, das stark beeinflusst werde durch die Wind- und Solarproduktion in Deutschland, und der Nachfrage ausgeglichen werden. «Die Kraftwerke performen gut», sagt Labonte. Detaillierte Gewinnzahlen zu einzelnen Kraftwerken gibt das Unternehmen aber nicht bekannt. Bestätigt wurde in der Vergangenheit jedoch, dass Gewinne wie jene in Tschechien dazu dienen, die Verluste der Schweizer Wasserkraft auszugleichen.
Kommt es zu einer Renaissancevon Kohle statt zu ihrem Ende?
Bereits vor einigen Jahren hatte Alpiq versucht, seine beiden tschechischen Kohlekraftwerke zu verkaufen. Vergeblich. Im letzten Oktober wurden neue Verkaufsabsichten bekannt. Bis jetzt ebenfalls ohne Erfolg.
Labonte erwartet nicht, dass der deutsche Kohleausstieg mittelfristig Folgen für Tschechien haben wird. Das Gegenteil sei der Fall, da die Stromversorgung des Landes auf Kernkraftwerken und flexiblen Braunkohlekraftwerken basiere. Zudem verfüge das Land nur über beschränkte Möglichkeiten für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Gaskraftwerke wiederum führten zu neuen Auslandabhängigkeiten. «Je weniger Grundlastkraftwerke in Deutschland am Markt sind, desto attraktiver werden die Bedingungen für geregelte Grundlastkraftwerke rund um Deutschland», sagt Labonte. Das klingt wie eine Renaissance für die Kohle in Teilen Europas und nicht wie ihr Ende.
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