«Sie rückten unsere Tätigkeit in die Nähe der Stasi»
Ex-Bundespolizeichef Peter Huber fühlt sich im Zusammenhang mit der Fichenaffäre vor 25 Jahren ungerecht behandelt. Den «Rahmen definitiv gesprengt» habe aber eine Aussage von Moritz Leuenberger.
Der frühere Chef der Bundespolizei in der Bundesanwaltschaft, Peter Huber, hält die gegen ihn und seine Mitarbeiter im Zuge der Fichenaffäre erhobenen Vorwürfe für teilweise ungerechtfertigt. Huber wurde damals vollständig rehabilitiert und arbeitete später wieder als Amtsdirektor beim Bund.
Huber äusserte sich gegenüber der Nachrichtenagentur sda in einem schriftlich geführten Interview zu dem vor 25 Jahren, am 22. November 1989, veröffentlichten Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK), der die Fichenaffäre auslöste. Die PUK war im Zuge der Affäre Kopp eingesetzt worden. Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin der Schweiz, erklärte am 12. Januar 1989 ihren sofortigen Rücktritt. Kurz darauf wurde die PUK damit beauftragt, die Amtsführung im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und insbesondere in der Bundesanwaltschaft zu überprüfen.
Die Publikation des Berichts löste ein politisches Erdbeben aus: Unter anderem hatten die Parlamentarier in der zentralen Registratur der Bundespolizei 900'000 Karten entdeckt. Die Empörung in der Bevölkerung angesichts der Bespitzelung war gross: So demonstrierten am 3. März 1990 in Bern rund 30'000 aufgebrachte Menschen gegen den «Schnüffelstaat».
Internes Arbeitsinstrument
Die Fichen seien damals ein internes Arbeitsinstrument gewesen und hätten in erster Linie Geschäftskontrollcharakter gehabt, was in der öffentlichen Diskussion zu wenig wahrgenommen worden sei, sagt nun Ex-Bundespolizeichef Peter Huber. Auf den Fichen seien stichwortartig gewisse Merkmale aus Rapporten, Berichten, Überwachungsmassnahmen sowie aus offenen Quellen festgehalten worden. «So fanden natürlich auch Verdachtsmomente Eingang in die Fichen», sagte Huber. Es seien aber auch neutrale oder entlastende Aspekte fichiert worden.
Dass die Fichierung auch problematisch sein könnte, sei ihm erstmals nach einer Inspektion der Registratur durch Mitglieder der Geschäftsprüfungskommission Mitte der 1980er Jahre bewusst geworden. «Anderseits wurde mir dies in meinem zweiten Amtsjahr bei der Vorbereitung einer Staatsschutzkonferenz Anfang 1984 bewusst, als ich in einem Referat die Rapporterstattung kantonaler und städtischer Nachrichtendienste über nicht staatsschutzrelevante Vorgänge kritisierte», sagt Huber.
Zwar habe damals noch kein Datenschutzgesetz existiert. Aufgrund von 1981 erlassenen Datenschutzrichtlinien erschienen solche Rapporterstattungen und die gestützt darauf erfolgten Ficheneinträge jedoch als problematisch. «Ich habe denn auch solche Berichterstattungen als mit unserem Auftrag nicht vereinbar angeprangert», sagte Huber. Die PUK habe die Arbeitsweise der Bundespolizei in verschiedener Hinsicht kritisiert. Er habe die Verantwortung für mindestens teilweise fehlende konkrete Weisungen und Richtlinien sowie für eine ungenügende Beaufsichtigung der Sachbearbeiter übernommen.
Vorwürfe als ungerecht empfunden
Andere Vorwürfe wie beispielsweise die ungenügende Anpassung der Aktivitäten an sich ändernde Bedrohungen, ungenügende Zusammenarbeit mit anderen Bundesämtern oder zu einseitige Fokussierung auf linksextreme Umtriebe habe er jedoch als ungerechtfertigt empfunden. «Den PUK-Bericht empfand ich teilweise als voreingenommen und tendenziös, weil unseren Begründungs- und Entlastungsargumenten nicht oder nur ungenügend Rechnung getragen wurde», sagte Huber.
«Besonders schmerzhaft für meine Mitarbeitenden und mich war jedoch die einseitige, verurteilende Berichterstattung in den Medien, die unsere Tätigkeit in die Nähe der Stasi-Methoden rückte. Eine Aussage von PUK-Präsident Moritz Leuenberger, die wahren Feinde des Staates würden in der Bundesanwaltschaft sitzen, sprengte dann den Rahmen der Fairness definitiv.»
Generalverdacht der Bespitzelung
«Zu schaffen machten mir auch in einer Administrativuntersuchung zu den Vorgängen im damaligen Eidgenössischen Militärdepartement zu Unrecht erhobene Vorwürfe. Und als besonders schmerzhaft empfand ich die öffentliche Anprangerung der Bundespolizei und meiner Person, die einen Grossteil unserer Arbeit unter den Generalverdacht der Bespitzelung stellte», sagte Huber.
Für ihn persönlich sehr belastend sei zudem das Strafverfahren gewesen, das im Nachgang zum PUK-Bericht gegen ihn eingeleitet worden sei und das den Spekulationen über vermeintliche Amtspflichtverletzungen Tür und Tor geöffnet habe.
Eine erste Rehabilitation erfolgte durch ein Bundesgerichtsurteil vom 6. August 1991, als Huber eine Genugtuung von 6000 Franken wegen schwerer Verletzung in seinen persönlichen Verhältnissen zugesprochen wurde. Die vollständige Rehabilitierung erfolgte dann 1993 mit der Wahl zunächst zum Stellvertreter und im Juni 1997 zum Direktor des Bundesamtes für Ausländerfragen.
300'000 nutzten Ficheneinsicht
Ab 1990 durfte jeder Bürger Einsicht in die Fichen und Dossiers der Bundesanwaltschaft nehmen. Rund 300'000 Menschen machten von diesem Recht Gebrauch. Auch 5560 Dossiers wurden eingesehen. In den Fichen fanden die Betroffenen beispielsweise detaillierte Angaben über ihre Reisen in Oststaaten. Auch Kontakte zu Menschen hinter dem damaligen «Eisernen Vorhang» wurden minutiös, teilweise aber auch sehr fehlerhaft auf den Karten festgehalten. Es ging soweit, dass Menschen wegen der Fichen - von deren Existenz sie nichts wussten - Anstellungen verweigert wurden.
Auf den Karteikarten fand sich auch viel Kurioses: Ein Aargauer Geschäftsmann etwa handelte sich einen Ficheneintrag ein, weil er einer Russin ein Enthaarungsgerät verkauft hatte. Er klagte bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser kam einstimmig zum Schluss, dass das Recht des Schweizers auf Respektierung des Privatlebens verletzt worden war.
Volksinitiative gegen Schnüffelpolizei
Im Oktober 1991 wurde mitten in der Fichenaffäre die Initiative «S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei» eingereicht, mit der die Abschaffung der politischen Polizei gefordert wurde. In der Volksabstimmung vom 7. Juni 1998 wurde die Volksinitiative dann allerdings mit einer Nein-Mehrheit von 75 Prozent klar abgelehnt.
Die Dossiereinsicht wurde Mitte 1996 durch den Fichendelegierten René Bacher abgeschlossen. 35 Millionen Franken waren dafür aufgewendet worden. Die Dokumente wurden mit einer 50-jährigen Sperrfrist belegt und ins Bundesarchiv überführt. Mitte 1998 trat das Staatsschutzgesetz, das «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit», in Kraft.
SDA/thu
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