Shoppingcenter: Paradies oder Hölle?
Die Meinungen über die riesigen Einkaufszentren gehen bei unseren Redaktoren auseinander.

Philippe Zweifel
Hier bin ich Konsument, hier darf ichs sein.
Paradies
In meiner urban-sozialen Filterblase mag man keine Malls. Natürlich nicht. Sie sind der Inbegriff für westliche Dekadenz: Konsumgeilheit, Überfluss, verantwortlich fürs Lädelisterben. Noch schwerer wiegt, dass sie gross, unpersönlich und hässlich sind.
Zwar behaupte ich gegenüber Freunden und Familie das Gegenteil – ich bin ja Journalist und kein Konsumzombie! –, aber die Wahrheit ist: Ich mag Shoppingcenter. Je grösser, desto besser. Zum einen sind sie praktisch. Regensicher, Dutzende Läden aneinandergereiht, ÖV-Anschluss, keine Parkplatzknappheit, keine Warteschlangen. Für einen wie mich, der zum Minimalismus neigt und seine Weihnachtsgeschenke am 24. Dezember nach Büroschluss kauft, ist das fantastisch. Letztes Jahr habe ich fünf Geschenke in 30 Minuten klar gemacht.
Shopping-Tempel haben aber auch eine beruhigende Wirkung. In Amerika, wo die Malls herkommen, gibt es ein Wort dafür: Retail Therapy, Einzelhandel-Therapie. Wie wahr! Mit dem Abtauchen in der anonymen Menschenmasse verschwinden für eine Weile auch die Alltagsproblemchen. Ein Kauf ist ausserdem nicht nur ein kapitalistischer Vorgang, sondern manchmal schlicht ein Geschenk für sich selbst. Und wer sagt, dass man überhaupt etwas kaufen muss?
In diesem Sinn gleich noch ein Coming-out: Besonders gerne verbringe ich in den Malls Zeit in den Läden für Unterhaltungselektronik. Wenn ich zwischen den Gadgets wandle, ist der Mediamarkt kein hässlicher Discounter mehr, sondern ein Supercollider menschlicher Erwartungen und neuer Technologie. Das gilt nicht nur für die neusten Smartphones und Lautsprecher. Zuweilen vergleiche ich sogar die Leistungen der Waschtürme.
Mall-Verächter reden von Konsumterror, aber ist die Sozialkontrolle des Dorfladens und der Originalitätszwang der urbanen Lädeliwelt mit ihren gut gelaunten Angestellten, die einem duzen, obwohl man 30 Jahre älter als sie ist, nicht schlimmer? Alles ist dort durchdesignt, überall Shabby-Chic, weil ja nicht der gute, sondern der besonders schlechte Geschmack als Zeichen echter Souveränität gilt. Oder ist das schon wieder vorbei? In der Mall spielen solche Zeitgeist-Mysterien keine Rolle. Fern von perfekter Unperfektheit und der Einsamkeit des Internet-Shoppings beisse ich im Burger King in einen Double Whopper und denke zufrieden: Hier bin ich Konsument, hier darf ichs sein.

Martin Ebel
Geht spazieren und liest zu Hause ein gutes Buch.
Hölle
Die «Mall of Switzerland» – was für ein aufgeblasener, pseudo-internationaler Name für das neue Einkaufszentrum in Ebikon! Und wie passend für diese aufgeblasene neue Kunstwelt. Während wir das Lädelisterben in den Innenstädten beklagen und beobachten, wie der Onlinehandel rasant weiter wächst, errichten Investoren auf der grünen Wiese eine Konsumwelt nach der anderen, die das erzeugen sollen, was ihre Marketingfuzzis das «Einkaufserlebnis» nennen. Was soll das bitte sein? Geld ausgeben für etwas, was man, wenn man es nicht hätte, gar nicht vermisssen würde?
Ein Superlativ – 65'000 Quadratmeter! –, ein paar Attraktionen – die grösste Imax-Leinwand!, die erste Indoor-Welle! – können nicht verbergen, dass es in Ebikon wie anders und überall derselbe Einheitsbrei ist, der dem «urbanen Shopper» verabreicht wird. Modeläden, Schuhläden, Restaurants, Kinos, Kinderabladezonen. Wie einfallslos. Durch flexible Fassaden will man in Ebikon gar eine «natürlich gewachsene Einkaufsstrasse» vorspiegeln. Draussen, in der richtigen Welt, gibt es sie ja immer weniger.
Die Mall ist die softe Form der Gated Community. Rein darf, wer Geld auszugeben hat. Oder wer staunend zusieht, wie andere Geld ausgeben. Das Kaufhaus wird zur Welt, und umgekehrt schrumpft der Mensch zum Käufer, auch wenn man ihm suggeriert, es sei seine Freizeit, die er in aller Freiheit in den Shopping-Alleen verplempert. Man muss kein vernagelter Altlinker sein, damit einem hier Begriffe wie «falsches Bewusstsein» oder «Entfremdung» einfallen.
Finanziert hat die neue Kunstwelt der Staatsfonds von Abu Dhabi. Dort am Golf gibt es ausser Wüste ja nichts, und dort ist es so heiss, dass sich die Bewohner gern in den klimatisierten Malls aufhalten – die Reichen zum Shoppen und Reichtumzeigen, die anderen zum Bedienen. Nun zerfällt die Schweiz nicht in Herrschaft und Arbeitssklaven, und die Bevölkerung hat durchaus Geld, das sie ausgeben kann – aber sie hat hierzulande auch Besseres zu tun, als ihre Zeit in Malls totzuschlagen. Das sollte sie dann auch tun. Wandern, spazierengehen, ins Museum, zu Hause ein gutes Buch lesen oder einen der kleinen Läden in der Nachbarschaft aufsuchen. Das «Einkaufserlebnis» besteht dann vielleicht in einem Schwatz mit dem Besitzer oder der Nachbarin, die dort auch gerade einkauft.
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