«Selbstzweifel? Unsicherheit? Eher nicht»
Trainer Murat Yakin machte aus dem Challenge-League-Letzten Schaffhausen das beste Team der Rückrunde – und Werbung für sich.

Gehen Sie ins Casino?
Das kommt vor. Dann spiele ich Roulette, Blackjack, Poker, je nach Stimmung.
Setzen Sie beim Roulette auf Farbe oder auf Zahl?
Immer auf Zahl. Aber immer mit System.
Dann ist das Risiko ein Teil von Ihnen?
Ich glaube schon. Der Sicherheitsgedanke hat sicher nicht überall Priorität.
Als Sie im Winter beim FC Schaffhausen unterschrieben, war der Verein Letzter der Challenge League. Das Engagement war ein grosses Risiko, oder?
Das braucht es immer, um etwas Aussergewöhnliches zustande bringen zu können. Als ich mit 17 das gemachte Nest in Basel verliess und in die Grossstadt Zürich zu GC kam, wusste ich auch nicht, was mich erwartet. Aber ja: Mir fehlt es nicht an Mut, Wagnisse einzugehen.
Nun hat Schaffhausen die beste Rückrunde aller Teams gespielt . . .
. . . ich bin selbst überrascht, dass es so schnell so gut funktioniert hat.
Erzählen Sie uns: Was haben Sie mit der Mannschaft gemacht?
Gar nicht so viel. Ich habe die Spieler einfach spielen lassen, ihnen Freude und Selbstvertrauen zurückgebracht.
Ihr Anteil am Erfolg ist demnach überschaubar?
Natürlich haben die Spieler von mir einen Plan erhalten. Dazu konnten wir einige neue Spieler integrieren, und ich habe ausschliesslich auf Teamplayer gesetzt, deren grösstes Interesse darin bestand, Erfolg zu haben. Ich wusste, was ich ändern musste.
Was unterscheidet einen gewöhnlichen von einem guten Trainer?
Es kommt oft darauf an, bei welchem Verein einer arbeiten darf. Ich habe als Spieler schlechte Trainer erlebt und gelernt, wie man es nicht macht. Aber ob gut oder gewöhnlich oder schlecht: Die Bewertung wird immer auch von Resultaten abhängen.
Dann sind Sie ein guter Trainer.
Wir haben mit Schaffhausen 12 von 16 Spielen gewonnen, zwei gegen bessere Mannschaften, obwohl wir schlechter gespielt haben. Aber die Beurteilung meiner Arbeit überlasse ich gerne anderen.
Der FC Schaffhausen hat unter Ihnen eine Spielkultur entwickelt.
Was ich sagen darf: Es ist eine Handschrift erkennbar. Wir spielen taktisch klugen Fussball. Das haben wir wochenlang eingeübt. Mit Videos, mit Einzelgesprächen, auf dem Platz. Ich musste das taktische Verhalten der Spieler schulen. Sie haben schnell kapiert, wie man Spiele gewinnt.
Können Sie denn jeden Spieler besser machen?
Ein gewisses taktisches Verständnis muss er schon mitbringen. Und ich mag lernwillige, flexible Fussballer.
Wie motivieren Sie Ihre Spieler?
Ich bin nicht einer, der mit farbigen Stiften Muster auf ein Flipchart zeichnet oder vor der Mannschaft das Trikot des Gegners zerreisst – was ich übrigens selbst erlebt habe. Als Trainer musst du authentisch und ehrlich bleiben.
Duzen Sie Ihre Spieler?
Ja.
Und umgekehrt?
Nicht alle.
Wie wichtig ist Ihnen Autorität?
Nicht besonders. Ich versuche einfach, mit sinnvollen Argumenten zu überzeugen und das Denken zu vermitteln, das es braucht, um zu siegen. So wie ich es dem Spieler Murat Yakin gesagt hätte. Ich erzähle nicht ständig, dass ich in Istanbul und Stuttgart gespielt oder als Trainer gegen José Mourinho gewonnen habe.
Sie waren aber als Trainer auch 18 Monate arbeitslos. Was haben Sie aus dieser Zeit gelernt?
Ich nehme nicht mehr alles so ernst. Zudem habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich nach aussen wirke. Vielleicht bin ich gegenüber Journalisten oder Präsidenten diplomatischer geworden. Früher habe ich mich viel pointierter geäussert, wenn ich angegriffen wurde.
Als Spieler waren Sie eher bequem, als Trainer gelten Sie als Schaffer . . .
. . . die Zeit als Spieler liegt schon lange hinter mir. Und Schaffer ... was heisst das schon? Ich will nicht um 7 Uhr im Büro sitzen, nur um so zu zeigen, dass ich fleissig bin. Man hört oft über einen Trainer, er sei ein Schaffer, ein akribischer Arbeiter – wow! So möchte ich nicht bezeichnet werden. Ich will dann bereit sein, wenn es wichtig ist, und meine Zeit effizient nutzen. Und effizient bin ich auch, wenn ich allein im Auto sitze.
Wieso das?
Weil ich da meine Ruhe habe und zum Beispiel ungestört die Trainings vorbereiten kann.
Geben Sie Ihren Spielern auch Freiheiten?
Natürlich. Wenn sie eine besonders gute Leistung abliefern, gebe ich gern einen zusätzlichen Freitag. Oder wenn einer etwas Dringendes erledigen muss, sage ich: Okay, du darfst ein Training auslassen. Dafür erwarte ich von ihm etwas zurück. Aber es gab in Schaffhausen schon die Situation, dass der Captain mir erklärte: «Trainer, drei freie Tage sind zu viel.»
Tatsächlich?
Ja, es hat mich gewundert, aber auch gezeigt: Ich bin am richtigen Ort. Es beweist mir, dass diese Spieler den Fussball lieben und gern bei mir trainieren.
Und in Schaffhausen mussten Sie sich vermutlich noch nie anhören wie in Luzern oder Basel, Ihr Fussball sei unspektakulär . . .
. . . (lacht laut) bei 42 erzielten und 15 erhaltenen Toren in 16 Spielen? Wenn Sie Luzern schon erwähnen: Wir standen 2011 nach zehn Runden mit 24 Punkten auf Platz 1, Ende Saison waren wir Zweiter und im Cupfinal. Sehr unspektakulär . . . Wenn ich mit Basel gegen Chelsea in der Champions League antrete und meinen Spielern mitgebe, wie sie sich defensiv zu verhalten haben, und dieses Konzept aufgeht, bin ich der Superhero. Und drei Tage später kann ich das Gegenteil sein, wenn die Mannschaft gegen Thun oder Lausanne nicht in der Lage ist, vom defensiven auf den spektakulären Stil umzuschalten. Dabei ist es normal, dass die Umstellung in so kurzer Zeit nicht gelingt. Wichtig ist, dass ich als Trainer meiner Linie treu bleibe.
Kennen Sie Selbstzweifel?
Selbstzweifel? Unsicherheit? Eher nicht. Was ich mache, tue ich mit der absoluten Überzeugung. Das war schon immer so. Zweifel an den eigenen Fähigkeiten habe ich keine. Und wenn ich zum Beispiel nicht sicher bin, ob die Konstellation bei einem Club für mich stimmt, lasse ich lieber die Finger davon.
Sie haben einen Vertrag bis 2018. Was machen Sie, wenn ein Bundesligist ruft?
Die Bundesliga ist verlockend, und wer den Ehrgeiz hat, schaut sich ein Angebot an. Aber ich muss auch sagen: Das Projekt muss stimmen, das ist die Grundvoraussetzung. Bloss gehen, weil ich mehr verdienen kann, aber alles andere passt nicht richtig, nein, das will ich nicht. Ich habe in Schaffhausen ideale Bedingungen: kurze Wege, familiäre Verhältnisse, Harmonie, keine Eigenbrötler, keine Spieler, die ihre Interessen über die Mannschaft stellen.
Fehlt Ihnen nicht das öffentliche Licht? Die Fernsehpräsenz? Ein grösseres Publikum?
Nein. Ich kann keinen zwingen, ins Stadion zu kommen. Ich habe motivierte Spieler, eine hervorragende Infrastruktur, wir gewinnen Partien . . .
. . . das klingt irgendwie genügsam.
Oh nein, das Gegenteil ist der Fall!
Dann ist der Aufstieg das Ziel für die nächste Saison?
Es wäre gefährlich, so etwas zu sagen. Ich kann die Liga einschätzen. Servette und Xamax sind die Favoriten.
Platz 3, 4 oder 5 ist kaum Ihr Anspruch.
Nein, aber ich muss realistisch bleiben. Wir haben nicht die gleichen Mittel wie diese Vereine. Nur, weil wir ein schönes Stadion haben und ich Trainer bin, werden wir nicht Erster. Aber bei einem optimalen Saisonstart halte ich es für möglich, an der Spitze mitzuhalten.
Nun geht es am Samstag mit Schaffhausen gegen den FCZ.
Das Spiel wird nicht mehr eine grosse Relevanz haben. Die Zürcher haben mit dem Aufstieg ihren Auftrag erfüllt und können gelassen antreten. Solche Situationen kenne ich: Wenn du etwas erreicht hast, ist die Luft draussen.
Gab es nie eine Anfrage der Zürcher nach der Entlassung von Sami Hyypiä vor einem Jahr?
Nein. Aber lustigerweise stand ich genau am Tag, als die Stelle beim FCZ frei wurde, mit Uli Forte auf dem Golfplatz. Zwischendurch zog ich mein Handy aus der Hosentasche und sagte: «Oh, Canepa hat mich angerufen!» Uli reagierte nervös: «Was, Canepa?» Aber den echten Anruf erhielt schliesslich er – als wir immer noch auf der Golfrunde waren.
Dachten Sie: Wieso nicht ich?
Nein. Mir ging es gut. Ich hatte Zeit für die Familie, Freunde und fürs Golfen.
Was hätten Sie aus dem FCZ gemacht?
Ich hätte es nicht besser machen können als Uli. (lacht beherzt)
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