Filmporträts von Schweizer FrauenSie bewältigen Alltagsstress und Todesszenen
Von der Pflegefachfrau bis zur Opernsängerin: In «Les nouvelles Èves» werden sechs Frauen von sechs Frauen porträtiert. Wir stellen die Regisseurinnen vor.

Sind Frauen in Opern zu selten aktive Figuren? «Sie sterben halt oft», sagt Opernsängerin Sela Bieri. Ohne, dass wirklich klar sei, wieso eigentlich. «Kleopatra ist auch so eine.» Die habe das Gefühl, in der Liebe verraten worden zu sein, und sehe deshalb keinen Grund mehr zu leben. «Ich finde das schwer nachzuvollziehen.»
Die Arie, an der sich Bieri abarbeitet, stammt aus Händels «Giulio Cesare». Am Ende singt sie ihre Rolle mit Lederjacke und Glatze. Und viel gerechtem Zorn. Ein Highlight des Films.
«Les nouvelles Èves» war ursprünglich als Doku über den Frauenstreik 2019 gedacht, entwickelte sich dann aber weiter. Nun ist es ein Kollektivwerk, in dem sechs Regisseurinnen sechs Frauen porträtieren. Ein Querschnitt durch weibliche Realitäten in der Schweiz, fünfzig Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts.
Neben der Opernsängerin lernen wir etwa Valeria Kepner aus dem Tessin kennen, die gerade versucht, sich an ihre Pensionierung zu gewöhnen. Sophie Swaton dagegen arbeitet in Lausanne als Professorin und versucht, den Alltag mit ihren Kindern zu organisieren – wobei sie sich darüber ärgert, dass sie ihren Mann immer wieder an seine Aufgaben erinnern muss. Naima Cuica stammt ursprünglich aus Venezuela und bemüht sich um eine Ausbildung zur Pflegefachfrau. Diese und weitere Geschichten ergeben ein Zeitdokument mit spannenden Einblicken.
Die Regisseurinnen
Camille Budin

Camille Budin wurde 1979 in Paris geboren, seit 2004 lebt und arbeitet sie in Zürich. Hier schloss sie an der ZHDK den Master in Film ab, wobei sie sich im Studium auf die Kamera spezialisiert hatte. Als Kamerafrau war sie unter anderem an Peter Mettlers Dokumentarfilm «End of Time» (2012) beteiligt. Für ihre eigene Doku «Grand et petit» (2018) begleitete Budin eine Primarschulklasse, die mit einer Astrophysikerin eine Projektwoche in den Schweizer Bergen verbrachte.
Annie Gisler

In ihrem Dokumentarfilm «La petite mort» (2018) befasste sich Annie Gisler mit dem weiblichen Orgasmus; darin berichten verschiedene Frauen von ihren Erfahrungen. Der Film war unter anderem am ZFF und an den Porny Days zu sehen. Die 38-jährige Baslerin studierte Fotografie und Film an der ZHDK, war im Rahmen ihres Studiums aber auch in Argentinien, Costa Rica und Spanien. Seit 2013 arbeitet sie als freie Regisseurin und Drehbuchautorin. Sie wohnt in Zürich.
Jela Hasler

Anfang November wurden die Gewinnerinnen und Gewinner des Zürcher Filmpreises bekannt gegeben; die Namen wurden mittels einer Lichtinstallation auf die Aussenmauer des Lindenhofs projiziert. Darunter auch jener von Jela Hasler. Sie wurde in der Kategorie Kurzfilm für die beste Regie ausgezeichnet. «Über Wasser» handelt davon, wie eine junge Frau einen heissen Sommertag in Zürich verbringt und dabei immer wieder mit Sexismus konfrontiert wird. Seine Weltpremiere feierte der Kurzfilm in Cannes im Rahmen der Semaine de la Critique. Jela Hasler hat in Luzern Video studiert sowie Fotografie in Zürich und Istanbul, seit 2013 arbeitet sie als selbstständige Filmemacherin. Ausserdem ist sie im Vorstand der Schweizer Jugendfilmtage. Die 35-Jährige lebt in Zürich.
Thaïs Odermatt

«Amazonen einer Grossstadt» lief vergangenen Sommer in den Zürcher Kinos. Thaïs Odermatt porträtiert in der Doku Frauen, die sich in Berlin durchs Leben schlagen. Etwa eine Pensionärin, die Nazi-Graffiti aus dem öffentlichen Raum entfernt, oder eine Deutsch-Ukrainerin, die bei Mixed-Martial-Arts-Turnieren in den Ring steigt. Das klingt vom Konzept her ähnlich wie «Les nouvelles Èves», allerdings ist «Amazonen einer Grossstadt» in der Machart ganz anders – weniger subtile Alltagsdarstellung als Kampfansage mit Punk-Attitüde. Beides Ansätze, die Odermatt beherrscht. Sie kam 1980 in Stans zur Welt, studierte an der Hochschule Luzern Design & Kunst Video und machte ein Masterstudium in Regie in Babelsberg. «Amazonen einer Grossstadt» gewann letzten März den Schweizer Filmpreis für den besten Abschlussfilm.
Anna Thommen

Die Baslerin Anna Thommen wurde wie Thaïs Odermatt 1980 geboren. Sie begann eine berufliche Laufbahn als Lehrerin, schliesslich studierte Thommen aber Kunst und Film in Basel, Luzern und Zürich. Für ihren Erstling «Neuland» – der Dokumentarfilm erzählt von einer Integrationsklasse in Basel – erhielt sie mehrere Auszeichnungen. Zusammen mit dem Zürcher Lorenz Nufer drehte sie die Doku «Volunteer» über Schweizerinnen und Schweizer, die in Griechenland freiwillige Flüchtlingshilfe leisten. Der Film feierte seine Premiere 2019 am Zurich Film Festival, wo er den Publikumspreis gewann. Wegen Corona lief die Doku erst ein Jahr später im Kino. Anna Thommen wohnt und arbeitet im baslerischen Riehen.
Wendy Pillonel

Kollektiv-Filme sind für Wendy Pillonel (35) keine Neuheit: Den Abschlussfilm «Peripherie» (2016) drehte sie zusammen mit vier anderen ZHDK-Studierenden. In dem Drama erleben fünf Menschen an einem 1. August in Zürich verschiedene Geschichten; Pillonel war verantwortlich für die Episode um einen älteren Jäger, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Die französisch-schweizerische Doppelbürgerin wurde in Estavayer-le-Lac im Kanton Freiburg geboren. 2017 machte sie den Master in Filmregie an der ZHDK und gewann mit« Les heures-encre » den Schweizer Filmpreis für den besten Abschlussfilm. Heute lebt und arbeitet sie in Zürich.
«Les nouvelles Èves» läuft im Kosmos
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