Sie retten die Fische mit Gleichstrom vor der Hitze
Alarmzustand im Kanton: Die kleineren Bäche müssen abgefischt werden, damit es nicht zum grossen Fischsterben kommt.
Edi Oswald wischt sich den Schweiss von der Stirn und sagt: «So arg war es noch nie.» Auch sei ein Ende nicht in Sicht. «Das wird schlimmer als im Hitzejahr 2003.» Oswald ist einer der fünf Kantonalzürcher Fischereiaufseher, sein Kreis ist das Weinland und das Rafzerfeld, und er ist seit Tagen zusammen mit freiwilligen Helfern daran, die kleineren Bäche abzufischen. Eine mühselige Arbeit. Aber eine notwendige, denn sonst kommt es zum grossen Fischsterben.
Seit morgens um acht sind sie daran, den Hünikerbach im Unteren Tösstal abzufischen. An einigen Stellen liegt er schon ganz trocken, an manchen plätschert noch ein Rinnsal über die Steine. Sie arbeiten sich langsam von unten nach oben, kämpfen sich durch Brombeerstauden und Brennnesseln, die dieses Jahr besonders bissig sind, wie der Pächter des Baches Bernhard Brändle sagt.
«Dschungelbuch!», ruft der Fischereiaufseher
Manchmal verschwinden sie ganz im Grün – «Dschungelbuch!», ruft Oswald einmal mit einem Anflug von Galgenhumor, als er völlig im Blätterwerk verschwunden ist. Man hört nur noch den Generator, den er als Rucksack aufgeschnallt hat und der den Strom liefert.
Dann tauchen die Männer wieder auf: Oswald schleppt einen orangen Draht hinter sich her und hält einen Stab mit einem kreisrunden Draht vor sich ins Wasser. Der orange Draht ist die negativ geladene Kathode, der kreisrunde die positiv geladene Anode. Die beiden erzeugen einen Gleichstrom, durch den die Fische angezogen und leicht benommen werden. Wenn denn Fische da wären.
In den ersten Abschnitten ist der Fang bescheiden. Ein paar kleine Schwänze schwimmen in einem Bottich voller kühlem mit Sauerstoff angereichertem Wasser. Sie wirken putzmunter.
Weiter bachaufwärts sind noch einige Tümpel übrig geblieben. Oswald führt die Anode langsam in die Nähe eines Unterschlupfs, es kommt eine etwa zwanzig Zentimeter lange Bachforelle zum Vorschein. Neben ihr zwei kleinere Exemplare. Die Tiere scheinen etwas desorientiert, gerade so, dass man sie mit einem Netz problemlos fangen kann.
«Diese Prozedur ist natürlich ein Stress für die Fische.»
Schnell werden sie nach oben weitergereicht, wo ein Helfer mit einem Kessel wartet. Einer der beiden kleinen Fische liegt vorerst seltsam seitlich im Wasser. Wie gekentert. Nach ein paar Sekunden ist dieser Zustand vorbei.
«Diese Prozedur ist natürlich ein Stress für die Fische», sagt der kantonale Fischereiadjunkt Lukas Bammatter. «Wir machen das deshalb auch nur, wenn es unbedingt nötig ist.»
Oswald ergänzt: «Wenn die Fische anfangen, an der Wasseroberfläche nach Luft zu schnappen, ist das ein letztes Alarmzeichen.» Denn das Problem liegt nicht allein darin, dass die kleineren Bäche und Weiher austrocknen. Wenn das Wasser ungenügend nachfliesst und erst noch immer wärmer wird, wird der Sauerstoffgehalt immer kleiner. Die Fische ersticken.
Vergebliches Stossgebet
Er habe tagelang buchstäblich zum Himmel gebetet, er soll es doch endlich regnen lassen, erzählt Brändle, der die Pacht auf dem Hünikerbach seit vierzig Jahren hat. «Doch als die Situation nur noch prekärer wurde, ist mir nichts anderes übrig geblieben, als den Fischereiaufseher zu rufen.»
Mit Strom fischen ist nur in solchen Notfällen erlaubt. Wenn ein Pächter feststellt, dass seinen Fischen das Wasser und die Luft ausgehen, sorgt die Fischereiverwaltung dafür, dass einer ihrer dafür ausgebildeten Mitarbeiter so schnell wie möglich das Notabfischen vornimmt. «Der Personalaufwand ist enorm, und daneben muss ja auch noch das Alltagsgeschäft erledigt werden», sagt Bammatter.
«Wir sind uns der Gefahr bewusst, die der Einsatz von Strom im Wasser darstellt.»
Ist es nicht auch gefährlich? Weshalb übersteht der Fischer diesen Strom schadlos? Dank Gummistiefeln, Gummihandschuhen und weiteren Sicherheitsvorkehrungen, wie etwa einem «Totmannschalter», den derjenige, der mit dem Strom fischt, stets drücken muss. Stolpert er und lässt den Knopf los, fliesst augenblicklich kein Strom mehr.
