Schweizer und deutsche Energiestrategie im Vergleich
Die beiden Länder wollen eine gemeinsame Klimaagenda erarbeiten. Das dürfte kompliziert werden.

Die Schweiz und Deutschland wollen in der Energie- und Klimapolitik enger zusammenspannen und bis Ende Jahr eine gemeinsame Agenda erarbeiten. Dies haben Bundesrätin Doris Leuthard und der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier nach einem Treffen am Montag in Berlin bekannt gegeben.
«Beide Länder investieren in erneuerbare Energien und streben einen Rückgang des Verbrauchs an.»
Ziel sei, «eine Art gemeinsame deutsch-schweizerische Energie- und Klimaagenda zu erstellen», sagte Altmaier. Gegebenenfalls wolle man die Kooperation auch auf andere Länder in der Region ausdehnen. Leuthard sagte, die Schweiz und Deutschland investierten beide in erneuerbare Energien und strebten einen Rückgang des Energieverbrauchs an. Man habe als fortgeschrittene Industrienationen ein grosses Interesse, zu kooperieren.
Die Zusammenarbeit dürfte alles andere als einfach werden. Denn aktuell stehen die beiden Länder an ganz unterschiedlichen Orten. Das zeigt sich schon beim Strommix: In der Schweiz stammten 2016 fast 62 Prozent des Stroms aus der Steckdose aus erneuerbaren Energien. In Deutschland war der Anteil mit 29 Prozent nicht einmal halb so gross.
Punkto neue erneuerbare Energien hinkt die Schweiz Deutschland hinterher, das 2016 ein Viertel seines Stroms aus Windkraft, Biomasse, Fotovoltaik und Hauskehricht gewann. Hierzulande kamen diese Energieträger zusammen mit Strom, der durch die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) gefördert wurde, gerade einmal auf 6 Prozent.
Trotzdem hat die Schweiz bei der Nachhaltigkeit einen klaren Vorsprung – dank der Wasserkraft, die den grössten Anteil an der Stromerzeugung hat. 2016 machten erneuerbare Energien 22,1 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus und damit fast doppelt so viel wie in Deutschland. Dort hat der Anteil seit der Jahrtausendwende zwar leicht stärker zugenommen, ist aber auf viel tieferem Niveau gestartet.
Der ökologische Umbau der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft braucht also mehr Effort. Umweltschädliche fossile Brennstoffe sind immer noch die wichtigsten Energieträger, mehr als die Hälfte des Stroms wird mit ihnen erzeugt. Allein Braun- und Steinkohle machen zusammen über 40 Prozent aus.
In der Schweiz spielen Erdöl, Erdgas und Kohle auf den ersten Blick kaum eine Rolle. Allerdings stammt fast ein Fünftel des gelieferten Stroms aus nicht überprüfbaren Energieträgern, weil Schweizer Unternehmen aus anderen europäischen Ländern sogenannten Graustrom aus fossilen und nuklearen Quellen importieren, ohne entsprechende Herkunftsnachweise. Mit Inkrafttreten des neuen Energiegesetzes ist das seit Anfang 2018 aber nicht mehr zulässig.
Auch Deutschland will weg von fossilen Energieträgern. Bis Ende Jahr soll die sogenannte Kohlekommission aus Vertretern von Politik, Verbänden, Gewerkschaften und der Wissenschaft einen Plan vorlegen. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins «Spiegel» zeichnet sich schon jetzt eine Einigung ab. Demnach soll der Kohleausstieg bis 2038 vollendet sein.
Deutsche machen rascher vorwärts
Der Kampf gegen die klimaschädliche Kohle ist Teil der «Energiewende», die Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der AKW-Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 ausgerufen hat. In der Schweiz sind vergleichbare Massnahmen in der «Energiestrategie 2050» gebündelt. Für eine gemeinsame deutsch-schweizerische Klimaagenda müssen diese beiden Pläne zunächst einmal gegenübergestellt werden.
Der Vergleich zeigt, dass die beiden Länder grundsätzlich die gleichen Ziele verfolgen: Senkung des Energieverbrauchs, Umstieg auf erneuerbare Energien, Ausstieg aus der Kernkraft. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied beim Vorgehen: das Tempo.
«Die drei jüngsten Kernkraftwerke werden spätestens Ende 2022 abgeschaltet.»
Das zeigt sich exemplarisch beim Ausstieg aus der Kernkraft. In Deutschland soll der Atomausstieg stufenweise erfolgen und schon Ende 2022 abgeschlossen sein. Die Schweiz hingegen hat kein festes Datum für den Ausstieg definiert. Die fünf AKW sollen einfach dann vom Netz, wenn externe Prüfer sie nicht mehr als sicher einstufen.
Ein anderes Beispiel: Der Bund will den durchschnittlichen Stromverbrauch pro Person und Jahr bis 2050 (im Vergleich zum Basisjahr 2000) um 18 Prozent reduzieren. In Deutschland soll er schon bis 2020 (gegenüber 2008) um 10 Prozent und bis 2050 sogar um 25 Prozent gesenkt werden.
Ausserdem werden erneuerbare Energien in der Schweiz weniger stark gefördert als in Deutschland. Dort müssen Stromkonsumenten bereits seit dem Jahr 2000 einen Zuschlag zur Förderung des Ökostroms bezahlen, der kontinuierlich gestiegen ist. Aktuell liegt er bei 6,79 Cent(7,6 Rappen) pro Kilowattstunde. Das Schweizer Pendant, die Ökostromabgabe KEV, wurde erst 2009 eingeführt und beträgt derzeit 2,3 Rappen pro Kilowattstunde, also nicht einmal ein Drittel des deutschen Preises. Im Jahr 2030 soll die KEV nach heutigem Stand sogar wieder sinken, während der Zuschlag in Deutschland jedes Jahr neu festgelegt wird und laufend steigt.
Blockiertes Stromabkommen
Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten zwischen der Schweizer und der deutschen Strategie. So wollen etwa beide Länder ihre Strommärkte flexibler gestalten. Aus Sicht von Bundesrätin Leuthard ist diese Reform eine der Voraussetzungen, damit die sichere Stromversorgung langfristig gewährleistet ist und mehr erneuerbare Energie eingespeist werden kann.
Beim Treffen in Berlin hat sie mit ihrem Amtskollegen die Massnahmen Deutschlands zur Bereitstellung von Stromerzeugungskapazitäten, die geplante Speicherreserve in der Schweiz sowie den Netzausbau in beiden Ländern besprochen.
Zudem wurde der Stand der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über ein Stromabkommen thematisiert. Leuthard unterstrich dabei die Bedeutung des grenzüberschreitenden Netzes und des gemeinsamen Binnenmarktes. Denn das Dossier ist blockiert, solange die EU und die Schweiz über ihre institutionelle Zusammenarbeit uneins sind. Vielleicht, so die Hoffnung, kann eine gemeinsame deutsch-schweizerische Energie- und Klimaagenda diese Blockade lösen.
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