«Sie kann noch viel stärker werden»
Der Brite Iain Hughes erzählt erstmals, wie er seine Rolle als Coach von Belinda Bencic sieht, welchen Bezug er zu ihrer Familie hat und was ihr Sieg über Venus Williams am Australian Open bedeutet.

Iain Hughes ist ein zurückhaltender, besonnen und ernst wirkender Coach. Seit Juli betreut er Belinda Bencic, die da eben eine Operation am linken Handgelenk hinter sich hatte. Der Mann, der die Nachfolge des Duos Ivan Bencic / Melanie Molitor angetreten hat, hielt sich bisher im Hintergrund. Erst nach dem grössten Sieg der erfolgreich angelaufenen Partnerschaft mit Bencic, einem 6:3, 7:5 über die Weltranglistenfünfte Venus Williams, gab der 51-Jährige dieser Zeitung sein erstes Interview als Coach der Ostschweizerin.
Hatten Sie diesen Sieg über Williams irgendwie kommen sehen?
Ich dachte schon, dass eine Chance da wäre. Wenn du gegen eine so starke Spielerin antreten musst, dann am liebsten in der ersten Runde. Aber ich wusste, dass Belinda etwas Spezielles würde zeigen müssen, und das tat sie.
Was war das?
Dass sie ununterbrochen an sich glaubte, dass sie positiv blieb, Punkt für Punkt spielte. Champions wie die Williams-Schwestern können immer zurückkommen, doch Belinda blieb ihrer Taktik treu und wurde dafür entschädigt. Wenn jemand nur selten grosse Partien spielt, können irgendwann Zweifel kommen. Das geschah nicht. Selbst als die Partie nicht für sie lief, blieb sie zuversichtlich.
Im Herbst war Bencic die Nummer 318, jetzt schlägt sie schon Top-10-Spielerinnen. Erstaunt Sie das?
Wir sind davon beide ebenso überrascht wie alle. Als sie in St. Petersburg auf die Tour zurückkehrte, ging es nur um ihr Handgelenk. Aber sie ist eine Kämpferin und ein Siegertyp. Wenn sie fit ist, kann sie ausgezeichnet spielen.
Sie sind in der Schweiz bisher fast unbekannt. Was können Sie von sich erzählen?
Tut mir leid, aber da gibt es nichts Spannendes. Ich habe viele Jahre für den englischen Verband gearbeitet, reiste mit Nachwuchsspielern aller Altersklassen herum. Deshalb lernte ich auch Belinda schon vor langer Zeit kennen. Wir sahen uns dann auch auf der Profitour; ich war ja zweieinhalb Jahre mit Elina Switolina unterwegs. Nach Wimbledon wurde ich von Bencic kontaktiert, und diese Aufgabe reizte mich und passte.
Stimmt es, dass Sie Waliser sind?
Nein. Ich habe das auch gelesen, aber ich weiss nicht, woher das kommt. Wahrscheinlich von meinem Vornamen, Iain. Der ist zwar eher schottisch, aber ich bin Engländer, komme aus London.
Sie trainieren mit Bencic häufig im slowakischen Trnava. Weshalb?
Es gibt dort eine grossartige Akademie, die alles bietet, was wir brauchen. Ich hatte dort auch schon mit Switolina trainiert. Belindas Grosseltern leben nur 30 Minuten entfernt, und auch ihr früherer Sparringspartner Oliver Nagy kam von dort. Mit ihm hatten auch ich und Jelena schon gearbeitet.
Wie erlebten Sie die schwierige Phase nach der Operation?
Als ich im Juli kam, ging es mit Belinda bereits aufwärts, da konnte sie schon wieder Vorhandschläge spielen, bevor sie ganz langsam wieder mit der Rückhand beginnen konnte, wenn zuerst auch nur während ein paar Minuten pro Einheit. Sie ist eine harte Arbeiterin, hat eine grossartige Einstellung. Es war jeweils härter, sie vom Platz zu holen, als sie dorthin zu bringen.
Welche Ziele verfolgen Sie in der Arbeit mit ihr?
Das erste Ziel ist es, fitter und stärker zu werden und zu bleiben. Ihre Spielweise ist unglaublich. Die Arbeit, die mit ihr in der Vergangenheit geleistet wurde, ist beeindruckend. Ihr Tennis müssen wir bewahren, doch das kommt nicht von allein, dazu braucht es harte Arbeit. Wenn sie dann wieder so gut spielt wie vor der Verletzung, können wir uns um die nächste Stufe kümmern.
Heisst das, dass sie noch nicht in Topform und immer noch auf ihrem Weg zurück ist?
Ja. Es gibt noch vieles, das sie verbessern kann – sie kann noch viel stärker werden. Wenn das passiert, dann wird sie wirklich gefährlich. Den Aufschlag hat sie schon stark verbessert – dieser muss stimmen, wenn man ganz an die Spitze will. Mit ihrem Stil muss sie zudem fähig sein, sich gut zu bewegen. Sie kann noch auf beide Seiten einen Schritt schneller werden. In Richtung Netz bewegt sie sich schon gut – und sie liebt es ja, den Ball aus der Luft zu schlagen.
In Australien wirkt sie sehr zufrieden und ausgeglichen. Fällt Ihnen das ebenfalls auf?
Ja. Sie ist reifer geworden, erwachsener. Aber sie war ja schon so früh so erfolgreich, dass dadurch Druck entstand. Nach ihrer Verletzung stellte sich die Frage, ob sie überhaupt zurückkommen würde. Dann realisierte sie, wie stark sie die Tennistour vermisste und wie sehr sie dieses Leben zurückhaben wollte. Und jetzt ist sie zurück.
Welche Beziehung haben Sie zu ihren Eltern?
Ich kenne Ivan schon seit den Juniorenzeiten. Er und seine Frau kamen vor Weihnachten auch nach Dubai, und einmal waren sie in der Slowakei.
Aber Sie sind ihr alleiniger Coach?
Richtig.
Planen Sie, das ganze Jahr mitzureisen? Haben Sie keine Familie?
Momentan ist Belinda meine Familie. Ich denke, dass man beim Training und den Turnieren stets dabei sein sollte, wenn man mit jemandem in ihrem Alter arbeitet. Das hielt ich schon mit Jelena so. Ich reise so oft, wie es nötig ist.
Sie waren auch am Hopman-Cup, der ihr viel gebracht hat, speziell der Kontakt zu Federer. Wie erlebten Sie die Woche in Perth?
Beim ersten Hopman-Cup, vor einem Jahr, hatte sie noch etwas Ehrfurcht vor Roger. Jetzt war es für sie einfacher, und sie sagte sich: Ich will zuhören, ich will lernen, so viel es geht. Und Roger war unglaublich, unglaublich. Er nahm sich extra Zeit für sie, um ihr zuzuschauen, mit ihr zu sprechen, um mit mir zu sprechen, um sie gut einzustellen. Beim ersten Match verkrampfte sie sich noch kurz, als Roger auf die Tribüne kam, aber danach war es perfekt.
Bencic galt vor Turnierstart bei den Buchmachern als eine der 20 gefährlichsten Spielerinnen. Trauen Sie ihr den Titel zu?
Wir sind hier, um Spiel für Spiel zu nehmen. Sie hat zwar auch schon Turniere gewonnen. Doch das ist ein Grand-Slam-Turnier, das ist ein ganz anderes Level.
Welches ist Ihr Anteil am Erfolg?
Sie schlägt den Ball, sie muss mit dem Druck klarkommen. Ich spreche nur. Es geht um sie, nicht um mich.
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