Tatsächlich wäre aber der Gleichstrom, der hier erzeugt wird, für Menschen gefährlich, weil er einen Herzmuskelkrampf herbeiführen kann. Der deshalb bei uns übliche Wechselstrom wäre dagegen für die Fische schädlich, da ihre Wirbelsäule das nicht aushalten würde. «Wir sind uns der Gefahr bewusst, die der Einsatz von Strom im Wasser darstellt», sagt Edi Oswald.
Warnung an die Hundehalter
Das Problem seien aber Passanten, vorab Hundebesitzer, die – trotz den stets gut sichtbar aufgestellten Warnschildern – an Brückenpfeiler lehnen, um uns zuzuschauen, oder die Hunde in dem Bereich frei laufen lassen, wo mit Strom gefischt wird. «Die meisten Brücken enthalten Eisenteile, die den Strom leiten, das kann einem schon einen ‹putzen›.» Und wenn Hunde zu nahe ins Wasser springen, könne das diese verletzen.
Bammatters Leute sind derzeit zusammen mit den Pächtern und freiwilligen Helfern Tag für Tag im Einsatz, um ein Fischsterben zu verhindern. Weil es an Leuten fehlt, schieben auch der Adjunkt und selbst der Fischerei- und Jagdverwalter Urs J. Philipp Sonderschichten, deren Revier sonst eher in ihren Büros im Strickhof Lindau liegen.
Bammatter spricht von einer «absoluten Ausnahmesituation». Ein erfahrener Fischereiaufseher habe ihm erzählt, dass er in anderen Jahren etwa drei bis vier solche Einsätze habe, jetzt seien es bereits über zwanzig gewesen. Und Edi Oswald befürchtet: «Bis in eineinhalb Wochen muss ein Grossteil der Bäche im Zürcher Weinland abgefischt sein.» Dabei sei diese Region bei früheren Trockenheitsperioden in der Regel glimpflich weggekommen.
«Betroffen ist derzeit flächendeckend der ganze Kanton.»
Lukas Bammatter bestätigt: «Betroffen ist derzeit flächendeckend der ganze Kanton.» Dass es auch in den grösseren Gewässern, wie etwa der Sihl, Töss, Thur oder Limmat nötig sein wird, grossräumig abzufischen, glaubt er jedoch nicht. Er hofft es nicht! Denn dort wäre dies aus technischen Gründen kaum zu bewerkstelligen.
Auch die grossen Fliessgewässer führen zwar relativ wenig Wasser, doch sei der Fischbestand noch nicht akut gefährdet. Ausser im Rhein, wo die Aesche, welche besonders empfindlich auf Sauerstoffmangel reagiert, abgefischt wird. Von den grösseren Bächen sei am ehesten die Reppisch gefährdet. Die Sihl ist eine Restwasserstrecke, das bedeutet, dass permanent eine gewisse Mindestmenge vom Sihlsee abgelassen werden muss.
Heikle Eingriffe
Oswald und seine Helfer sind etwa zweihundert Meter bachaufwärts gewandert und ziehen nun eine Bachforelle nach der anderen aus dem seichten Wasser. Die Bachforelle, die zu der Familie der Lachsfische gehört, ist in unseren Bächen mit Abstand am häufigsten anzutreffen. Sie sind auf fliessende, sauerstoffreiche, kühle und klare Gewässer angewiesen. Ebenfalls anzutreffen, aber seltener sind Groppen und Elritzen.
Die Fische werden später, wenn es geht, in einem Abschnitt desselben Baches, der genügend Wasser führt, wieder ausgesetzt. Droht aber der ganze Bach auszutrocknen, wird möglichst ein Gewässer gesucht, das mit dem Heimatgewässer der Fische verbunden ist, damit sie im Winter zum Laichen zurückkehren können.
«Es geht unter allen Umständen darum, ein Fischsterben zu vermeiden.»
Solche Eingriffe seien heikel und es bestehe auch die Gefahr, dass durch die Umsiedlung noch funktionierende Gewässer unter grösseren Druck geraten, sagt Bammatter. «Das ist immer ein Abwägen. Doch geht es unter allen Umständen darum, ein Fischsterben zu vermeiden.»
Die Arme sind zerkratzt, die Sonne brennt auf Schultern und Kopf und die hüfthohen Gummistiefeln heizen bestimmt zusätzlich auf. Wenn der Tank geöffnet wird, um eine weitere Handvoll Fische aufzunehmen, schlägt einem wohltuend kühle Luft entgegen. Einer der Helfer legt sich entkräftet für eine Weile in den Schatten des Jeeps.
Es ist elf Uhr und es liegen noch einige hundert Meter Hünikerbach und zwei weitere Bäche in der Region vor ihnen, die heute abgefischt werden müssen. Edi Oswald setzt die Wasserflasche an, trinkt, startet dann den Generator und steigt durch die Brennnesseln hinunter ins Bachbett.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch