Sexy Röbi
SRF hat einen Dok zum Landesstreik-Jubiläum gezeigt – mitreissend und nicht ganz exakt.
Das Drama der Schweizer Linken ist schnell erzählt. SP und Gewerkschaften haben viele Gesetze erstritten, die die Leben gewöhnlicher Schweizerinnen und Schweizer verbesserten. Dumm nur, dass sie aus den historischen Errungenschaften kaum politisches Kapital zu schlagen wissen. Das mag am Respekt vor der geschichtswissenschaftlichen Differenzierung liegen, vielleicht aber auch an der Neigung zur verschwurbelten Rede oder an der Entfremdung von den proletarischen Wurzeln.
Nun gibt das Landesstreik-Jubiläum Gelegenheit zu einem neuen Versuch. Doch bereits im Januar fuhr der Herrliberger Patron dazwischen, unbekümmert um die zeitgenössische Forschung brandmarkte Christoph Blocher den Landesstreik als total unnötigen, höchst gefährlichen Umsturzversuch bolschewistischer Natur. Im November will Blocher laut «Blick» sogar Soldaten in Weltkriegsuniformen aufmarschieren lassen, um das damalige Militär zu ehren.
Das SRF platzierte seinen Film zum Thema also in einem heiklen Umfeld. Filmer Hansjürg Zumstein mied jedoch Gegenwartsbezüge und steile Thesen und entfaltete stattdessen das Krisenjahr 1918, und das in aller atmosphärischer Pracht: schnelle Schnitte auf Arbeiter und Soldaten; eiliges Schwirren der Kamera über Flugblätter; Streicherklänge, die simultan mit dem Spannungsbogen der Geschichte anschwellen. Viel Pathos, ja, aber für einmal nicht übertrieben, 1918 war ein dramatischer Kipp-Moment der Schweizer Moderne. Die Vorgeschichte erörtert Zumstein so knapp wie präzise: die Spaltung der Linken während des Krieges, die wachsende Not der Bevölkerung. Die Off-Stimme ist eine Collage aus Kommentaren hiesiger Historiker.
Grimm vs. Sonderegger
Als dramaturgische Achse dienen die Erlebnisse von Robert Grimm und Emil Sonderegger. Hier der Arbeiteranführer und Volkstribun, dort der Oberstdivisionär, Streikverächter und spätere Faschist. Zur Hälfte besteht der Film aus Kostümszenen: Grimm, der betrübt seine Suppe löffelt, während die Gattin auf ihn einredet: «Wasch los, Röbi?» Sonderegger, der durchs Büro wetzt und vom Granaten-Einsatz schwadroniert. Die Darsteller – Ralph Gassmann als Grimm, Fabian Krüger als Sonderegger – weiden Ehrgeiz, Furor und Charisma ihrer Figuren mit einer Intensität aus, wie sie in Schweizer Filmen selten zu sehen ist.
Zumstein zeigt Robert Grimm als einen durchwegs sympathischen Ehrenmann, von dem ein beträchtliches Eros der Macht ausgeht. Wer in Grimm einen Agitator sieht, der unser Land fast in den Abgrund gerissen hat, dürfte an diesem schmeichelhaften Porträt Gefallen finden wie an einem Bajonett vor der Nase.
Über Lenin reden
Zumstein spielt die Stärken der Doku-Fiktion gekonnt aus. Dabei nimmt er allerdings auch die eine, grosse Schwäche des Genres in Kauf: die Beugung des kleinen Inhalts zugunsten der runden, spektakulären Form. Wenn sich Zumstein in die Finessen des Streiks und seiner Protagonisten vertieft, macht er hier und dort Details passgenau, «teilweise nachempfunden» sind gewisse Dialoge und Begegnungen dem Vorspann zufolge.
Zum Beispiel zeigt der Film, wie sich Grimm und seine künftige Frau im Zug kennen lernten. Die gemeinsame Zugfahrt ist überliefert, nicht aber, ob die beiden dabei über Lenin geredet haben. Zumstein legte den Figuren einen Dialog in die Münder, der die Differenzen zwischen dem Schweizer Sozialdemokraten und dem russischen Bolschewiken deutlich macht. In einer anderen Szene hört Grimm eine Rede im Radio, die damals nur in der Zeitung stand.
Fazit: Ein gutes Geschichtsbuch kann und will dieser Film nicht ersetzen. Ein exzellenter Köder ist er allemal.
Der Film «Generalstreik 1918» ist als Video-Podcast auf SRF.ch/play abrufbar.
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