Seine Musik ist so richtig gesund
Chillig und reflektiert: Das neue Album des Zürcher DJs und Produzenten Lexx ist voller wohltuender Sommertunes.

Er war schon damals im Plattenladen kein Lautsprecher; wenn er Empfehlungen abgab, tat er dies ruhig, stilsicher, manchmal beinahe schüchtern. An diesem Grundverhalten hat sich bis heute (und das ist ein gefühltes – oder ist es bereits ein reales? – Vierteljahrhundert später) kaum was geändert: Noch immer ist da dieses bedachte Sprechen, diese musikalische Unbeirrbarkeit, dieses sympathische Innehalten und Zögern, wenn er nicht nach einer mehr oder weniger passenden, sondern nach der bestmöglichen Antwort sucht.
Abgesehen davon gibt es jedoch schon deutliche Unterschiede zu früher. Zum Beispiel stehen wir diesmal nicht nebeneinander vor den Vinylneuheiten im Crazy Beat (der leider, wie viele Zürcher Record Stores aus jener Zeit, nicht mehr existiert), wir sitzen uns gegenüber in der fancy Cafeteria von Tamedia. Dann plaudern wir auch nicht über den Remix von Hinz oder den Bootleg von Kunz, nein, zentrales Thema ist jetzt sein eigenes Schaffen, sprich das kürzlich veröffentlichte Album «Cosmic Shift».
Eine Platte, welche die einheimischen Nerds von «45rpm.ch» als «perfektes Sommeralbum» anpreisen. Und die englischen Nerds von «Test Pressing» mit «a proper, grown up, considered long player that we cannot recommend enough» würdigen. Und, last, but not least, die japanischen Supernerds von «BanBanTonTon» mit «Guitars come in wash and overdub. Stoned Psychedelic solos. Eno & Lanois Apollo-esque Country slide. Keys and vibes in glissando. Overall, it's still this kind of Technological Soul – but more so – because of the vocalists» abfeiern. (Wir wollen gar nicht erst versuchen, diese herrliche englischsprachige Smoothness – die stellenweise wirkt wie aus Buchstaben gefertigte Glacecreme –, ins hölzerne Deutsch zu übertragen; sollten Sie aber nicht alles verstanden haben, können wir Ihnen versichern: Die Zeilen überquellen vor Hochachtung!)
Ein sensibler Beobachter
Der Mann, der hier nun schon ziemlich ausführlich charakterisiert und gelobt wurde, heisst übrigens Alex Storrer. DJ- und Künstlername: Lexx. Alter: 47. Wohnort: Zürich. Man könnte natürlich so weitermachen und alle persönlicheren Angaben in diesem Telegrammstil auflisten. Charmanter indes ist die Homestorymethode à la «Schweizer Illustrierte», und die geht so:
Dein Beziehungsstatus? (Übers Gesicht huschendes Lächeln): «Single, seit einem Weilchen. Ich . . . nein, mehr dazu später, wenn es um die Songs geht.»
Die erste Single, gekauft oder geschenkt? (Kurzes Stirnrunzeln:) «Kim Wilde. Aber welches Lied? ‹Cambodia›? Ja, ich denke, das wars . . . ich möchte aber noch anfügen, dass Kraftwerk die erste Band war, die mich musikalisch wirklich beeinflusst hat.»
Name des Lieblingsrestaurants? (Längeres In-sich-Gehen:) «Hab ich nicht, ehrlich. Vielleicht, weil ich vegan lebe, da ists mit Restaurants noch immer nicht ganz einfach. Aber was ich habe, ist eine Lieblingsköchin. Es ist eine gute Freundin von mir, was sie auftischt, ist jedes Mal fantastisch.»
