Zwischen Somalia und EffretikonSie lächelt jene an, die vorbeihetzen
Seynab Ali verkauft das Strassenmagazin «Surprise». Überraschend ist, was sie sich zu Weihnachten wünscht. Zu lesen hinter Türchen Nummer 17.

Sie steht am Bahnhof Winterthur, dick eingepackt in Jacke, Schal und Kopftuch. Und die Maske will sie auch für das Foto nicht ablegen. «Das ist Vorschrift», sagt Seynab Ali und lächelt. Sie lächelt viele Menschen an, die oft achtlos an ihr vorbeigehen. Vorbeihetzen. Manche grüsst sie auch leise. Seynab Ali ist eine der rund 450 Verkäuferinnen und Verkäufer des Strassenmagazins «Surprise».
Als sie 28 war, eine Mutter von vier Kindern, wurde sie in Somalia bei einem Bombenangriff der US-Luftwaffe verletzt. Die steife linke Hand ist die sichtbarste Erinnerung daran. Danach flüchteten sie und ihr Mann. Später kamen noch zwei Kinder dazu, und der Mann verliess sie. Die jüngste Tochter ist behindert.
Kurz ist sie doch traurig
Seynab Ali hätte viel Grund zu verzagen oder zu klagen. Sie tut beides nicht. Nur eines möchte sie gern. Eine richtige Anstellung. Deshalb besuche sie einen Deutschkurs, jede Woche zweimal. Doch noch steht sie hier und verkauft das Strassenmagazin «Surprise».
Bei dieser Arbeit lerne sie viele Menschen kennen. Viele sehr nette, wie sie nachschiebt. «Ich habe drei Mamas und einen Papa gefunden», erzählt sie. Die leibliche Mutter lebt noch in Somalia. «Vor zwei Jahren wurde sie bei einem Anschlag schwer verletzt und ich konnte nicht zu ihr fahren und ihr helfen.» Jetzt ist sie doch traurig. Ihr 20-jähriger Sohn sei nun zur Grossmutter gefahren, um ihr beizustehen.
«Ich möchte mehr über Politik erfahren.»
Vor einem guten Jahr wurde Seynab Ali an ihrem Wohnort Illnau-Effretikon eingebürgert. Sie geht zwischendurch an die Sitzungen des Stadtparlaments. «Ich möchte mehr über Politik erfahren», sagt sie.
Surprise heisst Überraschung. Was wäre für sie die schönste Weihnachtsüberraschung? Sie überlegt und sagt dann: «Ich würde gern ein Pflegekind aufnehmen, um ihm Geborgenheit zu geben. Und wenn mir eine Stelle als Dolmetscherin angeboten würde, wäre das eine unglaublich schöne Überraschung.»
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