
«Ich bin Kapitalist, mir gehört ein Viertel von Bahlsen. Da freu ich mich drüber, und das soll auch so bleiben. Ich will Geld verdienen, mir 'ne Segeljacht kaufen von meiner Dividende und so was.» Die junge Frau, die das von der Bühne ruft, sieht nicht aus, wie man sich eine Millionenerbin vorstellt. Es sei denn, sie stecke gerade in einer akuten Rebellenphase: ein Lockenschopf wie die Rote Zora, Latzhosen, Hand im Hosensack. Voilà: Verena Bahlsen, Spross der Bahlsen-Keks-Dynastie, Mitbesitzerin eines Lebensmittelkonzerns mit umgerechnet 630 Millionen Franken Umsatz und 2800 Mitarbeitern.
Die Episode an einer hippen Marketing- und Onlinestrategie-Konferenz wäre schnell vergessen gewesen, hätte nicht die Kapitalistenbibel «Handelsblatt» sie aufgegriffen – und würde der hochtourige deutsche Debattenmotor nicht ohnehin heisslaufen, seit Juso-Chef Kevin Kühnert die Enteignung von Firmenerben «auf demokratischem Weg» zum Kernstück seiner sozialistischen Vision gemacht hat.
Bahlsens Kritiker, taub sowohl für gewollte als auch für unfreiwillige Ironie, schimpfen sie seither «herablassend», «sozialfeindlich», «dumm». Es werden Online-Unterschriften gesammelt, um sie in ein «freiwilliges» Sozialjahr zu schicken: «damit sie mal Menschen kennen lernt, die nicht so unfassbar viel Glück hatten wie sie». SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil gab der Geschichte noch einen hochpolitischen Dreh, als er anmerkte, bei den Worten der Millionenerbin über Jachten sei es kein Wunder, «wenn Menschen den Glauben an Gerechtigkeit verlieren».
«Ich scheiss auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als Gesellschaft weiter voranzubringen.»
Bahlsen wurde auch noch unsanft daran erinnert, dass ihre Firma in der Nazizeit dank Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern den Profit steigern konnte. Patzig liess Bahlsen darauf via «Bild»-Interview verbreiten, man könne ihr als 25-Jähriger schlecht etwas vorwerfen, was vor 70 Jahren geschehen sei. Überhaupt, das Unternehmen habe die Zwangsangestellten ja gut behandelt, der Fall sei gerichtlich abgeschlossen. Und übrigens: Das mit dem Jachtkauf, das sei ja nur ein Scherz gewesen.
Zu den unfreundlichen Adjektiven kam noch «geschichtsvergessen» hinzu und «Nazi-Verharmloserin». Der Prozess ehemaliger Zwangsarbeiter gegen Bahlsen war seinerzeit nur wegen Verjährung geplatzt. Aber immerhin: Das Unternehmen ist Mitglied einer Stiftung, über die es Entschädigungen an Opfer zahlt.
Dabei hat Verena Bahlsen an der Konferenz auch Sachen gesagt, die der Juso Kühnert ähnlich, wenn auch klüger formulieren würde: «Ich scheiss auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als Gesellschaft weiter voranzubringen.» Bahlsen will einen anderen, besseren Kapitalismus, um den Kapitalismus zu retten. Und das bedeutet – wenn man ihr denn noch weiter folgen mag – auch einen rentableren Kapitalismus: «Ich glaube einfach, dass wir mit Weltverbesserung weit mehr verdienen könnten.»
In einem Nebensatz hatte Verena Bahlsen an der Konferenz erwähnt, sie habe sich mithilfe ihrer Coachs auf ihren Vortrag vorbereitet. Ist doch tröstlich: Nicht einmal die Bahlsen-Millionen können einen Berater herzaubern, der den Nachwuchs davor schützt, sich nachhaltig zu blamieren.
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Unternehmerstochter Verena Bahlsen verteidigt den Kapitalismus. Nun flog ihr ein salopper Spruch um die Ohren.