Ein Buch oder ein Film, das/der bei dir ein emotionales Beben ausgelöst hat? (Intensives seelisches Werweissen, doch plötzlich): «Es gibt einige Romane, die das geschafft haben, zuletzt aber gelang es einem japanischen Dokfilm. Er heisst ‹Life is Fruity› und handelt von einem 90-jährigen, einst grossen Architekten, der vor langer Zeit den Auftrag erhalten hatte, eine zerstörte Stadt wieder aufzubauen. Dabei entwarf er ein Konzept, das die Häuser in Einklang mit der Natur gebracht hätte. Als sein Vorschlag zugunsten einer billigeren Lösung abgelehnt wurde, gab er den Job auf, kaufte sich ein Stück Land, baute darauf sein eigenes Haus und pflegte fortan den üppigen Garten und die Liebe zu seiner Frau – bis sein Talent und sein Wissen eines Tages plötzlich wieder gefragt waren.»
Prima vista mag es durchaus erstaunen, dass eine solch sensible Beobachtung von jemandem geschildert wird, der seinen Lebensunterhalt in den (vermeintlich) oberflächlichen Niederungen der coolen und doch fiebrig hypernden Nightlife-Branche verdient; sei es als begabter DJ, als geschätzter Remixer und Produzent oder als Teilhaber des Labels Phantom Island. Wer allerdings den Werdegang des 47-Jährigen mitverfolgte, sieht darin nur bestätigt, was bereits nach dem Ende der furiosen, aber kurzen Existenz des Hip-Hop-Duos Bligg'n'Lexx Anfang der Nullerjahre evident war: Lexx' Wesen ist nicht gemacht für Glanz und Gloria, für Charts und Mainstream; selbst beim Auflegen zieht er die Ecke der Empore vor. Dafür steht er explizit ein für Werte wie Achtsamkeit, Gleichmut, (Zurück-)Haltung, Respekt und (Selbst-)Reflexion.
Ein utopischer Wunsch als Titel
Sie alle sind auf dem Album in der einen oder anderen Ausdrucksform präsent. Manchmal geschieht das prägend und vordergründig wie im Stück «Wave», in dem Ella Thompson, eine von insgesamt fünf Gastsängerinnen und -sängern, das stetige Auf und Ab in einer zerbrechenden Beziehung besingt – dabei allerdings nicht die Gefühle von Lexx, sondern die seiner in dieser Welle mittreibenden und -leidenden Ex-Freundin zum Ausdruck zu bringen versucht. Auch wenn sie nicht mehr zusammen seien, würden sie sich noch immer hören und sehen, «dafür bin ich sehr dankbar, und dafür steht dieses Lied», so Lexx. Manchmal geschieht es aber auch wortlos, wie im spirituell anmutenden Stück «Equanimity», oder es ist gar als utopischer Wunsch formuliert, wie beim Plattentitel «Cosmic Shift», der jenes quasi überirdische Umdenken und Ressourcenverlagern anspricht, das nicht nur bei jedem Ego, sondern bis hinauf zur Weltpolitik nötig wäre, um die Havarie der Erde zumindest mal zu verlangsamen.
Weil es im Reich der Musik gang und gäbe ist, Etiketten wie «kaputt» oder «krank» zu verteilen (um den krassen Charakter zu betonen), tun wir nun das exakte Gegenteil. Und verkünden: Die elf neuen Songs von Lexx, werte Leserinnen und Leser, sind so richtig wohltuend gesund! Erstens thematisch, weil sie die erwähnten guten Werte hochhalten. Zweitens aber auch musikalisch – der Sound ist nämlich energetisch, mitunter gar geil groovy, aber doch so temperiert, dass man dazu chillen und tiefenentspannen kann. Akustischer Superfood, sozusagen? Ja, wieso nicht.
Allerdings gibt es einen Tune, der aus dieser nachhaltigen Reihe tanzt. Er heisst «Too Hot», basiert auf einem reggaemässigen Laid-Back-Rhythmus, und dazu croont der Amerikaner Woolfy höchst profan über zu hohe Temperaturen. Lexx, lachend: «Fast frech ist, dass der Song auch noch eine verblüffend hohe Streamingrate aufweist.» Ein Hit? «Na ja, sagen wir: ein halber.»
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch